Entscheidungsstichwort (Thema)

(Jugendherbergen: Beherbergung alleinreisender Erwachsener, Zweckbetriebe)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die mit alleinreisenden Erwachsenen getätigten Umsätze der Jugendherbergen sind nicht gemäß § 4 Nr. 24 UStG 1980 von der Umsatzsteuer befreit. Die Steuer auf diese Umsätze kann gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG 1980 i.V.m. § 68 Nr. 1 Buchst. b AO 1977 a.F. zu ermäßigen sein.

2. Jugendherbergen sind als Zweckbetriebe i.S. des § 68 Nr. 1 Buchst. b AO 1977 a.F. zu beurteilen, ohne daß es auf die Voraussetzungen des § 65 AO 1977 ankommt.

3. Die Beherbergung alleinreisender Erwachsener kann ein selbständiger wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb sein, wenn sie sich aus tatsächlichen Gründen von den satzungsgemäßen Leistungen an Jugendliche und Familien abgrenzen läßt. Fehlt die Abgrenzbarkeit, verlieren Jugendherbergen ihre Zweckbetriebseigenschaft nicht dadurch, daß sie außerhalb des satzungsgemäßen Zwecks in geringem Umfang alleinreisende Erwachsene (zu gleichen Bedingungen wie andere Gäste) beherbergen. Die Grenze, bis zu der solche Beherbergungen unschädlich sind, ist mit 10 v.H. zu veranschlagen.

 

Normenkette

UStG 1980 § 4 Nr. 24, § 12 Abs. 2 Nr. 8; AO 1977 §§ 65, 68 Nr. 1 Buchst. b

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein eingetragener Verein. Von der Finanzverwaltung ist anerkannt, daß er wegen Förderung der Jugendpflege und Jugendfürsorge gemeinnützige Zwecke verfolgt (§ 52 der Abgabenordnung --AO 1977--). Gemäß § 2 Nr. 2 seiner Satzung ist Zweck des Klägers die Förderung der aktiven Freizeitgestaltung der Jugend und der Familien. Dieser Satzungszweck wird insbesondere durch den Betrieb von Jugendherbergen verwirklicht.

Von den in den Streitjahren (1982 bis 1985) in den Jugendherbergen des Klägers getätigten Übernachtungen entfielen auf alleinreisende Erwachsene im Alter von mindestens 27 Jahren Übernachtungen und Entgelte in Höhe von X v.H. und Y DM.

Der Kläger beurteilte alle Übernachtungsumsätze als umsatzsteuerfrei gemäß § 4 Nr. 24 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980. Demgegenüber legte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die auf alleinreisende Erwachsene entfallenden Entgelte der Besteuerung mit dem Regelsteuersatz zugrunde. Das FA war der Auffassung, daß insoweit die Umsatzsteuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 24 UStG 1980 nicht eingreife. Denn gemäß Absatz 3 des Schreibens des Bundesministers der Finanzen (BMF) betreffend Umsatzsteuerbefreiung für Jugendherbergswerke vom 20. August 1982 (BStBl I 1982, 695; jetzt Abschn. 118 Abs. 3 der Umsatzsteuer-Richtlinien 1992) könne die Steuerbefreiung für Leistungen an alleinreisende Erwachsene nur gewährt werden, wenn der Umfang dieser Leistungen nicht mehr als 2 v.H. der maßgeblichen Leistungen betrage. Die Besteuerung der an alleinreisende Erwachsene ausgeführten Leistungen mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG 1980 komme nicht in Betracht, weil diese Umsätze im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes, der nicht Zweckbetrieb sei, erbracht worden seien. Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos.

Mit der Klage machte der Kläger geltend: Jugendherbergen seien insgesamt als Zweckbetriebe gemäß § 68 Nr. 1 Buchst. b AO 1977 (in der bis zum 31. Dezember 1989 geltenden Fassung --AO 1977 a.F.--) anzusehen. Gemäß § 14 AO 1977 erfordere ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb u.a. eine selbständige Tätigkeit. Unter der selbständigen Tätigkeit sei die sachliche Selbständigkeit der Betätigung zu verstehen. Voraussetzung für die Annahme einer sachlichen Selbständigkeit der Erwachsenenunterbringung und -beköstigung sei die Abgrenzbarkeit dieser Leistungen von den anderen Tätigkeiten der Jugendherberge. Diese Voraussetzung sei aber nicht erfüllt, denn das Leistungsverhalten gegenüber den alleinreisenden Erwachsenen hebe sich nicht von der übrigen Betätigung der Jugendherbergen derart ab, daß eine gesonderte wirtschaftliche Einheit vorliege. Der Tätigkeitsbereich der Erwachsenenunterbringung und -beköstigung sei weder ein klar abgrenzbarer Bereich, noch verfüge er über eigenes Personal, eigene Schlafräume, eigene Speisesäle usw. Daher sei die Jugendherberge insgesamt als Zweckbetrieb anzusehen. Eine Aufteilung in einen Zweckbetrieb und einen steuerschädlichen Geschäftsbetrieb sei auf Grund der fehlenden Selbständigkeit des Tätigkeitsbereichs Erwachsenenunterbringung und -beköstigung nicht möglich. Im übrigen folge bereits aus dem Wortlaut des § 68 AO 1977 a.F., daß die Tätigkeit der Jugendherbergen insgesamt als Zweckbetrieb und damit als steuerunschädlicher wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb anzusehen sei. Dem Gesetzgeber sei bekannt gewesen, daß in den Jugendherbergen nicht nur Jugendliche, sondern auch alleinreisende Erwachsene übernachteten. Dies habe der Gesetzgeber bewußt in Kauf genommen, ohne eine bestimmte Höchstgrenze zu setzen, nach der die Unterbringung und Beköstigung von alleinreisenden Erwachsenen steuerschädlich sei.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit folgender Begründung ab:

a) Die den alleinreisenden Erwachsenen gegenüber ausgeführten Umsätze seien nicht gemäß § 4 Nr. 24 UStG 1980 von der Umsatzsteuer befreit, weil die den Umsätzen zugrundeliegenden Leistungen nicht unmittelbar den Satzungszwecken des Klägers gedient hätten. Das Schreiben des BMF vom 20. August 1982 enthalte in Absatz 3 eine Vereinfachungsregelung, deren Voraussetzungen im Streitfall nicht vorlägen.

b) Die im Streit befindlichen Umsätze unterlägen auch nicht gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG 1980 dem ermäßigten Steuersatz. Zwar kämen Jugendherbergen gemäß § 68 Nr. 1 Buchst. b AO 1977 a.F. als Zweckbetriebe in Betracht; die Annahme eines Zweckbetriebs erfordere jedoch zusätzlich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 65 AO 1977. Diese seien im Streitfall nicht gegeben. Denn die Jugendherbergen des Klägers dienten nicht insgesamt, sondern nur teilweise den steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecken des Klägers. Die Leistungen an alleinreisende Erwachsene erfüllten nicht die satzungsmäßigen Zwecke, seien nicht zur Erfüllung der satzungsmäßigen Zwecke erforderlich und führten zu einer Konkurrenzsituation mit nichtbegünstigten Betrieben des Beherbergungsgewerbes.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision. Er macht geltend, die Vorschrift des § 68 Nr. 1 Buchst. b AO 1977 a.F., die Jugendherbergen als Zweckbetriebe bezeichne, sei Spezialregelung gegenüber § 65 AO 1977, dessen Voraussetzungen bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 68 Nr. 1 Buchst. b AO 1977 a.F. nicht zu prüfen seien. Diese Auffassung entspreche der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Vereinsförderungsgesetzes (VereinsFG) --Änderung des § 68 AO 1977-- (BTDrucks 11/4176, S.12). Es werde bei Jugendherbergen in Kauf genommen, daß diese nicht nur von Jugendlichen benutzt werden. Zwar habe erst durch das VereinsFG vom 18. Dezember 1989 (BGBl I 1989, 2212, BStBl I 1989, 499) der Einleitungssatz des § 68 AO 1977 die Fassung "Zweckbetriebe sind auch: ..." erhalten. Wie in der Begründung zum Gesetzentwurf ausgeführt, sei keine inhaltliche Änderung sondern nur eine Klarstellung der älteren Fassung "Als Zweckbetriebe kommen insbesondere in Betracht: ..." beabsichtigt gewesen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Umsatzsteuer für die Jahre 1982 bis 1985 so festzusetzen, wie sie sich bei Anwendung des § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG 1980 auf die mit alleinreisenden Erwachsenen getätigten Umsätze ergibt.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Das FA vertritt die Auffassung, die Spezialregelung in § 68 Nr. 1 Buchst. b AO 1977 a.F. habe nur Vorrang vor der allgemeinen Definition des Zweckbetriebs in § 65 AO 1977, soweit Jugendherbergen im Rahmen ihres (bzw. ihres Trägers) satzungsmäßigen Zwecks tätig seien. Die Unterbringung und Verpflegung alleinreisender Erwachsener diene nicht der Verwirklichung des Satzungszwecks des Klägers. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei eine differenzierte Würdigung der wirtschaftlichen Betätigung einer Einrichtung möglich. Die Ausgrenzung der nicht dem Satzungszweck des Klägers dienenden wirtschaftlichen Tätigkeiten in den Jugendherbergen sei wegen der Wettbewerbsneutralität des Steuerrechts auch geboten, weil die Jugendherbergen ansonsten steuerbegünstigt in Wettbewerb zu Hotel- und Gaststättenbetrieben treten könnten.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Das FG hat die Zweckbetriebseigenschaft von Jugendherbergen (§ 68 Nr. 1 Buchst. b AO 1977 a.F.) verkannt. Die Vorentscheidung war deshalb aufzuheben. Es kommt zwar in Betracht, daß sich das Urteil des FG aus anderen Gründen als richtig darstellt. Mangels hinreichender Feststellungen kann der Senat über diese Frage aber nicht abschließend entscheiden. Die Sache war folglich an das FG zurückzuverweisen.

1. Die mit den alleinreisenden Erwachsenen getätigten Umsätze sind nicht gemäß § 4 Nr. 24 UStG 1980 von der Umsatzsteuer befreit. Diese Steuerbefreiung umfaßt u.a. die Leistungen der dem Deutschen Jugendherbergswerk, Hauptverband für Jugendwandern und Jugendherbergen e.V., angeschlossenen Untergliederungen, soweit die Leistungen den Satzungszwecken unmittelbar dienen. Zweck des Klägers, der als Landesverband eine Untergliederung des Deutschen Jugendherbergswerks darstellt, ist gemäß § 2 Nr. 3 der Satzung der Betrieb von Jugendherbergen, die der Freizeit und Bildung der Jugend, dem Familienwandern, Schullandheimaufenthalten sowie der internationalen Begegnung dienen. Die mit den alleinreisenden Erwachsenen getätigten Umsätze fallen nicht unter diese Aufzählung. Sie dienen demnach nicht --zumindest nicht unmittelbar-- dem Satzungszweck des Klägers.

2. Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG 1980 ermäßigt sich die Steuer für die Umsätze der Körperschaften, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgen. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß diese Vorschrift auf die in Jugendherbergen getätigten Umsätze nicht anwendbar ist. Zwar hat der Gesetzgeber in § 4 Nr. 24 UStG 1980 die unmittelbar Satzungszwecken dienenden, in Jugendherbergen ausgeführten Leistungen (vollständig) befreit. Die Verwendung des Wortes "unmittelbar" spricht dafür, daß dem Gesetzgeber bewußt war, in Jugendherbergen würden auch Leistungen ausgeführt, die nicht oder nicht unmittelbar den Satzungszwecken dienen. Hätte er für diese Leistungen die Steuerermäßigung gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG 1980 von vornherein ausschließen und § 4 Nr. 24 UStG 1980 als abschließende Steuerbegünstigung der Jugendherbergen ansehen wollen, hätte er dies aber ausdrücklich aussprechen müssen.

3. Die Steuerermäßigung gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG 1980 gilt nicht für Leistungen, die im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs ausgeführt werden. Nach § 64 AO 1977 a.F. geht die Steuervergünstigung nicht verloren, soweit der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb ein Zweckbetrieb ist. Die allgemeine Definition eines Zweckbetriebs findet sich in § 65 AO 1977; die §§ 66 bis 68 AO 1977 enthalten ergänzende Regelungen. Gemäß dem Einleitungssatz des § 68 AO 1977 a.F. kamen die dort nachfolgend aufgeführten Einrichtungen (u.a. Jugendherbergen nach Nr. 1 Buchst. b) als Zweckbetriebe "in Betracht".

a) Entgegen der Auffassung des FG sind Jugendherbergen als Zweckbetriebe zu beurteilen, ohne daß es auf die Prüfung der Voraussetzungen des § 65 AO 1977 ankommt. Diese Auslegung ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang der Regelungen in § 65 AO 1977 und § 68 Nr. 1 Buchst. b AO 1977 a.F.

aa) Der Wortlaut des Einleitungssatzes in § 68 AO 1977 a.F. gibt den Sinn und Zweck der Regelung nur unvollkommen wieder. Ein am buchstäblichen Ausdruck haftendes Verständnis ließe diese Vorschrift als überflüssig erscheinen, da es bei der Mehrzahl der in § 68 AO 1977 a.F. genannten Einrichtungen selbstverständlich ist, daß sie Zweckbetriebe sein können. Es wird deshalb zu Recht überwiegend angenommen, daß der Vorschrift über ihren Wortlaut hinaus Vorrang vor § 65 AO 1977 zukam.

bb) Nach der von der Bundesregierung vertretenen Auffassung, wie sie in der Begründung zum Entwurf eines VereinsFG (BTDrucks 11/4176, S.12) geäußert worden ist, normierte § 68 AO 1977 a.F. die Zweckbetriebseigenschaft der genannten Einrichtungen, ohne daß die allgemeinen Voraussetzungen des § 65 AO 1977 für die Annahme eines Zweckbetriebs geprüft (und bejaht) werden mußten. Diese Auslegung sei --so wird dort weiter ausgeführt-- zwingend, weil bei einigen Einrichtungen die allgemeinen Zweckbetriebsvoraussetzungen nie erfüllt sein könnten und dem § 68 AO 1977 a.F. insoweit rechtsbegründende Wirkung beizumessen gewesen sei. Da diese Rechtslage durch den Einleitungssatz nicht gestützt worden sei, müsse dieser durch die Formulierung "Zweckbetriebe sind auch:" in der zu ändernden Abgabenordnung klarer gefaßt werden.

cc) Die Rechtsprechung des BFH bejaht im Verhältnis der genannten Vorschriften zueinander einen Vorrang des § 68 AO 1977 a.F. Nach dem Urteil vom 4. Mai 1994 XI R 109/90 (BFHE 175, 1, BStBl II 1994, 886, unter II.1.) geht § 68 AO 1977 a.F. (uneingeschränkt) als spezielle Norm der Regelung des § 65 AO 1977 vor. Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 18. Oktober 1990 V R 35/85 (BFHE 162, 502, BStBl II 1991, 157, unter II.3., vorletzter Absatz) den Vorrang (nur) im Verhältnis von § 68 Nr. 2 AO 1977 a.F. zu § 65 Nr. 3 AO 1977 ausgesprochen.

Das FG beruft sich für seine Ansicht, die in § 68 AO 1977 a.F. genannten Einrichtungen seien nur dann Zweckbetriebe, wenn die Voraussetzungen des § 65 AO 1977 gegeben sind, zu Unrecht auf das BFH-Urteil vom 2. März 1990 III R 89/87 (BFHE 161, 277, BStBl II 1990, 1012, unter 3. d). In dieser Entscheidung wurde die Frage, ob die Vermietung von Sportstätten an Nichtmitglieder ein Zweckbetrieb i.S. des § 68 Nr. 7 Buchst. b AO 1977 a.F. ("sportliche Veranstaltungen") ist, verneint, so daß sich die Prüfung auf die Tatbestandsvoraussetzungen des § 65 AO 1977 beschränkte und das Verhältnis der beiden Vorschriften zueinander nicht zu erörtern war.

dd) Im Schrifttum vertraten Klein/Orlopp (Abgabenordnung, 3. Aufl. 1986, § 68 Anm. 1) die Auffassung, ein Zweckbetrieb i.S. des § 68 AO 1977 a.F. läge nur vor, wenn auch die Voraussetzungen des § 65 AO 1977 gegeben sind; im übrigen wurde zum Teil unterschieden zwischen deklaratorischen und konstitutiven Teilen der Aufzählung in § 68 AO 1977 a.F. (so Scholtz in Koch, Abgabenordnung, 3. Aufl. 1986, § 68 Rz. 2) und eine Durchbrechung des § 65 AO 1977 nur partiell angenommen (vgl. insbesondere Herbert, Der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb des gemeinnützigen Vereins, 1988, 142 ff., 161).

ee) Der Senat läßt dahinstehen, ob eine alle Teile des § 68 AO 1977 a.F. umfassende Aussage zum Verhältnis zu § 65 AO 1977 möglich ist oder ob ein Vorrang des § 68 AO 1977 a.F. nur hinsichtlich einzelner in dieser Vorschrift angeführter Tatbestandsmerkmale gegeben ist. Jedenfalls schließt sich der Senat der im Urteil in BFHE 175, 1, BStBl II 1994, 886 geäußerten Auffassung vom Vorrang des § 68 AO 1977 a.F. insoweit an, als dessen Regelung Jugendherbergen betrifft (Nr. 1 Buchst. b). Diese Vorschrift wäre überflüssig, wenn sie lediglich erlauben würde, die Zweckbetriebseigenschaft einer Jugendherberge "in Betracht zu ziehen". Denn es versteht sich von selbst, daß Jugendherbergen Zweckbetriebe sein können. Darüber hinaus ergibt sich z.B. aus der Berücksichtigung von Lotterien (Nr. 6), die die Voraussetzungen des § 65 AO 1977 nicht erfüllen können, daß § 68 AO 1977 a.F. zumindest in Teilen lex specialis gegenüber § 65 AO 1977 sein muß. In bezug auf Jugendherbergen spricht für eine Qualifizierung als Spezialregelung die Erwägung, daß dem Gesetzgeber die Satzungszwecke und tatsächlichen Verhältnisse der Jugendherbergen bekannt gewesen sein dürften. Aufgrund dieses Umstandes der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der wirtschaftlichen Betätigung, der bei anderen Einrichtungen wie z.B. "kulturellen Veranstaltungen" (Nr. 7 Buchst. a) nicht in gleichem Maße gegeben ist, erscheint die Annahme gerechtfertigt, der Gesetzgeber habe bezüglich der Jugendherbergen in § 68 Nr. 1 Buchst. b AO 1977 a.F. eine abschließende Regelung über deren Zweckbetriebseigenschaft getroffen.

b) Das Urteil des FG ist mit den vorstehenden Rechtsausführungen nicht vereinbar. Die Abweisung der Klage durch das FG würde sich im Ergebnis gleichwohl als richtig erweisen, wenn der Kläger in seinen Jugendherbergen die Leistungen an alleinreisende Erwachsene im Rahmen eines selbständigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs, der nicht Zweckbetrieb ist, erbracht hätte oder wenn die Jugendherbergen des Klägers durch die nicht satzungsgemäße Beherbergung alleinreisender Erwachsener ihre Zweckbetriebseigenschaft (insgesamt) verloren hätten.

Die Entscheidung hierüber hängt davon ab, ob sich die satzungsgemäßen und die nicht satzungsgemäßen Leistungen tatsächlich voneinander unterscheiden, und im Fall fehlender Unterscheidbarkeit davon, ob die nicht satzungsgemäßen Leistungen von ganz untergeordneter Bedeutung sind oder nicht.

aa) Der III.Senat des BFH hat im Urteil in BFHE 161, 277, BStBl II 1990, 1012, unter 3. d die Auffassung vertreten, die Nutzungsüberlassung einer einzelnen Sportstätte durch einen Verein an Mitglieder und Nichtmitglieder könne zur Annahme zweier Betriebe, eines steuerbegünstigten Zweckbetriebs und eines steuerschädlichen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs, führen. Die Zulässigkeit dieser Differenzierung ergebe sich aus dem Wortlaut des § 64 AO 1977 a.F. ("insoweit" und "soweit nicht ein Zweckbetrieb ... gegeben ist"). Eine solche getrennte Würdigung vergleichbarer wirtschaftlicher Aktivitäten eines Vereins setze indessen voraus, daß sich die einzelnen Tätigkeiten auch tatsächlich voneinander unterscheiden.

Im Urteil vom 13. März 1991 I R 8/88 (BFHE 164, 57, BStBl II 1992, 101, unter II.2.) hat sich der I.Senat des BFH dieser Auffassung angeschlossen und bei der Nutzungsüberlassung von Sportstätten unterschieden zwischen der dem Zweckbetrieb "sportliche Veranstaltung" entsprechenden Nutzungsüberlassung und der in diesem Rahmen erfolgenden Überlassung für Zwecke der Bandenwerbung (wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb).

bb) Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung für die Beherbergung in Jugendherbergen an. Auch in diesen Fällen begründet die Regelung in § 64 AO 1977 a.F. die Möglichkeit der Trennung der Aktivitäten in einen steuerbegünstigten Zweckbetrieb einerseits und einen steuerschädlichen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb andererseits. Sofern die Beherbergung alleinreisender Erwachsener nach den tatsächlichen Umständen ihrer Ausführung von den übrigen Leistungen der Jugendherbergen unterschieden werden kann, liegt ein selbständiger wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb vor, der nicht Zweckbetrieb ist und dessen Umsätze der Besteuerung nach dem Regelsteuersatz unterliegen. Kriterien der Unterscheidbarkeit können z.B. die Art der Reservierung, die Beherbergungsentgelte, die Größe und Ausstattung der Zimmer, die Verpflegung, der Service und die Beteiligung der Herbergsgäste an der Gemeinschaftsarbeit sein.

cc) Werden hingegen die Leistungen an alleinreisende Erwachsene zu den gleichen tatsächlichen Bedingungen ausgeführt wie die übrigen Beherbergungsleistungen, sind alle Leistungen als im Rahmen eines Betriebes erbracht anzusehen, der einheitlich entweder Zweckbetrieb oder steuerschädlicher wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb ist.

Jugendherbergen sind Zweckbetriebe nur insoweit, als sich ihre Umsätze im Rahmen des Satzungszwecks halten. Die Steuerbegünstigung soll nach ihrem Sinn und Zweck nicht eingreifen für "Jugendherbergen", die sich nicht satzungsmäßig betätigen. Allerdings läßt nicht jede geringfügige, außerhalb des Satzungszwecks liegende Tätigkeit die Zweckbetriebseigenschaft entfallen. Dies ergibt sich aus dem in § 65 Nr. 1 AO 1977 enthaltenen Gedanken, wonach ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb, um Zweckbetrieb zu sein, (nur) in seiner Gesamtrichtung dazu dienen muß, die steuerbegünstigten Zwecke der Körperschaft zu verwirklichen.

dd) Ebenso wie der III.Senat des BFH im Urteil vom 10. Januar 1992 III R 201/90 (BFHE 167, 470, BStBl II 1992, 684) die Vermietung einer Tennishalle als (einheitlichen) Zweckbetrieb beurteilt hat, weil die steuerschädliche Vermietung an Nichtmitglieder nur von untergeordneter Bedeutung war, bleibt deshalb im Streitfall die Zweckbetriebseigenschaft der Jugendherbergen erhalten, wenn die der Satzung nicht entsprechende Beherbergung alleinreisender Erwachsener unwesentlich gewesen ist. In einem solchen Fall ist davon auszugehen, daß die entgeltlichen Beherbergungen in ihrer Gesamtrichtung dazu dienen, die steuerbegünstigten satzungsgemäßen Zwecke der Jugendherbergen bzw. ihres Trägers --Förderung der aktiven Freizeitgestaltung der Jugend und der Familien-- zu verwirklichen. Dies reicht für die Anwendung des § 68 Nr. 1 Buchst. b AO 1977 a.F. aus.

Aktivitäten außerhalb des Satzungszwecks sind von untergeordneter Bedeutung, wenn sie unterhalb der Grenze liegen, bis zu der allgemein eine wirtschaftlich unbedeutende Betätigung oder anderweitige Nutzung angenommen wird. Der III.Senat des BFH hat in BFHE 167, 470, BStBl II 1992, 684 (unter 2.) unter Hinweis auf frühere Rechtsprechung die Grenze bei 10 v.H. angenommen, gemessen an der Zeitdauer der Vermietung. Der erkennende Senat schließt sich dieser Beurteilung für die Beherbergung alleinreisender Erwachsener in Jugendherbergen an. Dabei kann in diesem Fall die genannte Grenze anhand der Zahl der Übernachtungen gezogen werden. Für den Streitfall folgt daraus, daß --sofern die Beherbergung alleinreisender Erwachsener nicht als selbständiger wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb zu beurteilen ist-- die Jugendherbergen durch eben diese Leistungen wegen Unterschreitens der Grenze ihre Zweckbetriebseigenschaft nicht verloren haben.

4. Da das FG keine Feststellungen zur Frage der Unterscheidbarkeit der an die alleinreisenden Erwachsenen erbrachten Leistungen getroffen hat, kann der Senat nicht entscheiden, ob sich das Urteil des FG im Ergebnis als richtig darstellt. Das FG hat die fehlenden Feststellungen nachzuholen und danach erneut in der Sache zu entscheiden.

 

Fundstellen

BFH/NV 1995, 54

BStBl II 1995, 446

BFHE 177, 147

BFHE 1996, 147

BB 1995, 1230 (L)

DB 1995, 1594 (L)

HFR 1995, 474-475 (LT)

StE 1995, 378-379 (K)

StRK, R.1 (LT)

KFR, 1/95, 283 (H 10/1995) (LT)

UVR 1995, 249 (L)

UStR 1995, 481-484 (KT)

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