Rz. 41

Die erste Frage, ob sich die Erbrechtsgarantie auf das Erbrecht vor oder nach der Belastung mit ErbSt bezieht, lässt sich mit § 9 ErbStG und mit ihrem Charakter als Erbanfallsteuer nur bei Unterscheidung der Grundrechtssubjekte beantworten. Wenn danach die ErbSt mit dem Erwerb (von Todes wegen) entsteht, gewinnt man zwei Antworten:

  • Die Erbrechtsgarantie des Erblassers ist grundsätzlich frei von einer künftigen ErbSt-Belastung zu definieren. Sie umfasst danach materiell-rechtliche Teilaspekte wie die Testierfreiheit und das Prinzip des gesetzlichen Verwandten- und Ehegattenerbrechts. Im Verhältnis dieser beiden subjektiven Rechte gilt der Grundsatz, dass das gesetzliche Erbrecht gegenüber der Testierfreiheit nur subsidiär zur Anwendung kommt (vgl. Papier in M/D, Art. 14 Rz. 302).
  • Als Folgerung für die Erbschaftsteuer wird hieraus abgeleitet, dass es zu keiner übermäßigen Belastung des Erben mit Erbschaftsteuer kommen dürfe (ständige Rspr. des BVerfG, zuletzt BVerfG vom 25.07.2007, HFR 2007, 1024 Nr. 10). Eine (allerdings nicht feste) Obergrenze (vgl. Gebel in T/G/J/G, Einf., 39) ist nur bei "erdrosselnden" Spitzen-Steuersätzen von über 70 % anzunehmen, da mit diesen das Institut des Verwandten-Erbrechts ausgehöhlt würde. Eine andere verfassungsrechtliche Beurteilung müsste bei dem Konzept einer Nachlasssteuer angestellt werden.
  • Aus Sicht des/der Erben tritt mit dem Erbfall das – ebenfalls von Art. 14 GG – geschützte Eigentumsrecht an die Seite des Erbrechts. Auf den Erwerbsfall bezogen, lässt sich folgende Gleichung aufstellen: Das Erbrecht des Erblassers nach Art. 14 Abs. 1 GG (freie Auswahl und Zuordnung der Nachlassgegenstände) verdichtet sich nach dem Tode zum Eigentumsrecht des Erben am Nachlass. An dieser Stelle findet über die Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) der fiskalische Redistributionsgedanke bereits bei einem Steuersatz von 50 % (Art. 14 Abs. 2 GG: "zugleich") seine Grenze, wenngleich die Übertragung des Halbteilungsgrundsatzes auf das ErbSt-Recht nicht zwingend vorgeschrieben ist (BVerfG vom 19.03.2006, DStR 2006, 555). Sämtliche Steuersätze des ErbStRG bleiben mit dem Maximaltarif von 50 % (und dem weiteren persönlichen Freibetrag von mindestens 20.000 EUR (§ 16 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG n. F.) unterhalb dieser Grenze und sind damit Art. 14 GG-konform.

Darüber hinaus stellt sich die Frage der Einbeziehung von Schenkungen und sonstigen Übertragungen unter Lebenden in den Schutzbereich von Art. 14 GG. Für die "klassische" Schenkung ebenso wie für die Sonderformen der "Attributs"-Schenkungen (wie "gemischte Schenkung" oder "Schenkung unter Auflage") findet sich bei grammatikalischer Auslegung kein Anhaltspunkt für eine Institutsgarantie. Anders könnte es allerdings für die vorweggenommene Erbfolge aussehen. Dieses Rechtsinstitut mag zwar in Hinblick auf die erbrechtliche Aussicht des künftigen Erben vom BFH entwickelt worden sein (Großer Senat des BFH vom 05.07.1990, BStBl II 1990, 847). Die zwischenzeitlichen Aktivitäten der Rechtsprechung (BFH vom 21.01.2001, BStBl II 2001, 414: Eliminierung aus dem Anwendungsbereich des § 13a ErbStG a. F.) und des Gesetzgebers (die Einfügung in § 593a BGB führt nicht zur Anwendung erbrechtlicher Grundsätze; vgl. Weidlich in Grüneberg, Einl. zu § 1922 Rz. 6 ff.) verbieten jedoch eine Einbeziehung der vorweggenommenen Erbfolge in den Schutzbereich von Art. 14 GG.

Durch die Bezugnahme im Vorlagebeschluss vom 27.09.2012 (Rn. 4) auf § 19 ErbStG hatte das BVerfG die Möglichkeit, das ganze ErbStG auf den Prüfstand der Verfassungskonformität zu stellen. Hiervon (umfassende Befassung mit der Materie) wurde auch in allen späteren Vorlagebeschlüssen Gebrauch gemacht.

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