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Noch wichtiger für das Vorverständnis des Erbschaftsteuerrechts ist jedoch die Unterscheidung nach den einzelnen zivilrechtlichen Übertragungstechniken. Während der Erwerb von Todes wegen grundsätzlich in Form der Gesamtrechtsnachfolge (Universalsukzession gem. § 1922 BGB) erfolgt, vollziehen sich unentgeltliche Übertragungen unter Lebenden grundsätzlich im Wege der Einzelrechtsnachfolge (Schenkung als Singularsukzession gem. § 516 BGB).

Hieraus lassen sich zunächst einfache rechtstechnische Konsequenzen ableiten. So werden akzessorische Aufwendungen in Zusammenhang mit dem (immer noch unentgeltlichen) Erwerb eines Vermögensgegenstands beim Erwerb von Todes wegen (z. B. einem Geldvermächtnis) in Gänze abgezogen, da die Gesamtrechtsnachfolge auch den Übergang der kompletten Nachlassschulden beinhaltet. Umgekehrt, z. B. bei der Schenkung eines Grundstücks, ist eine etwaige Grundschuld nur insoweit als Subtrahend des Bereicherungsvorgangs abzuziehen, soweit sie sich auf die geschenkte Immobilie bezieht (bekanntlich kann eine Grundschuld auch für anderweitige Zwecke valutiert werden).

Die skizzierte holzschnittartige Zuordnung (Gesamtrechtsnachfolge im Erbschaftsteuerrecht und Einzelrechtsnachfolge im Schenkungsteuerrecht) hat jedoch im letzten Jahrzehnt einen Durchbruch erfahren. So hat das Umwandlungs(steuer)recht die Universalsukzession als Gestaltungsoption entdeckt (1995; sog. gewillkürte Gesamtrechtsnachfolge). Der Rechtskomfort des ganzheitlichen Vermögensübergangs unter Verzicht auf die einzelnen – vom BGB vorgesehenen – Übertragungsakte ist oftmals die Motivation für Unternehmensverschmelzungen ebenso wie für Spaltungen. Bereits vorher galt dies (und gilt auch heute noch) für die Anwachsung nach §§ 736, 738 BGB. In diesen Fällen wird für Zwecke der Erbschaftsteuer das technische Merkmal des jeweiligen Übertragungsaktes ersetzt und überlagert durch den schlichten Zeitaspekt. Kommt es demnach zu einem Ausscheiden eines Gesellschafters einer Personengesellschaft zu dessen Lebzeiten und kommt es in diesem Zusammenhang zu einer freigebigen Zuwendung, so bleibt es trotz der Technik des ganzheitlichen Übertragungsaktes bei einer Schenkung unter Lebenden (§ 7 Abs. 5 und 7 ErbStG). Umgekehrt – bei der Vererbung einer Beteiligung an einer Personengesellschaft – werden die Rechtsfolgen etwaiger Ausgleichszahlungen, die sich im Wege der Einzel­nachfolge vollziehen, als Erwerb von Todes wegen behandelt (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 ErbStG). Im Vordergrund der primären erbschaftsteuerlichen Zuordnung steht demnach nicht der rechtstechnische Übertragungsaspekt, sondern der phänomenologische Sachverhalt (Übertragung durch Tod oder unter Lebenden).

Diese Vorabüberlegungen spielen bei Auslegungsfragen zur Schenkung auf den Todesfall (§ 2301 BGB bzw. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) eine ebenso große Rolle wie bei der erbschaftsteuerlichen Einordnung der so häufig praktizierten Lebensversicherung auf den Todesfall (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG). Den Testfall hierzu bilden die Versorgungsansprüche der Angehörigen des verstorbenen Gesellschafter-Geschäftsführers. Entgegen der modernen Doktrin im Zivilrecht und in der Einkommensteuer beantwortet das Erbschaftsteuerrecht diese Grenzfragen der Rechtsordnung weitgehend pragmatisch unter dem Gesichtspunkt des einheitlichen Zusammenhangs mit dem Todesfall. Sie werden damit dem Erbschaftsteuerrecht unterstellt.

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