A. Bedeutung der Vorschrift

 

Tz. 1

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Vorschrift regelt die Gesamtschuldnerschaft im Steuerrecht. Der Gesetzgeber hat sich auf die rein schuldrechtliche Darstellung der Fälle der Gesamtschuld beschränkt und davon abgesehen, ausdrücklich die Auswahl unter den Gesamtschuldnern durch die Finanzbehörde zu reglementieren. Wegen der Rechtsfolgen der Gesamtschuld setzt die Vorschrift die Regelungen der §§ 421ff. BGB voraus und passt sie so weit erforderlich an die Bedürfnisse des Steuerrechts an.

B. Mehrheit von Verpflichteten

 

Tz. 2

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An einem Steuerschuldverhältnis können aus verschiedenen Gründen mehrere Personen als Verpflichtete beteiligt sein:

 

Tz. 3

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Im Sinne des § 43 AO kann sich eine Mehrheit von Steuerschuldnern aus dem in Betracht kommenden Einzelsteuergesetz ergeben; s. z. B. § 20 ErbStG, § 13 GrEStG, § 10 Abs. 3 GrStG und Art. 84 UZK.

 

Tz. 4

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Das EStG sieht in §§ 26, 26b vor, dass Ehegatten die Zusammenveranlagung wählen können. In diesem Fall sind die zusammenveranlagten Personen nebeneinander Steuerschuldner. Das Gleiche gilt für eingetragene Lebenspartnerschaften vgl. § 2 Abs. 8 EStG.

 

Tz. 5

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In den Fällen der steuerlichen Haftung (s. §§ 69 bis 76 AO und die besonderen Haftungsvorschriften in anderen Gesetzen) können mehrere Haftende nebeneinander vorhanden sein.

 

Tz. 6

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Nicht angesprochen ist das Verhältnis zwischen Steuerschuldnern und Haftenden. Der BFH (BFH v. 27.03.1968, II 98/62, BStBl II 1968, 376) spricht von einer "unechten Gesamtschuld". Da der Haftungsanspruch den Steueranspruch, auf den er sich bezieht, unberührt lässt, sind Steuerschuldner und Steuerhaftender nebeneinander gegenüber der Finanzbehörde verpflichtet. Daher sind auch sie Gesamtschuldner. Besonderheiten können sich nur hinsichtlich der Frage ergeben, ob die Finanzbehörde ermessensfehlerhaft handelt, wenn sie sich nicht zunächst an den Steuerschuldner hält. Im Grundsatz hat der Gesetzgeber diese Frage in § 219 AO ausdrücklich geregelt, denn dort kommt zum Ausdruck, dass der Steuerschuldner – von Ausnahmefällen abgesehen – vorrangig zur Zahlung aufgefordert werden soll.

C. Bedeutung der gesamtschuldnerischen Verpflichtung

 

Tz. 7

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Gesamtschuldnerische Verpflichtung i. S. des § 44 AO bedeutet wie im Zivilrecht (s. § 421 BGB), dass jeder Verpflichtete die ganze Leistung schuldet (§ 44 Abs. 1 Satz 2 AO). Der Abdingbarkeit im bürgerlichen Recht entspricht die ausdrückliche Beschränkung "soweit nichts anderes bestimmt ist". Wenn auch jeder Gesamtschuldner die gesamte Leistung schuldet, kann sie der Gläubiger dennoch nur einmal fordern (s. § 421 Satz 1 BGB). Fordern in diesem Sinn meint nicht die Geltendmachung durch Verwaltungsakt, sondern dass der gesamtschuldnerisch geschuldete Geldbetrag nur einmal vereinnahmt werden darf (s. § 44 Abs. 2 Satz 1 AO).

D. Tatsachen, die für und gegen jeden Gesamtschuldner wirken

 

Tz. 8

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§ 44 Abs. 2 AO befasst sich mit der Frage, inwieweit sich Tatsachen, die nur in Bezug auf einen Gesamtschuldner in Erscheinung treten, auf den oder die anderen Gesamtschuldner auswirken.

I. Erfüllung, Aufrechnung und Sicherheitsleistung

 

Tz. 9

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§ 44 Abs. 2 Satz 1 AO übernimmt wörtlich § 422 Abs. 1 Satz 1 BGB, wonach die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner auch für die übrigen Schuldner wirkt. Erfüllung bedeutet Begleichung der Schuld, hinsichtlich der das Gesamtschuldverhältnis besteht. Gleichgültig ist, ob die Erfüllung durch freiwillige Zahlung oder im Vollstreckungsweg erfolgt. Hat ein Gesamtschuldner die gegen ihn unanfechtbar festgesetzte Steuer getilgt, darf deshalb gegen einen anderen Gesamtschuldner kein Steuerbescheid mehr erlassen werden, selbst wenn er dies beantragt (BFH v. 04.06.1975, II R 7/73, BStBl II 1975, 895). Zur Tilgung s. §§ 224, 225. Wird zusammenveranlagte Einkommensteuer von einem Ehegatten getilgt, kann das FA mangels entgegenstehender ausdrücklicher Absichtsbekundungen aufgrund der zwischen den Ehegatten bestehenden Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft davon ausgehen, dass die Zahlung auf die gemeinsame Steuerschuld bewirkt ist. Das hat zur Folge, dass im Falle einer späteren Erstattung nach § 37 Abs. 2 AO beide Ehegatten gemeinsam berechtigt sind (BFH v. 15.11.2005, VII R 16/05, BStBl II 2006, 453).

 

Tz. 10

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Auch wenn im Wege der Aufrechnung durch einen der Gesamtschuldner bzw. gegenüber einem der Gesamtschuldner die Schuld zum Erlöschen gebracht wird, wirkt dies auch für die übrigen Gesamtschuldner (s. § 44 Abs. 2 Satz 2 AO erste Alternative).

 

Tz. 11

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Wird gesamtschuldnerisch die Leistung von Sicherheiten geschuldet, wirkt die Sicherheitsleistung durch einen der Gesamtschuldner auch für die übrigen Schuldner (§ 44 Abs. 2 Satz 2 AO zweite Alternative).

II. Andere Tatsachen

 

Tz. 12

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Andere Tatsachen wirken nur für und gegen den Gesamtschuldner, in dessen Person sie eintreten (s. § 425 BGB). So berührt eine Stundung (s. § 222), die einem Gesamtschuldner gewährt wird, nur diesen und läs...

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