Tz. 93

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Tatmehrheit (Realkonkurrenz, s. § 53 StGB) ist gegeben, wenn der Täter durch mehrere selbstständige Handlungen mehrere Straftaten begeht, seien es Straftaten verschiedener Art (ungleichartige Realkonkurrenz), sei es dieselbe Straftat mehrfach (gleichartige Realkonkurrenz). Bei der Hinterziehung verschiedener Steuerarten durch mehrere Erklärungen liegen im Allgemeinen mehrere selbstständige Taten vor (BGH v. 12.05.1989, 3 StR 55/89, wistra 1989, 264; zu den Fällen der Tateinheit s. Rz. 86). Tatmehrheit liegt auch hinsichtlich der Steuererklärungen vor, die verschiedene Besteuerungszeiträume betreffen (mehrere Lohnsteueranmeldezeiträume, BGH v. 14.06.2011, 1 StR 90/11, NStZ 2011, 645) oder wenn für mehrere fingierte Unternehmen gleichzeitig inhaltlich unzutreffende Umsatzsteueranmeldungen zur Post gegeben werden (BGH v. 24.11.2004, 5 StR 220/04, wistra 2005, 56). Das gilt auch im Verhältnis zwischen der Nichtabgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und der Nichtabgabe der Umsatzsteuerjahresanmeldung (BGH v. 28.10.2004, 5 StR 276/04, NJW 2005, 374). Allerdings bilden die Umsatzsteuervoranmeldungen eines Jahres und die anschließende Umsatzsteuerjahreserklärung des nämlichen Jahres eine einheitliche Tat im prozessualen Sinn nach § 264 StPO (BGH v. 24.11.2004, 5 StR 206/04, NJW 2005, 836; BGH v. 17.03.2005, 5 StR 328/04, NStZ 2005, 517). Ebenfalls Tatmehrheit, aber eine Tat im prozessualen Sinn ist gegeben, wenn eine objektiv unrichtige oder unvollständige Steuererklärung abgegeben wird und nicht aufklärbar ist, ob dies vorsätzlich oder unbewusst geschehen ist, der Fehler aber später sicher erkannt und entgegen § 153 AO nicht berichtigt wurde (BGH v. 11.11.2007, 5 StR 213/07, wistra 2008, 22; Anm. Leplow, wistra 2008, 384; kritisch zum prozessualen Tatbegriff Bauer, wistra 2008, 374).

 

Tz. 94

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Bei Tatmehrheit sieht das Gesetz Strafenhäufung durch Bildung einer Gesamtstrafe vor (s. §§ 53 bis 55 StGB). Diese wird durch die Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe, bei Strafen verschiedener Art durch Erhöhung der ihrer Art nach schwersten Strafe gebildet. Trifft Freiheitsstrafe mit Geldstrafe zusammen, so kann auf Letztere auch gesondert, d. h. neben der Freiheitsstrafe erkannt werden. Die Gesamtstrafe darf die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen. Auf Nebenstrafen und Nebenfolgen (s. § 375 AO; s. §§ 45, 70 StGB) kann erkannt werden, wenn eines der anwendbaren Strafgesetze sie vorschreibt oder zulässt. Bei der Bildung der Gesamtstrafe sollten u. E. die Grundsätze zum Fortsetzungszusammenhang nicht aus den Augen verloren werden, weil sonst der Wegfall dieses Instituts zu einer Verschärfung der Rechtslage führt (Joecks in JJR, § 369 AO Rz. 117). Durch den Fortsetzungszusammenhang wurden mehrere Handlungen zu einer Tat im Rechtssinn zusammengefasst, was zur Folge hatte, dass keine Gesamtstrafe zu bilden war. Dies führte nach den allgemein praktizierten Regeln der Strafzumessung unter Berücksichtigung des verursachten Schadens (s. Rz. 106) zu Strafen, die niedriger waren als dies im Fall der Gesamtstrafenbildung der Fall gewesen wäre. Da mit der Aufgabe des Fortsetzungszusammenhangs keine Verschärfung der Rechtslage beabsichtigt war (BGH v. 03.05.1994, GSSt 2 und 3/93, NJW 1994, 1663) sollte auch eine zu bildende Gesamtstrafe wegen mehrerer Steuerverkürzungen den Rahmen nicht überschreiten, der anzuwenden wäre, wenn es sich um nur eine Tat im Rechtssinn handelte.

 

Tz. 95

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Eine Gesamtstrafenbildung setzt die gleichzeitige Aburteilung der mehreren Straftaten voraus. Die Bildung einer Gesamtstrafe erfolgt nachträglich, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat (s. § 55 StGB).

 

Tz. 96

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Aus der Rechtsprechung: OLG Hamburg v. 20.12.1961, Ss 223/61, NJW 1962, 754: Tatmehrheit zwischen Hehlerei und Hinterziehung der aus Ersterer gewonnenen Einkünfte; BGH v. 24.07.1987, 3 StR 36/87, wistra 1987, 349, BGH v. 21.09.2005, 5 StR 263/05, wistra 2005, 458: Tatmehrheit zwischen Beitragsvorenthaltung (s. § 266a StGB) und Lohnsteuerhinterziehung; OLG Köln v. 24.06.1986, Ss 125/86, wistra 1986, 273: Tatmehrheit bei Lohn- und Umsatzsteuerhinterziehung; OLG Hamm v. 06.12.1962, 2 Ss 935/62, BB 1963, 459: Tatmehrheit, wenn die verkürzten Steuern verschiedenen Steuergläubigern zufließen; BGH v. 21.08.2012, 1 StR 26/12, wistra 2012, 482: Tathandlungen hinsichtlich desselben Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis, die sowohl im Festsetzungs- wie auch im Beitreibungsverfahren begangen werden; BGH v. 04.09.2013, 1 StR 374/13, NStZ 2014, 102: Tatmehrheit und auch mehrere Taten im prozessualen Sinn bei der Hinterziehung von Einfuhrabgaben und anschließender Hinterziehung der Umsatzsteuer aus der Veräußerung der Waren; BGH v. 20.01.2016, 1 StR 530/15, wistra 20...

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