Tz. 5

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Unbilligkeit liegt in der Sache selbst, wenn sie sich als unmittelbare Folge der Besteuerung, also aus dem steuerlichen Tatbestand, unabhängig von der Wirtschaftslage des Schuldners ergibt. Dabei ist maßgebend, ob nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers auf dem in Frage kommenden Steuerrechtsgebiet angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitsweg zu entscheidende Frage – hätte er sie geregelt – i. S. des beabsichtigten Erlasses entschieden haben würde (BFH v. 17.04.2013, X R 6/11, BFH/NV 2013, 1537; BFH v. 14.10.2015, I R 20/15, BFH/NV 2016, 475; BFH v. 10.03.2016, III R 2/15, BStBl II 2016, 12). Umstände, die dem Besteuerungszweck entsprechen oder die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Tatbestands bewusst in Kauf genommen hat, können einen Billigkeitserlass nicht rechtfertigen (BFH v. 08.10.2013, X R 3/10, BFH/NV 2014, 5; BFH v. 17.12.2013, VII R 8/12, BFH/NV 2014, 748; BFH v. 10.03.2016, III R 2/15, BStBl II 2016, 12). Aus der Tatsache, dass der Besteuerung bei bestimmten Steuerarten generell das Prinzip der Abschnittsbesteuerung zugrunde liegt, kann daher grds. eine eine Billigkeitsmaßnahme aus sachlichen Gründen rechtfertigende Härte nicht gefolgert werden (von Wedelstädt, AO-StB 2013, 219).

 

Tz. 6

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die sachliche Unbilligkeit kann seine Ursache zwar auch in der Fortentwicklung sozial- oder wirtschaftspolitischer Auffassungen nach Inkrafttreten eines Steuergesetzes haben. § 227 AO räumt dem FA allerdings nicht die Befugnis ein, anstelle einer vom Gesetzgeber unterlassenen sozial- oder wirtschaftspolitischen Maßnahme, die gesetzlich geschuldete Steuer ganz oder teilweise nicht zu erheben. Hier gilt: Steuern sind nach dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung grundsätzlich von jedem zu erheben, bei dem ein Steuertatbestand verwirklicht ist. Die Berücksichtigung gewandelter sozial- oder wirtschaftspolitischer Auffassungen ist Aufgabe des Steuergesetzgebers (s. § 3 Abs. 1 Satz 1 AO a. E.). Unzulässig war daher z. B. eine Billigkeitsregelung, die für Grundstückserwerbe durch Flüchtlinge auf Antrag GrESt-Befreiung gewährte (BFH v. 07.08.1974, II R 57/72, BStBl II 1975, 51; BFH v. 03.08.1977, II R 95/75, BStBl II 1978, 42 m. w. N.).

 

Tz. 7

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Nach Zweck und Rechtsnatur der Säumniszuschläge (§ 240 AO) sind diese wegen sachlicher Unbilligkeit zur Hälfte zu erlassen, wenn dem Stpfl. die rechtzeitige Zahlung der Steuerschulden wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich war (BFH v. 18.07.2001, X B 161/00, BFH/NV 2002, 7; BFH v. 18.03.2003, X B 66/02, BFH/NV 2003, 886; BFH v. 30.03.2006, V R 2/04, BStBl II 2006, 612). Die Beschränkung auf die Hälfte ergibt sich aus der Überlegung, dass die Säumniszuschläge auch den Zweck haben, dem Fiskus eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung und den mit der Säumnis verbundenen Verwaltungsaufwand zu vergüten (BFH v. 16.07.1997, XI R 32/96, BStBl II 1998, 193; BFH v. 18.03.2003, X B 66/02, BFH/NV 2003, 886). Das rechtfertigt, Säumniszuschläge in der Höhe zu erheben, in denen der säumige Schuldner im Falle der Stundung oder AdV mit Zinsen belastet worden wäre (BFH v. 07.07.1999, X R 87/96, BFH/NV 2000, 161).

 

Tz. 8

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Ein weitergehender Erlass von Säumniszuschlägen ist gerechtfertigt, wenn nach den Umständen des Einzelfalls im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuerschuld die Voraussetzungen für einen Erlass der Hauptforderung oder für einen Verzicht auf Stundungszinsen (§ 234 Abs. 2 AO) erfüllt waren, was im Allgemeinen nicht der Fall ist (BFH v. 16.07.1997, XI R 32/96, BStBl II 1998, 193; BFH v. 30.03.2006, V R 2/04, BStBl II 2006, 612; s. dazu Heuermann in HHSp., § 240 AO Rz. 109; Oellerich in Gosch, § 227 AO Rz. 74; a. A. voller Erlass: Loose in Tipke/Kruse, § 240 AO Rz. 56). Die Anforderung von Säumniszuschlägen kann auch dann sachlich unbillig sein, wenn dem Steuerschuldner als Maßnahme nach § 258 AO Ratenzahlung eingeräumt wurde, um auf die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit längerfristig Rücksicht zu nehmen und zwar insoweit als die Säumniszuschläge einen entsprechenden Zinsanspruch bei Stundung übersteigen (BFH v. 22.06.1990, III R 150/85, BStBl II 1991, 864).

 

Tz. 9

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Bestandskraft eines Steuerbescheids hat für die Zulässigkeit des Steuererlasses grundsätzlich keine Bedeutung. So steht ein schwebendes Einspruchsverfahren dem Erlass der streitigen Steuer nicht entgegen. Jedoch können im Erlassverfahren Einwendungen, die im Einspruchsverfahren gegen den Steuerbescheid hätten geltend gemacht werden können und müssen, nicht mehr vorgebracht werden. § 227 AO bietet keine Möglichkeit, ein unterbliebenes Einspruchsverfahren nunmehr im Erhebungsverfahren nachzuholen. Mithin ist es regelmäßig nicht ermessenswidrig, wenn die Finanzbehörden Erlassanträge ablehnen, wenn diese – nur – mit Einwendungen gegen den Steueranspruch begründet werden (BFH v. 18.11.1...

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