Tz. 5

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

§ 88 Abs. 1 Satz 1 AO begründet die Verpflichtung, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Die Norm ist damit die Grundnorm des Untersuchungsgrundsatzes. Die Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung ist aber nicht grenzenlos. In diesem Sinne wird die Art und Weise der Ausfüllung dieser Verpflichtung durch § 88 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 AO konkretisiert und auf die notwendigen Ermittlungshandlungen beschränkt. § 88 Abs. 3 und Abs. 5 AO enthalten weitere Einschränkungen der Untersuchungsmaxime.

Dass die Sachverhaltsermittlung der Finanzbehörden durch das Legalitätsprinzip geprägt ist, verdeutlicht § 88 Abs. 1 Satz 2 AO. Danach muss die Behörde auch die für die Beteiligten günstigen Umstände berücksichtigen. Auch dies gilt in allen Verfahrensabschnitten und insbes. bei Außenprüfungen; auch der Prüfer darf sich nicht darauf beschränken, ausschließlich zu Mehrsteuern führende Ermittlungen anzustellen.

 

Tz. 6

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Nach § 88 Abs. 2 Satz 1 AO bestimmt die Finanzbehörde ohne Bindung an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten Art und Umfang der Ermittlungen, insbes. entscheidet sie auch darüber, durch welches Beweismittel die für die Besteuerung bedeutsamen Tatsachen erhärtet werden sollen (s. auch § 92 AO). Diese Entscheidung hat sie nach freiem Ermessen unter Berücksichtigung der für die Ermessensausübung allgemein (s. § 5 AO und die dortigen Erläuterungen) und für die Wahl von Beweismitteln speziell geltenden Grundsätze (s. § 93 Abs. 1 Satz 3 AO, § 95 Abs. 1 Satz 2 AO) zu treffen (BFH v. 11.01.1977, VII R 4/74, BStBl II 1977, 310). Ungeachtet dessen gehören Vorbringen und Beweisanträge der Beteiligten zu den wichtigsten Quellen der Sachverhaltsermittlung. Da die steuerlich bedeutsamen Sachverhalte in der Regel zur Lebenssphäre des Beteiligten gehören, ist die Mitteilung geeigneter Beweismittel deshalb wichtiger Bestandteil der Mitwirkungspflicht des Beteiligten (s. § 90 Satz 2 AO).

Grundsätzlich hat die Finanzbehörde bis zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts alle ihr offenstehenden Erkenntnisquellen zu nutzen. Die Vorschrift dient nämlich auch dem in § 85 AO verankerten Legalitätsprinzip, sodass der Umfang der Ermittlungspflicht grundsätzlich nicht durch ein Nutzen-Kosten-Denken eingeschränkt ist. Allerdings ist die FinVerw. schon vor der Neukodifizierung des § 88 AO zu Recht davon ausgegangen, dass die angestellten Ermittlungen zu dem angestrebten Erfolg nicht erkennbar außer Verhältnis stehen dürfen und Zweckmäßigkeitserwägungen berücksichtigt werden dürfen (AEAO zu § 88, Nr. 1; zu Einschränkungen der Ermittlungspflicht auch s. Rz. 11).

 

Tz. 7

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Mit der in § 88 Abs. 2 Satz 2 AO ab dem 01.01.2017 geltenden Regelung ist nunmehr auch gesetzlich bestimmt, dass in die Entscheidungen über Art und Umfang der Ermittlungen auch Erwägungen zur Wirtschaftlichkeit und die Zweckmäßigkeit einfließen können. Nach Ansicht des Gesetzgebers (BT-Drs. 18/7457, 68) ist die Regelung nur deklaratorischer Natur, da die Zulässigkeit von Zweckmäßigkeitserwägungen und das Wirtschaftlichkeitsgebot in der Rspr. bereits seit Langem anerkannt seien (vgl. BVerfG v. 20.06.1973, 1 BvL 9-10/71, BStBl II 1973, 620; v. BVerfG v. 31.05.1988, 1 BvR 520/83, BVerfGE 78, 214; BFH v. 05.06.2007, IX B 29/06, BFH/NV 2007, 1174). Dem ist insoweit zu folgen, als diese Erwägungen in der Tat typische Anforderungen an das Verwaltungshandeln sind. Das Gebot zweckmäßigen Handels, das Wirtschaftlichkeitsprinzip und das Gebot des ressourcenschonenden Umgangs mit öffentlichen Mitteln sind der Verwaltungstätigkeit immanent (gl. A. Seer in Tipke/Kruse, § 88 AO Rz. 14). Gleichwohl geht die nunmehr geltende gesetzliche Regelung über eine reine Übernahme der Rechtsprechungsgrundsätze hinaus. Die Kriterien, die bislang Teil der Abwägung bei der Ausübung des Verfahrensermessen waren, sind zu eigenständigen – wenn auch denknotwendig unbestimmten – Tatbestandsmerkmalen erstarkt. Formal stehen sie damit scheinbar gleichwertig neben dem Legalitätsprinzip in § 85 AO und dem Amtsermittlungsgrundsatz. Diese vermeintliche Gleichwertigkeit bedarf indes eines Korrektivs. Unter dem Aspekt des Art. 3 GG und dem daraus folgenden Grundsatz der Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung können Wirtschaftlichkeitserwägungen allein nicht ausreichen, den Ermittlungsumfang zu bestimmen. Es geht nicht darum, das fiskalisch bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Ziel muss weiterhin sein, mit angemessenem Aufwand zu dem möglichst zutreffenden, also gesetzmäßigen Besteuerungsergebnis zu kommen. Demzufolge können z. B. rein betriebswirtschaftliche Erwägungen, wie eine Kosten-Nutzen-Rechnung, nicht alleiniger Maßstab der Finanzbehörden sein. Nicht außer Acht gelassen werden darf zudem, dass Art und Umfang der Ermittlungen auch der Verwirklichung des Verifikationsprinzips dienen. Die mit der Sachverhaltsermittlung typischerweise verbundene Kontrollfunktion stellt über den Einzelfall ...

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