Tz. 1

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Nach der Intention des Gesetzgebers soll die Verzinsung nach § 233a AO im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen einen Ausgleich dafür schaffen, dass die Steuern trotz des gleichen gesetzlichen Entstehungszeitpunktes zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und erhoben werden (BT-Drs. 11/2157; s. auch AEAO zu § 233a, Nr. 1). Nicht zuletzt soll die Vorschrift neben der Abschöpfung von Liquiditätsvorteilen des Stpfl. dazu dienen, Zinsnachteile des Steuergläubigers auszugleichen. Dabei bedient sich der Gesetzgeber einer typisierenden Betrachtungsweise (BFH v. 02.09.2008, VIII R 2/07, BStBl II 2010, 25; BFH v. 21.10.2010, IV R 6/08, BFH/NV 2011, 430; BFH v. 21.05.2017, I R 77/15, BFH/NV 2017, 1409). Der Typisierung entspricht, dass es für die Zinsfestsetzung unerheblich ist, ob dem Stpfl. tatsächlich Zinsvorteile entstanden sind (BFH v. 08.10.2013, X R 3/10, BFH/NV 2014, 5; BFH v. 01.06.2016, X R 66/14, BFH/NV 2016, 1668). Auf der anderen Seite sollen Zinsnachteile des Stpfl. durch verspätete Erstattungen ausgeglichen werden; dementsprechend sind die Erstattungszinsen Gegenleistung dafür, dass der Stpfl. dem Fiskus Kapital zur Nutzung überlassen hat, zu dessen Überlassung er nicht verpflichtet war (BFH v. 15.06.2010, VIII R 33/07, BStBl 2011, 503). Ob die komplizierte Regelung mit ihrer Vielzahl möglicher Fallgestaltungen zu einer gerechten Steuererhebung beiträgt, ist zu Recht immer wieder bezweifelt worden (z. B. Kruse, FR 1988, 12; Loose in FS Kruse, 297). Im Ergebnis führt die Verzinsung zu Mehreinnahmen des Fiskus, da die Mehrzahl der Zinsfälle Nachforderungsfälle, etwa nach Außenprüfungen, betrifft.

§ 233a AO ordnet keine allgemeine Vollverzinsung an, sondern nur eine beschränkte Vollverzinsung. Die Verzinsung ist nämlich nur für bestimmte Steuerarten (s. § 233a Abs. 1 AO) angeordnet und setzt nicht mit der Entstehung des Anspruchs, sondern erst nach einer Karenzzeit (§ 233a Abs. 2 Satz 1 AO) ein. Ist die Karenzfrist verstrichen, entsteht die Zinspflicht unabhängig davon, ob tatsächlich Zinsvorteile entstanden sind. Auf ein Verschulden kommt es nicht an (BFH v. 02.08.2005, X B 139/04, BFH/NV 2005, 2152). Da eine zeitliche Befristung des Zinslaufes nicht (mehr) vorgesehen ist, können sich erhebliche Zinsbelastungen ergeben, zumal die Vollverzinsungszinsen weder als Sonderausgaben noch als Werbungskosten oder Betriebsausgaben ertragsteuerlich berücksichtigt werden können.

 

Tz. 2

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Vorschrift ist verfassungsgemäß (BFH v. 06.11.2002, V R 75/01, BStBl II 2003, 115; BFH v. 20.04.2011, I R 80/10, BFH/NV 2011, 1654; BFH v. 21.05.2017, I R 77/15, BFH/NV 2017, 1409), auch soweit eine Verzinsung von Vorauszahlungen und Steuerabzugsbeträgen ausgeschlossen ist (BVerfG v. 03.09.2009, 1 BvR 1098/08, HFR 2010, 66) und – soweit die Zinsen Umsatzsteuer betreffen – auch mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar (BFH v. 09.10.2002, V R 81/01, BStBl II 2002, 887; BFH v. 31.07.2007, V B 156/06, BFH/NV 2008, 416). Auch die Nichtabziehbarkeit von Nachzahlungszinsen ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BFH v. 15.11.2006, XI R 73/03, BStBl II 2007, 387; BFH v. 21.10.2010, IV R 6/08, BFH/NV 2011, 430; BFH v. 15.02.2012, I B 97/11, BStBl II 2012, 697). Dies gilt gleichermaßen für den Abzug als Sonderausgaben wie auch als Werbungskosten oder Betriebsausgaben (BFH v. 13.12.2005, VIII B 74/05, BFH/NV 2006, 740; BFH v. 15.04.2015, VIII R 30/13, BeckRS 2015, 95778; Verfassungsbeschwerde eingelegt, 2 BvR 1711/15). Insgesamt hat sich der Gesetzgeber bei den Regelungen über die Vollverzinsung noch im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungs- und Typisierungsspielraums gehalten, da die Regelung unter hinreichender Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze der Ausgestaltung eines praktikablen Besteuerungsverfahrens dient (BVerfG v. 03.09.2009, 1 BvR 2539/07, HFR 2010, 171; BFH v. 06.04.2009, X B 257/08, BFH/NV 2009, 1078; BFH v. 29.05.2013, X B 233/12, BFH/NV 2013, 1380).

Die Höhe des Zinssatzes beträgt 0,5 v. H. für jeden Monat des Zinslaufs (§ 238 AO). Die sich damit ergebende Jahreszinshöhe von 6 v. H. ist immer wieder Gegenstand verfassungsrechtlicher Zweifel. Jedenfalls bis 2012 geht die Rspr. davon aus, dass der Zinssatz trotz niedriger Marktzinsen verfassungsgemäß ist (vgl. BFH v. 21.10.2015, V B 36/15, BFH/NV 2016, 223; FG Münster v. 17.08.2017, 10 K 2472/16, EFG 2017, 1638 m. w. N., Rev. BFH III R 25/17). Dem ist im Hinblick auf die mit der Typisierung verbundene Vereinfachung zu folgen: Hinzu kommt, dass auch auf dem Kapitalmarkt z. T. noch höhere Zinsen, z. B. bei Überziehungen oder unsicherer Bonität, verlangt werden. Zuzugeben ist allerdings, dass in den "Normalfällen" für Darlehen niedrigere Zinssätze verlangt werden. Für den VZ 2015 hat der BFH nunmehr in einem Aussetzungsverfahren verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Zinssteuer geäußert (BFH v. 25.04.2018, IX B 21/18, BFH/NV 2018, 748) (s. auch ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Kühn, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung (Schäffer-Poeschel). Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge