Tz. 45

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Besteuerungsgrundlagen sind zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind; das gewonnene Schätzungsergebnis muss in sich schlüssig sein, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein. Auf der anderen Seite ist aber auch das Maß der Verletzung der dem Steuerpflichtigen obliegenden Mitwirkungspflichten zu berücksichtigen.Das setzt u. a. voraus, dass alle möglichen Anhaltspunkte, u. a. auch das Vorbringen des Stpfl. oder eine an sich fehlerhafte Buchführung, zu beachten und alle Möglichkeiten auszuschöpfen sind, um im Rahmen des der Finanzbehörde Zumutbaren die Besteuerungsgrundlagen wenigstens teilweise zu ermitteln (BFH v. 20.03.2017, X R 11/6, BStBl II 2017, 992), und feststehende Tatsachen zu berücksichtigen (BFH v. 15.05.2002, X R 33/99, BFH/NV 2002, 1415). Das FA hat im Rahmen der Schätzung alle ihm bekannten Umstände zugunsten oder zuungunsten des Stpfl. zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind (§ 162 Abs. 1 Satz 2 AO). Es muss alle Erkenntnismittel ausschöpfen, deren Beschaffung und Verwertung ihm zumutbar und möglich sind, wie Kenntnisse, die ihm z. B. aufgrund von Umsatzsteuervoranmeldungen oder aus anderen Gründen aktenkundig vorliegen. Aber auch wenn derartige Erkenntnismöglichkeiten und andere geeignete Anhaltspunkte für die Schätzung fehlen, muss es Ziel der Schätzung sein, die Besteuerungsgrundlagen annähernd zutreffend zu ermitteln ("größtmögliche Wahrscheinlichkeit", BFH v. 18.12.2002, I R 92/01, BFH/NV 2003, 964). Die Schätzung darf jedoch nicht dazu verwendet werden, die Steuererklärungspflichtverletzung zu sanktionieren und den Stpfl. zur Abgabe der Erklärungen anzuhalten (BFH v. 20.12.2000, I R 50/00, BStBl II 2001, 381).

 

Tz. 46

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Auf der anderen Seite ist aber auch das Maß der Verletzung der dem Stpfl. obliegenden Mitwirkungspflichten zu berücksichtigen. Im Besteuerungsverfahren ist der Stpfl. zur Mitwirkung verpflichtet (auch s. Rz. 9). Verletzt er diese Pflicht, darf sich das zu seinen Ungunsten auswirken, zumal er den Anlass für die Schätzung gegeben hat (BFH v. 18.12.1984, VIII R 195/82, BStBl II 1986, 226). Das gilt in besonderem Maße, wenn er seine Steuererklärung nicht oder nur unvollständig abgegeben hat. Er darf aus der Verweigerung seiner Mitwirkung keine Vorteile erzielen gegenüber denjenigen, die ihren steuerlichen Pflichten ordnungsgemäß nachkommen (BFH v. 01.10.1992, IV R 34/90, BStBl II 1993, 259). Das FA kann sich in diesem Fall an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens bewegen, weil der Stpfl. möglicherweise Einkünfte verheimlichen will (u. a. BFH v. 28.07.2014, VIII R 2/09, BStBl II 2016, 447); bei steuermindernden Besteuerungsgrundlagen darf es sich dementsprechend an der unteren Grenze des Schätzungsrahmens bewegen. Es kann zur Beseitigung von Besteuerungsrisiken aufgrund der mangelhaften Mitwirkung, insbes. bei nicht ordnungsmäßiger Buchführung, ohne Bindung an das Maß einer großen oder gar überwiegenden Wahrscheinlichkeit griffweise im Wege der Schätzung Unsicherheitszuschläge ansetzen (BFH v. 01.10.1992, IV R 34/90, BStBl II 1993, 259; BFH v. 01.12.1998, III B 78/97, BFH/NV 1999, 741).

 

Tz. 47

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Regelmäßig enthält die im Schätzungswege ermittelte Besteuerungsgrundlage einen Unsicherheitsbereich, der vom Wahrscheinlichkeitsgrad der Schätzung abhängig ist. Je umfangreicher der ihr zugrunde gelegte sichere Sachverhalt und je zuverlässiger die angewandte Schätzungsmethode ist, desto wahrscheinlicher ist eine Schätzung zutreffend. Eine genaue Bestimmung der Besteuerungsgrundlage kann allerdings im Schätzungsweg trotz Bemühens um Zuverlässigkeit allenfalls zufällig erreicht werden (BFH v. 26.04.1983, VIII R 38/82, BStBl II 1983, 618). Insofern ergibt sich ein Schätzungsrahmen, innerhalb dessen die geschätzten Werte der erforderlichen Wahrscheinlichkeit entsprechen. Auch der Sicherheitszuschlag stellt dabei eine griffweise Schätzung dar, die in einem vernünftigen Verhältnis zu den erklärten oder nicht erklärten Einnahmen stehen muss (BFH v. 20.03.2017, X R 11/6, BStBl II 2017, 992 m. w. N.). Solange sich die Schätzung in diesem Schätzungsrahmen hält, ist sie rechtmäßig. Sie ist erst dann rechtswidrig, wenn sie den durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen verlässt, insbes. wenn das FA bewusst zum Nachteil des Stpfl. geschätzt hat (BFH v. 15.07.2014, X R 42/12, BFH/NV 2015, 145 m. w. N.; auch s. Rz. 61 f.).

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