Tz. 5

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Mit den Folgewirkungen des Steuergeheimnisses (s. § 30 AO) für das Strafverfahren befasst sich § 393 Abs. 2 AO. Angesichts der umfassenden Offenbarungspflichten hinsichtlich sämtlicher Tatsachen und Verhältnisse, die für die Besteuerung von Bedeutung sind und des Umstandes, dass die Steuerpflicht dort nicht halt macht, wo ein steuerlich relevantes Verhalten gegen die guten Sitten oder gegen ein gesetzliches Ge- oder Verbot verstößt (s. § 40 AO; BGH v. 02.12.2005, 5 StR 119/05, NJW 2006, 925), bedarf es auch für den Fall eines Geheimnisschutzes, dass die Staatsanwaltschaft oder das Gericht bei Erfüllung ihrer Aufgaben in einem Strafverfahren Kenntnis von steuerlich erheblichen Tatsachen und Verhältnissen erhalten (Vorrang des Steuergeheimnisses gegenüber dem Legalitätsprinzip, s. § 152 Abs. 2 StGB). Der Steuerpflichtige muss darauf vertrauen können, dass Tatsachen oder Beweismittel, die er der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren offenbart hat, nicht gegen ihn für die Verfolgung einer Tat verwendet werden, die kein Steuergesetz verletzt. Mit Rücksicht hierauf sieht § 393 Abs. 2 AO für bestimmte Tatsachen und Beweismittel (OLG Stuttgart v. 16.04.1986, 2 Ss 772/86, wistra 1986, 191) ein ausdrückliches Verwendungsverbot für das Strafverfahren wegen einer Tat vor, die keine Steuerstraftat im Sinne des § 369 AO ist. Auf verbotswidrig verwertete Tatsachen oder Beweismittel darf weder eine Verurteilung noch eine Strafschärfung gestützt werden. Nach anderer Auffassung folgt ein Verwertungsverbot bereits unmittelbar aus der Verfassung, wenn es sich bei dem Strafverfahren, in dem die Steuerakten gesichtet werden, um kein Steuerstrafverfahren handelt (so z. B. Hellmann in HHSp § 393 AO, Rn. 156, offengelassen BVerfG v. 27.04.2010, 2 BvL 13/07, wistra 2010, 341). Das Gesetz spricht nicht von der Verwertung, sondern von der Verwendung der Kenntnisse, sodass die Folge mehr als ein Verwertungsverbot ist (Blesinger,wistra 1991, 239, 244; Joecks in JJR § 393 AO Rz. 64 ff. zur Frage der Fernwirkung). Dies bewirkt, dass z. B. eine Verdachtsanzeige nach § 31b AO dazu genutzt werden kann, ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Geldwäsche einzuleiten, nicht aber wegen des Verdachts einer Vortat, sofern für diese keine eigene Offenbarungsbefugnis besteht (s. § 31b AO Rz. 7). Werden allerdings in dem Verfahren wegen des Verdachts nach § 261 StGB Hinweise gefunden, die den Verdacht einer Vortat begründen, können diese im Strafverfahren rechtmäßig gewonnenen Zufallsfunde für Zwecke eines Strafverfahrens wegen der Vortat verwendet werden (BVerfG v. 29.06.2005, 2 BvR 866/05, NJW 2005, 2766 zur Verwertung von Zufallserkenntnissen aus einer rechtmäßigen Telefonüberwachung wegen einer nicht im Katalog des § 100a StPO enthaltenen Tat; s. dazu jetzt § 393 Abs. 3 AO; s. auch Allgayer, NStZ 2006, 603) und als Begründung für den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses dienen (OLG München v. 21.08.2006, 4 St RR 148/06, wistra 2006, 472).

 

Tz. 6

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Das Verwendungsverbot gilt nicht, wenn ein nichtsteuerliches Delikt in Tateinheit zu einer Steuerstraftat steht(BGH v. 11.09.2003, 5 StR 253/03, wistra 2003, 429). Nach a. A. des BayObLG (BayObLG v. 18.02.1998, 4 St RR 2/98 wistra 1998, 197) soll das Verwendungsverbot bei tateinheitlicher Begehung von Steuerhinterziehung und dem Gebrauchmachen von gefälschten Belegen (§ 267 StGB) nur dann nicht eingreifen, wenn die Belege ohne Aufforderung der Behörde vorgelegt werden, weil dann keine steuerliche Pflicht i. S. des § 30 Abs. 4 Nr. 4b AO bestehe (BayObLG v. 06.08.1996, 4 St RR 104/96, wistra 1996, 353). Fordert das FA die Belege hingegen an (s. §§ 97, 200 Abs. 1 AO), so geschehe die Vorlage der verfälschten Belege in Erfüllung steuerlicher Pflichten, sodass keine Offenbarungsbefugnis nach § 30 Abs. 4 Nr. 4 AO gegeben sei. Somit bestehe das Verwendungsverbot nach § 393 Abs. 2 AO. Auch eine mögliche Offenbarungsbefugnis nach § 30 Abs. 5 AO ändere hieran nichts, da § 393 Abs. 2 AO nur die nach § 30 Abs. 4 Nr. 4 und 5 AO erlangten Erkenntnisse für verwertbar erklärt, nicht aber die nach § 30 Abs. 5 AO mitgeteilten Umstände (BayObLG v. 06.08.1996, 4 St RR 104/96, wistra 1996, 353; BayObLG v. 18.11.1997, 3 St RR 227/97, wistra 1998, 117). Der BGH (BGH v. 14.06.1999, 5 StR 159/99, wistra 1999, 341) hat zu Recht erhebliche Bedenken an der Richtigkeit dieser Auffassung. Bedenklich ist zum einen die Annahme, die Vorlage verfälschter Belege könne in Erfüllung steuerlicher Pflichten erfolgen (BGH v. 11.09.2003, 5 StR 253/03, wistra 2003, 429; BGH v. 05.05.2004, 5 StR 548/03, wistra 2004, 309, 312; Maier, wistra 1997, 53; Jarke, wistra 1997, 325; Joecks, wistra 1998, 86). Zum anderen stellt sich aber auch die Frage, welchen Zweck die in § 30 Abs. 5 AO gegenüber den Strafverfolgungsbehörden bestehende Offenbarungsbefugnis bezüglich vorsätzlich falscher Angaben des Betroffenen haben soll, wenn nicht den der Strafverfolgung (Blesinger, wistra 1991, 239, 2...

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