Tz. 3

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht soll die Finanzbehörde die Abgabe von Erklärungen, die Stellung von Anträgen oder die Berichtigung von Erklärungen oder Anträgen anregen, die offensichtlich nur versehentlich oder aus Unkenntnis unterblieben oder unrichtig abgegeben oder gestellt worden sind (§ 89 Abs. 1 Satz 1 AO). Ihre Grenze findet diese Fürsorgepflicht somit dort, wo die fehlende oder fehlerhafte Interessenwahrung nicht offensichtlich ist. Damit ist klargestellt, dass der Gesetzgeber die Finanzbehörde nicht allgemein mit der Rolle eines Beraters betrauen wollte. Allgemeine Steuerberatung unter der Maxime der möglichst steuerrechtlich günstigen Gestaltung ist auch im Rahmen der allgemeinen Beratungspflicht keine Aufgabe der Finanzbehörden. Ein unter die Fürsorgepflicht fallender Sachverhalt muss damit so beschaffen sein, dass das Verhalten des Beteiligten jedem als unverständlich erscheinen muss, der auch nur oberflächliche Kenntnisse über die konkrete Rechtslage hat. Drängt sich nach den gegebenen Umständen die Stellung eines Antrags bzw. die Richtigstellung abgegebener Erklärungen oder Anträge schon bei Berücksichtigung etwa der einem Steuererklärungsformular oder -programm beigefügten Erläuterungen auf, wird die Finanzbehörde schon aufgrund der amtlichen Ermittlungspflicht gehalten sein, zu erforschen, ob die zweckdienlichen Ergänzungen bewusst unterlassen wurden. All dies lässt sich dem Tatbestandsmerkmal "offensichtlich" entnehmen. Es ist auch nicht Aufgabe der Finanzbehörde, ordnungsgemäß erstellte Steuererklärungen auf alle nur denkbaren Fehlerquellen hin zu prüfen und auch entfernt liegende Möglichkeiten eines Versehens des Stpfl. ins Auge zu fassen. Vielmehr kann die Behörde grundsätzlich darauf vertrauen, dass der Stpfl. seine Erklärung nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage abgegeben hat. Eine Verpflichtung der Finanzbehörden, den Stpfl. auf günstigere Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, besteht nicht (BFH v. 20.03.2016, III R 29/15, BFH/NV 2016, 1278; AEAO zu § 89, Nr. 1). Insbesondere bei Stpfl., die fachkundig beraten sind, kommen Anregungen i. S. des § 89 Abs. 1 Satz 1 AO nur in geringem Umfang in Frage. Es ist nicht Aufgabe der Behörde, darüber zu wachen, ob Angehörige der steuerberatenden Berufe ihre Mandanten mit größtmöglicher Effektivität betreuen. Gerade hier wird die durch die Verwendung des Wortes "offensichtlich" bedingte Einschränkung sorgfältig zu beachten sein. Im Allgemeinen wird die Finanzbehörde auf die Sachkunde des Vertreters und eine dadurch bedingte vernünftige Motivation seines Verhaltens vertrauen dürfen, sofern nicht ohne jede tiefschürfende rechtliche Überlegung feststeht, dass die abgegebenen Erklärungen bzw. das Fehlen oder die Fassung von Anträgen oder Erklärungen auf einem Versehen beruhen. Die bei steuerlichen Laien ggf. naheliegende Unterstellung von Unkenntnis liegt bei sachkundiger Vertretung grundsätzlich fern.

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