BRAO-Reform: Interessenkollision und Tätigkeitsverbote

Durch die Ausweitung der gesellschaftsrechtlichen Möglichkeiten werden die (interdisziplinären) Berufsausübungsgesellschaften ebenso Adressaten der berufsrechtlichen Pflichten wie berufsfremde Gesellschafter, Geschäftsführungs- und Aufsichtsorgane. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass der Gesetzesentwurf eine detaillierte Regelung zur berufsrechtlichen Kernpflicht des bislang jedenfalls gesetzlich kaum konkretisierten Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen (§ 43a Abs. 4 BRAO, § 3 BORA, § 39a PAO) vorsieht. Allgemein werden Tätigkeitsverbote verständlicher strukturiert: in § 43a Abs. 4 BRAO sind die Tätigkeitsverbote für die Fälle anwaltlicher Vorbefassung geregelt, in § 45 BRAO nur noch die Fälle nicht-anwaltlicher Vorbefassung.

Anwaltliche Vorbefassung

Wie bisher ist das anwaltliche Tätigwerden verboten, wenn der Rechtsanwalt in der gleichen Rechtssache bereits im widerstreitenden Interesse tätig war, also insbesondere den Gegner schon einmal in der gleichen Rechtssache vertreten hat (§ 43a Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BRAO, § 39a Abs. 4 S. 1 Nr. 1 PAO). Doch nicht hinzugekommen (obwohl sich ein entsprechender Vorschlag im Gesetzgebungsverfahren lange gehalten hat), ist ein Tätigkeitsverbot bei Erlangung sensiblen Wissens.

Die Verbote sollen sich nicht nur auf Fälle einer nachfolgenden anwaltlichen Tätigkeit beziehen. Auch nicht-anwaltliche Folgetätigkeiten sind im Falle eines andernfalls bestehenden Interessenskonflikts untersagt (§ 43a Abs. 6 BRAO, § 39a Abs. 6 PAO, die die Vorschriften in § 45 Abs. 2 BRAO und § 41 Abs. 2 PAO ersetzen).

Im Vergleich zur bisherigen Regelung gilt das Tätigkeitsverbot allerdings nur bei tatsächlichen Interessenkollisionen, d. h. gleichgerichtete Tätigkeiten für den gleichen Mandanten in unterschiedlicher Funktion wären möglich. Unberührt bleiben spezialgesetzliche Tätigkeitsverbote (z. B. für befangene Richter oder vorbefasste Notare).

Nicht-anwaltliche Vorbefassung

Schon bislang ist in § 45 BRAO bzw. § 41 PAO geregelt, dass bestimmte nicht-anwaltliche Vorbefassungen (z. B. als Richter, Staatsanwalt oder Notar) eine spätere Tätigkeit als Rechtsanwalt in der gleichen Sache ausschließen. Dies bleibt unverändert, allerdings werden die Fallgruppen im Gesetzesentwurf übersichtlicher geordnet und um Einzelheiten, u. a. die Erstreckung auf Referendare und Notarassessoren, ergänzt.

Wie bisher schließen vorangegangene Tätigkeiten in einer neutralen Position (insbesondere als Richter oder Notar) jegliche spätere anwaltliche Tätigkeit in der gleichen Sache aus. Für sonstige nicht-anwaltliche Vorbefassungen (z. B. als Steuerberater oder Unternehmensberater) ist die spätere Anwaltstätigkeit nur untersagt, wenn hierdurch ein Interessenkonflikt entsteht. Jemand, der zunächst als Steuerberater tätig geworden ist, dürfte also denselben Mandanten gleichgerichtet später als Anwalt vertreten.

Sozietätssachverhalte

Der Umfang der Tätigkeitsverbote mit Blick auf die Sozietät, in der der vom Tätigkeitsverbot erfasste Rechtsanwalt tätig ist oder war, ist im neuen Berufsrecht detailliert geregelt. Insofern gibt es wesentliche Unterschiede je nach der Art des Tätigkeitsverbots.

Das Verbot widerstreitender Interessen nach anwaltlicher Vorbefassung gilt nicht nur für den betroffenen Anwalt, sondern – wie derzeit in § 3 BORA geregelt – für alle (Rechts- bzw. Patent-)Anwälte, die als Angestellter, freier Mitarbeiter oder Gesellschafter in der gleichen Berufsausübungsgesellschaft sind und zwar auch dann, wenn der betroffene Anwalt die Kanzlei inzwischen verlassen hat (§ 43a Abs. 4 S. 2 und S. 3 BRAO, § 39a Abs. 4 S. 2 und S. 3 PAO).

Der Wechsel nicht vorbefasster Anwälte in eine neue Kanzlei ist nicht verboten, ebenso wenig wie die Tätigkeit eines nicht mit der Angelegenheit befassten Anwalts in mehreren, miteinander in einer Sache streitenden Kanzleien (sog. Sternsozietät). 


In Fällen nicht-anwaltlicher Vorbefassung gelten vergleichbare Grundsätze. Dort sind vorbehaltlich eines Einverständnisses des Mandanten (dazu gleich) nach wie vor alle Rechts- oder Patentanwälte vom Tätigkeitsverbot erfasst, die mit dem betroffenen Anwalt oder einer sonstigen vorbefassten Person zusammenarbeiten. Dies gilt wiederum, wenn diese Person die Sozietät bereits verlassen hat (§ 45 Abs. 2 S. 1 und S. 3 BRAO, § 41 Abs. 2 S. 1 und S. 3 PAO).


Mit der gesetzlichen Neuregelung gilt zudem jedes Tätigkeitsverbot für die Berufsausübungsgesellschaft selbst (§ 59e Abs. 1 S. 1 BRAO, § 52e Abs. 1 S. 1 PAO). Bislang gab es eine entsprechende Regelung nur für Rechts- bzw. Patentanwaltsgesellschaften in der Rechtsform einer GmbH. Durch die Neuregelung muss die Berufsausübungsgesellschaft sicherstellen, dass ihre Anwälte keine Interessenkollision begehen. Außerdem könnte die Berufungsausübungsgesellschaft ein wegen Interessenkollision verbotenes Folgemandat ohne Einverständnis des Mandanten und Sicherstellung einer hinreichenden organisatorischen Trennung der sensiblen Mandatsinformationen selbst nicht annehmen.


Für Nicht-Berufsträger gelten Tätigkeitsverbote über die Anordnung in § 59d BRAO-, § 52d PAO und § 51 StBerG (dazu bereits oben).


Vergleichbare Tätigkeitsverbote für Kollisionen mit eigenen Interessen bzw. die Verpflichtung zur Beschränkung ihrer Tätigkeit auf vermittelnde Dienstleistungen gelten für Steuerberater und die mit ihnen zusammenarbeitenden Personen (§ 57 Abs. 1a bis Abs. 1c StBerG).

Lockerung der Verschwiegenheitspflicht zugunsten der Kollisionsprüfung

Zur Überprüfung, ob in Sozietäten ein Tätigkeitsverbot besteht, wird die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht etwas gelockert. Für die Konfliktprüfung – und zwar nur hierfür und nur im dafür erforderlichen Maße – dürften der Verschwiegenheitspflicht unterliegende Tatsachen einem Rechtsanwalt nach der Neuregelung auch ohne Einwilligung des Mandanten offenbart werden (§§ 43a Abs. 4 S. 6, 45 Abs. 2 S. 4 BRAO, §§ 39a Abs. 4 S. 6, 41 Abs. 2 S. 4 PAO, § 57 Abs. 1

Sonderregelungen für Auszubildende

Für Referendare und Bewerber für den Beruf des Patentanwalts soll es Sonderregelungen geben (§§ 43a Abs. 5, 45 Abs. 2 S. 2 BRAO, §§ 39a Abs. 5, 41 Abs. 2 S. 2 PAO). Auch sie sind im Grundsatz Adressaten der berufsrechtlichen Pflichten, jedenfalls dann, wenn sie in die Beratung und Vertretung (und nicht nur in wissenschaftliche Recherchetätigkeiten) eingebunden sind. Sie dürfen in ihrer späteren Tätigkeit daher ebenfalls keine widerstreitenden Interessen vertreten oder vertrauliche Informationen nutzen. Eine Sozietätserstreckung ist für sie allerdings nicht vorgesehen.

Einverständnis des Mandanten

Die Regelungen zum Verbot des Interessenskonflikts sind kein Selbstzweck; aus diesem Grund sehen die Neuregelungen ähnlich wie § 3 Abs. 2 BRAO die Möglichkeit eines Einverständnisses des Mandanten mit der Doppelvertretung vor.

Eine Befreiungsmöglichkeit besteht jedoch nur für bestimmte Tätigkeitsverbote.
Eine Befreiungsmöglichkeit für das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen für den konkret betroffenen Rechts- bzw. Patentanwalt oder Steuerberater besteht weiterhin nicht. Ebenso unmöglich ist ein Einverständnis für das Tätigkeitsverbot des Anwalts selbst und seiner Mit-Anwälte wegen Vorbefassung eines Anwalts oder einer sonstigen Person in einer neutralen, nicht-anwaltlichen Funktion (als Richter o. Ä.).


Doch die Mit-Anwälte des betroffenen Anwalts können von dem Tätigkeitsverbot wegen anwaltlicher oder nicht-anwaltlicher (parteilicher) Vorbefassung befreit werden (§§ 43a Abs. 4 S. 4, 45 Abs. 2 S. 4 BRAO, §§ 39a Abs. 4 S. 4, 41 Abs. 2 S. 4 PAO). Damit einhergehend soll ausdrücklich auch die Berufsausübungsgesellschaft von dem Tätigkeitsverbot wegen anwaltlicher Vorbefassung befreit werden können; andernfalls stünde das für sie über § 59e BRAO-E bzw. § 52e PAO-E fortgeltende Verbot faktisch einer Mandantsbearbeitung durch eine vom Tätigkeitsverbot befreibaren Person entgegen (§ 43a Abs. 4 S. 5 BRAO, § 39a Abs. 4 S. 4 PAO).

In jedem Fall erfordert das wirksame Einverständnis des Mandanten seine umfassende Information und seine Zustimmung in Textform. Außerdem muss durch geeignete, über die allgemeinen Vorkehrungen zur Vertraulichkeit von Mandanteninformationen hinausgehende Maßnahmen (sog. chinese walls) die Einhaltung der Verschwiegenheit des Rechtsanwalts sichergestellt sein (u. a. durch räumliche und sachliche Trennung von Informationen, Passwortschutz o. Ä.).

Für Steuerberater sieht § 57 Abs. 1c StBerG wiederum ähnliche Regelungen vor.