Herstellung der öffentlichen Abwasserentsorgungsanlage

In vielen Fällen stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen Handwerkerleistungen, die jenseits der Grundstücksgrenze auf fremdem, beispielsweise öffentlichem Grund erbracht werden, begünstigt sein können.

Nach § 35a Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 EStG ermäßigt sich auf Antrag die tarifliche Einkommensteuer für die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen für Renovierungs-, Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen, die im Haushalts des Steuerpflichtigen erbracht werden, um 20%, höchstens 1.200 Euro. Der Begriff "im Haushalt" ist räumlich-funktional auszulegen, sodass die Grenze des Haushalts nicht ausnahmslos durch die Grundstücksgrenze abgesteckt ist. Vielmehr kann auch die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen, die jenseits der Grundstücksgrenze auf fremdem Grund erbracht werden, begünstigt sein.

Räumlicher Zusammenhang und BFH-Rechtsprechung

Die Leistungen müssen aber in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang zum Haushalt durchgeführt werden und dem Haushalt dienen. So bejaht die Rechtsprechung (BFH, Urteil v. 20.03.2014, VI R 56/12, BStBl 2014 II S. 882) das Vorliegen der Voraussetzung des § 35a Abs. 4 EStG insbesondere dann, wenn der Haushalt des Steuerpflichtigen an das öffentliche Versorgungsnetz (Trink- und Abwasser) angeschlossen wird, weil der auf dem Grundstück gelegene Haushalt des Steuerpflichtigen über das öffentliche Versorgungsnetz mit den für eine Haushaltsführung notwendigen Leistungen der Daseinsfürsorge versorgt wird, d. h. ein Hausanschluss stellt sich damit als notwendige Voraussetzung eines Haushalts dar. 

Anwendung durch Finanzverwaltung

Die Entscheidung des BFH wurde im BStBl veröffentlicht. Allerdings erkennt die Finanzverwaltung bislang nur den entschiedenen Sachverhalt des BFH (Anschluss an das Versorgungsnetz) in der Praxis an. Ähnlich gelagerte Fälle werden nicht anerkannt oder zurückgestellt, weil das BMF-Schreiben vom 10.01.2014 (BStBl 2014 I S. 75) überarbeitet wird.

Vergleichbarer Sachverhalt beim FG Sachsen

Das FG Sachsen hatte einen Fall zu entscheiden, bei dem das Abwasser eines Haushalts zunächst über eine Sickergrube entsorgt wurde. Später wurde das Grundstück und die benachbarten Grundstücke vom Abwasserzweckverband an die öffentliche Abasserentsorgungsanlage angeschlossen.

Hierzu waren aber vorab folgende Arbeiten notwendig: "Erneuerung des bestehenden öffentlichen Mischwasserkanals im Bereich der unteren Bebauung der Straße des Grundstücks, Neuverlegung einer Mischwasserleistung in der Straße zwischen der unteren und oberen Bebauung, in welcher sich das Grundstück befindet, Inlinersanierung des bestehenden öffentlichen Mischwasserkanals, welcher unter anderem im Grundstück des Klägers verläuft und Herstellen der Verbindung des sanierten Mischwasserkanals und der neu verlegten Mischwasserleitung." Für die Herstellung der Mischwasserleistung als Bestandteil des Hausanschlusses an die zentrale Abwassentsorgungsanlage stellte der Abwasserzweckverband den Klägern einen Bauskostenzuschuss (nach Abzug von Fördermitteln) i. H. v. 3.896,60 EUR in Rechnung, wovon ca. 2.338 EUR auf Arbeitskosten entfielen.

Auffassung des Finanzamts

Nach Auffassung des Finanzamts ist eine Steuerermäßigung aus mehreren Gründen nicht möglich. Einerseits handele es sich um eine Neubaumaßnahme, die nach § 35a Abs. 3 Satz 1 EStG nicht begünstigt sei. Andererseits sei der Rechnung zu entnehmen, dass für den Bau Fördermittel gezahlt wurden, weshalb ein Ansatz nach § 35a Abs. 3 Satz 2 EStG ausscheide. Im Übrigen handele es sich bei den geltend gemachten Aufwendungen nicht um Kosten für den Anschluss an die Trink- und Abwasserentsorgung und damit einhergehend nicht um Kosten für den Haushalt der Kläger, sondern um Kosten für die Neuverlegung einer Mischwasserleitung. Demnach wären die geltend gemachten Aufwendungen für den Baukostenzuschuss nicht mit dem BFH zugrundeliegenden Sachverhalt vergleichbar. Nur originäre Hausanschlusskosten seien i. S. d. § 35a EStG zu berücksichtigen. 

Praxis-Tipp: Abweichende Auffassung des FG Sachsen

Dies sieht das FG Sachsen erfreulicherweise anders (Urteil v. 12.11.2015, 8 K 194/15). Da bereits ein Haushalt auf dem Grundstück des Klägers vorhanden war, stellt die Herstellung der Mischwasserleistung als notwendiger Teil der Arbeiten des Anschlusses des Grundstücks der Kläger an die zentrale Abwasserentsorgungsanlage eine Modernisierung i. S. des § 35a Abs. 3 Satz 1 EStG dar. Es handelt sich nicht um eine Maßnahme der erstmaligen Herstellung (Neubau), da das Abwasser auf dem Grundstück zuvor über eine Sickergrube entsorgt wurde. Anmerkung: Hierzu passend geht die Finanzverwaltung selbst davon aus, dass nur Maßnahmen bis zum Fertigstellungszeitpunkt des Haushalts nach H 7.4 EStH nicht begünstigt sind (BMF-Schreiben v. 10.01.2014). 

Auch sei die Herstellung nicht isoliert, sondern als ein Teil des gesamten Arbeiten, die für den Anschluss des Grundstücks der Kläger an die öffentliche Abwasserentsorgungsanlage notwendig waren, anzusehen. Mithin handele es sich bei dem in Rechnung gestellten Baukostenzuschuss um Aufwendungen der Kläger für den Hausanschluss der Steuerpflichtigen an das öffentliche Versorgungsnetz. 

Dagegen spricht auch nicht § 35a Abs. 3 Satz 2 EStG, wonach ein Abzug ausgeschlossen ist, wenn für öffentlich geförderte Maßnahmen, zinsverbilligte Darlehen oder steuerfreie Zuschüsse in Anspruch genommen werden. Die Vorschrift dient dem Ausschluss einer Doppelförderung. Allerdings muss nach der systematischen Stellung der Vorschrift innerhalb der gesetzlichen Norm sowie deren Sinn und Zweck der Empfänger der öffentlichen Förderung der Steuerpflichtige selbst sein. Die Steuerpflichtigen haben aber keine öffentliche Förderung für den Anschluss ihres Grundstücks an das öffentliche Entsorgungsnetz in Anspruch genommen. Dass der Abwasserzweckverband, ausweislich der Rechnung, für die Herstellung der Mischwasserleitung selbst öffentliche Fördermittel in Anspruch genommen hat und diese bei der Berechnung des anteiligen Baukostenzuschuss in Abzug brachte, stellt für die Steuerpflichtigen keine Doppelförderung dar. Ein Ausschluss ist daher nicht anzunehmen.

Revision vor dem BFH

Gegen die Entscheidung des FG Sachsens läuft ein Revisionsverfahren vor dem BFH (VI R 18/16). In vergleichbaren Fällen sollte Einspruch eingelegt werden, bis der BFH entschieden hat. Einsprüche ruhen kraft Gesetzes nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO.

Finanzwirt Christian Weber