Brexit: Verlagerung der Buchführung

Die in Deutschland ansässige A-GmbH will eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft im Vereinigten Königreich damit beauftragen, ihre Bücher durch elektronische Datenverarbeitung zu führen. Die Finanzverwaltung untersagt diese Verlagerung der Buchführung. Kann sich die A-GmbH gegen diese Untersagung mit Aussicht auf Erfolg wehren?

Hinweis zu den Fällen: Die in dieser Serie erscheinenden Fälle zum Brexit sind aus der Sicht des immer wahrscheinlicher werdenden "harten" Brexits entworfen worden. Sie behandeln die wesentlichen steuerlichen Fragen, die durch das Ausscheiden des Vereinigten Königreiches (UK) aus der EU entstehen.

Lösung:

Die Finanzverwaltung kann die Verlagerung der Buchführung nach ihrem Ermessen untersagen, wenn einer der Gründe des § 146 Abs. 2a S. 2 AO vorliegt. Sofern die Finanzverwaltung dabei ihr Ermessen pflichtgemäß ausübt, dürfte ein Rechtsbehelfsverfahren wenig Aussicht auf Erfolg haben.

Hintergrundinfo:

Nach § 146 Abs. 2 S. 1 AO müssen Bücher und Aufzeichnungen im Geltungsbereich der AO geführt und aufbewahrt werden. Nach § 146 Abs. 2a AO kann die Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen aber gestatten, eine elektronisch geführte Buchführung in einen ausländischen Staat zu verlagern, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen. Diese Möglichkeit besteht im Verhältnis zu EU- und EWR-Staaten sowie zu Drittstaaten. Verlagert werden können nur elektronische Aufzeichnungen; in Papier erstellte Bücher und Aufzeichnungen müssen zwingend im Inland geführt und aufbewahrt werden. Die Vorschriften des § 146 Abs. 2a AO gelten sowohl, wenn ein Dritter beauftragt wird, als auch, wenn der Stpfl. eine eigene Buchführungsabteilung im ausländischen Staat einrichtet.

Voraussetzung für die Verlagerung der elektronischen Buchführung ist ein schriftlicher Antrag, in dem das geplante Verfahren so genau zu beschreiben ist, dass die Finanzbehörde prüfen kann, ob die Voraussetzungen des § 146 Abs. 2a AO vorliegen.

Weitere Voraussetzungen sind in § 146 Abs. 2a S. 2 AO in den Nrn. 1-4 umschrieben. Nach Nr. 1 muss der zuständigen Finanzbehörde der Standort des Datenverarbeitungssystems und Name und Anschrift des mit der Buchführung Beauftragten mitgeteilt werden. Auch Änderungen sind der Finanzbehörde nach § 146 Abs. 2a S. 4 AO unverzüglich mitzuteilen.

Nach Nr. 2 muss der Stpfl. seinen in dieser Bestimmung aufgeführten steuerlichen Pflichten bisher nachgekommen sein. Der Stpfl. muss sich also gegenüber der Finanzbehörde in der Vergangenheit kooperativ verhalten haben. Erhebliche Pflichtverstöße in der Vergangenheit schließen die Genehmigung der Verlagerung der Buchführung also aus.

Nach Nr. 3 muss der Finanzverwaltung der Datenzugriff nach § 147 Abs. 6 AO in vollem Umfang möglich sein. Von Bedeutung ist hierbei insbesondere § 147 Abs. 6 S. 3 AO. Danach muss die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in UK der deutschen Finanzverwaltung Einsicht in die gespeicherten Daten gewähren, d. h. eine elektronische Zugriffsmöglichkeit der Finanzverwaltung auf die gespeicherten Daten einrichten und den Zugriff gestatten, die Daten nach Vorgaben der Finanzverwaltung maschinell auswerten und die Daten der Finanzverwaltung auf einem maschinell auswertbaren Datenträger zur Verfügung stellen. Wenn Gesetze des ausländischen Staates einem solchen Datenzugriff entgegenstehen, ist eine Verlagerung der Buchführung in diesen Staat nicht möglich.

Nach § 146 Abs. 2a Nr. 4 AO darf die Besteuerung durch die Verlagerung der elektronischen Buchführung nicht beeinträchtigt werden. Diese letzte Voraussetzung enthält unbestimmte Rechtsbegriffe, die in besonderem Maße der Interpretation durch die Finanzverwaltung offenstehen. Die Finanzverwaltung legt diese Rechtsbegriffe z. T. extensiv aus (hierzu LFSt Bayern v. 20.1.2017, S 0316.1.1 – 3/5 St 42, Haufe-Index 10326008).

Hinweis: Kein unbedingter Anspruch

Diese Voraussetzungen sind zwingend, d. h. die Finanzbehörde darf die Verlagerung der Buchführung nicht genehmigen, wenn eine dieser Voraussetzungen nicht vorliegt. Liegen alle Voraussetzungen vor, hat der Stpfl. trotzdem keinen unbedingten Anspruch darauf, dass die Verlagerung der Buchführung genehmigt wird, sondern nur darauf, dass die Finanzbehörde das ihr durch das Wort "kann" in § 146 Abs. 2a S. 1 AO eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausübt. Gründe für die Versagung der Bewilligung der Verlagerung der Buchführung im Rahmen der Ermessensausübung können etwa sein, dass Umstände vorliegen, aus denen geschlossen werden kann, dass der Stpfl. in Zukunft seine Verpflichtungen aus den in § 146 Abs. 2a S. 1 Nr. 2 AO genannten Vorschriften nicht erfüllen wird, aber auch sonstige Pflichtverstöße, wie Verstoß gegen Zahlungspflichten oder unkooperatives Verhalten. Es dürfte insoweit eine Überschneidung mit § 146 Abs. 2a S. 1 Nr. 4 AO nicht auszuschließen sein, wobei jedoch bei dieser Voraussetzung die Gefährdung der Besteuerung gerade aus der Verlagerung der Buchführung stammen muss, während bei der Ermessensentscheidung auch darüber hinausgehende Aspekte berücksichtigt werden können.

Werden nach der Verlagerung der Buchführung Umstände bekannt, die zu einer Beeinträchtigung der deutschen Besteuerung führen, oder treten solche Umstände nachträglich ein, muss auf Verlangen der Finanzbehörde unverzüglich eine Rückführung der Buchführung in das Inland erfolgen. Der Finanzbehörde steht insoweit kein Ermessensspielraum zu. Geschieht die Rückführung nicht unverzüglich, kann nach § 146 Abs. 2b AO ein Verzögerungsgeld fetgesetzt werden.

Gegen eine Versagung im Rahmen einer pflichtgemäßen Ermessensentscheidung ist der Stpfl. durch die Grundfreiheiten nicht mehr geschützt. Innerhalb der EU bzw. dem EWR könnte sich der Stpfl. auf die Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV, berufen, nach der er ungehindert Dienstleistungen eines in der EU bzw. EWR ansässigen Dienstleisters in Anspruch nehmen kann ("passive Dienstleistungsfreiheit"). Zusätzlich könnte sich die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft auf die Dienstleistungsfreiheit berufen, die es in EU bzw. EWR ansässigen Unternehmen ermöglicht, ungehindert Dienstleistungen anzubieten ("aktive Dienstleistungsfreiheit"). Die engen Voraussetzungen für eine Verlagerung der Buchführung nach § 146 Abs. 2a AO stellen eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit dar, da für eine Verlagerung der Buchführung im Inland jedenfalls die Voraussetzungen des § 146 Abs. 2a Nr. 1, 2 und 4 AO nicht gelten und auch keine im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde stehende Genehmigung erforderlich ist. Diese Beschränkungen sind rechtfertigungsbedürftig, für die nur wenige Rechtfertigungsgründe in Betracht kommen. Außerdem darf kein milderes Mittel, das gleich geeignet ist, wie ein internationaler Auskunftsverkehr, zur Verfügung stehen.

Da die Dienstleistungsfreiheit für Drittstaaten nicht gilt, besteht jedoch ab Wirksamwerden des Brexits im Verhältnis zu UK insoweit kein Schutz mehr. Der Stpfl. ist daher auf rein inländische Schutzmechanismen angewiesen. In Betracht kommt, einen Verstoß gegen die Grundrechte zu rügen. Da die Verlagerung der Buchführung in das Ausland strengeren Regeln unterworfen ist als eine Verlagerung im Inland, ist der Gleichheitsgrundsatz, Art. 3 GG betroffen, u. U. auch die Berufsfreiheit, Art. 12 GG und die Garantie des Eigentums, Art. 14 GG. Allerdings sind Auslandsbeziehungen wegen der damit verbundenen Erschwerung der steuerlichen Kontrolle nicht generell vergleichbar mit Inlandsbeziehungen, sodass eine Schlechterstellung der Auslandsbeziehungen verfassungsrechtlich i. d. R. gerechtfertigt werden kann (allgemein hierzu: BVerfG v. 12.10.1976, 1 BvR 2328/73, BStBl 1977, 190; BFH v. 20.4.1988, I R 219/82, BStBl II 1990, 701).

Checkliste zur Verlagerung der Buchführung nach UK:

  • Ist ein schriftlicher Antrag bei der zuständigen Finanzbehörde gestellt worden?
  • Ist in dem Antrag das geplante Buchführungsverfahren konkret und detailliert beschrieben?
  • Sind der zuständigen Finanzbehörde Standort des Datenverarbeitungssystems und Name und Anschrift der mit der Buchführung beauftragten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mitgeteilt?
  • Hat die A-GmbH in der Vergangenheit ihre steuerlichen Pflichten erfüllt?
  • Hat sich die A-GmbH in der Vergangenheit kooperativ gegenüber der Finanzbehörde verhalten?
  • Ist durch Vereinbarungen mit der mit der Buchführung beauftragten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft sichergestellt, dass diese der Finanzbehörde den Datenzugriff in vollem Umfang nach § 147 Abs. 6 S. 3 AO gewährt?
  • Sind die hierfür erforderlichen technischen Voraussetzungen gegeben?
  • Ist sichergestellt, dass durch die Verlagerung der Buchführung die deutsche Besteuerung nicht beeinträchtigt wird?
  • Gibt es Umstände, die erwarten lassen, dass die A-GmbH in Zukunft wesentliche steuerliche Pflichten verletzen bzw. sich unkooperativ verhalten wird?

Alle 100 Fälle zu den Rechtsfolgen eines "harten" Brexit

In Ihren Haufe Steuer Office Produkten finden Sie aktuell unter dem Haufe Index 12414049 die komplette Fallsammlung zu den wesentlichen steuerlichen Fragen, die durch das Ausscheiden von UK aus der EU im Falle eines "harten" Brexit entstehen. Gegliedert sind die Fälle in 7 Abschnitte mit folgendem Inhalt:

  • Schutzumfang der europäischen Grundfreiheiten;
  • Ertragsteuern der Unternehmen;
  • Umwandlungen;
  • Umsatzsteuer;
  • Zollrecht;
  • Ertragsteuern der natürlichen Personen;
  • Erbschaftsteuer.

Die Fälle werden bei Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen zeitnah angepasst. 

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Schlagworte zum Thema:  Brexit, Buchführung