Brexit: Schutz durch Schiedskonvention

Im entworfenen Fall steht die in Deutschland ansässige A-GmbH in ständigen Lieferbeziehungen mit ihrer 100 %igen, im Vereinigten Königreich (UK) ansässigen Tochtergesellschaft X-Ltd. Bei einer bei der A-GmbH für Jahre nach dem Wirksamwerden des Brexit durchgeführten Außenprüfung werden die Verrechnungspreise für Lieferungen der A-GmbH an die X-Ltd. erhöht.

Kann die A-GmbH beantragen, ein Schiedsverfahren nach der Schiedskonvention durchzuführen?

Hinweis zu den Fällen: Die in dieser Serie erscheinenden Fälle zum Brexit sind aus der Sicht des immer wahrscheinlicher werdenden "harten" Brexits entworfen worden. Sie behandeln die wesentlichen steuerlichen Fragen, die durch das Ausscheiden des Vereinigten Königreiches (UK) aus der EU entstehen.

Lösung:

Ob die Schiedskonvention auch nach dem Brexit für UK weiter gilt, kann zweifelhaft sein, m. E. ist dies aber zu bejahen. Alternativ kann ein Verständigungsverfahren mit anschließendem Schiedsverfahren nach Art. 26 Abs. 2, 5 DBA-UK durchgeführt werden.

Hintergrundinfo:

Die Schiedskonvention ist kein von den EU-Gremien gesetztes Recht, also keine Verordnung oder Richtlinie. Sie ist vielmehr ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den EU-Mitgliedern, hat aber nicht ausdrücklich zur Voraussetzung, dass alle Vertragspartner EU-Mitglieder sind (obwohl dies bei Abschluss der Konvention natürlich vorausgesetzt wurde). Mit dem Brexit scheidet daher UK nicht automatisch aus der Konvention aus, sondern bleibt weiter berechtigter und verpflichteter Vertragspartner. Die Schiedskonvention gilt daher m. E. auch nach dem Brexit im Verhältnis zu UK weiter, wenn UK ihre Beteiligung nicht kündigt oder durch Vertragsänderung ausscheidet.

Dieses Ergebnis kann jedoch aus zwei Gründen zweifelhaft sein. Die Schiedskonvention gilt nach Art. 1 Abs. 1 nur für Unternehmen eines "Vertragsstaates". Damit stellt sich die Frage, wer mit "Vertragsstaat" gemeint ist. Im Vorspann bezieht sich die Konvention auf die Vertragsparteien des EU-Vertrags. Trotzdem sind m. E. mit "Vertragsstaaten" im weiteren Text der Schiedskonvention nicht die Vertragsparteien des EU-Vertrages, sondern die Vertragsparteien der Schiedskonvention gemeint. Dies lässt sich aus dem Zusammenhang, in dem der Ausdruck "Vertragsstaat" in der Konvention benutzt wird, schließen. Auch nach dem Brexit ist UK aber "Vertragsstaat" der Schiedskonvention, wenn keine Kündigung durch UK erfolgt. Daher ist die Schiedskonvention im Verhältnis zu UK weiter anzuwenden.

Ein weiteres Bedenken gegen die Fortgeltung der Schiedskonvention im Verhältnis zu UK könnte sich aus Art. 16 Abs. 1 der Schiedskonvention ergeben. Danach "entspricht der räumliche Geltungsbereich dieses Übereinkommens dem in Art. 227 Abs. 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bestimmten Bereich". Mit dem Brexit gehört UK nicht mehr zu diesem "Bereich". Fraglich ist aber, ob die Bestimmung des räumlichen Wirkungsbereichs durch Bezugnahme auf den EU-Vertrag statisch oder dynamisch zu verstehen ist. Ist diese Verweisung statisch zu verstehen, gilt sie für alle Gebiete, die bei Abschluss der Konvention zur EU gehörten. In diesem Fall würde UK auch nach Austritt aus der EU Vertragsstaat der Schiedskonvention bleiben, da UK zur Zeit des Abschlussses der Konvention EU-Mitglied war. Ist die Verweisung dynamisch zu verstehen, würde die Konvention nur für die jeweiligen Mitglieder der EU gelten, also UK mit dem Brexit aus der Konvention ausscheiden.

M.E. ist die Verweisung statisch zu verstehen. Das ergibt sich schon daraus, dass die Konvention bei dem Beitritt weiterer Staaten zur EU durch ein ergänzendes Übereinkommen der Vertragsstaaten der Konvention auf die neuen Vertragsstaaten ausgedehnt worden ist. Es kann also nicht angenommen werden, dass aufgrund einer "dynamischen" Verweisung das jeweilige EU-Mitglied auch automatisch Vertragspartei der Schiedskonvention wurde. Dann scheidet ein Vertragsstaat der Konvention aber nicht automatisch bei Ausscheiden aus der EU auch aus der Konvention aus (weifelhaft; wie hier Martiny/Sassmann/Wehnert, ISR 2017, 140; a. A. z. B. Geyer/Puls/Ullmann, IStR 2017, 881). Dagegen dürfte der Verhaltenskodex zur wirksamen Durchführung der Schiedskonvention (Verhaltenskodex v. 30.12.2009, 2009/C322/01, ABl. EU C 322 v. 30.12.2009, 1 ff) auf UK nicht mehr anwendbar sein. Dieser nicht bindende Verhaltenskodex wurde vom Rat der EU verabschiedet und gilt daher als EU-Recht nach dem Brexit nicht mehr.

Außerdem bleibt Art. 26 DBA-UK anwendbar. Art. 26 Abs. 2 DBA-UK sieht ein Verständigungsverfahren vor, das keinen Einigungszwang enthält. Darüber hinaus regelt Art. 26 Abs. 5 DBA-UK ein Schiedsverfahren, das beantragt werden kann, wenn das Verständigungsverfahren nach 2 Jahren nicht zu einem Erfolg geführt hat. Das Schiedsverfahren führt zwingend zu einer Vermeidung der Doppelbesteuerung. Es ist im Wesentlichen vergleichbar mit einem Verfahren nach der EU-Schiedskonvention.

Checkliste:

  • Führt die Beanstandung von Verrechnungspreisen zu einer Doppelbesteuerung?
  • Ist im Einzelfall ein Verfahren nach der Schiedskonvention oder nach Art. 26 Abs. 5 DBA-UK günstiger?
  • Ist ein Verständigungsverfahren beantragt worden?
  • Ist die Einleitung des entsprechenden Verfahrens beantragt worden?
  • Sind etwaige Rechtsbehelfs- und Gerichtsverfahren ruhend gestellt worden bzw. sind der Rechtsbehelf oder die Klage begrenzt auf den Gegenstand des Verständigungs- oder Schiedsverfahrens zurückgenommen worden?

Alle 100 Fälle zu den Rechtsfolgen eines "harten" Brexit

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  • Schutzumfang der europäischen Grundfreiheiten;
  • Ertragsteuern der Unternehmen;
  • Umwandlungen;
  • Umsatzsteuer;
  • Zollrecht;
  • Ertragsteuern der natürlichen Personen;
  • Erbschaftsteuer.

Die Fälle werden bei Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen zeitnah angepasst. 

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