Fünftel-Regelung neben steuerfreier Rücklage

Steht die Bildung einer Rücklage für Gewinne aus der Veräußerung einer Kapitalgesellschaftsbeteiligung nach § 6b Abs. 10 EStG der Anwendung der Fünftel-Regelung des § 34 Abs. 1 EStG auf den verbleibenden Teil des Veräußerungsgewinns entgegen? 

Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG ist, wenn in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten sind, die auf alle im Veranlagungszeitraum bezogenen außerordentlichen Einkünfte entfallende Einkommensteuer nach der sog. Fünftel-Regelung gem. § 34 Abs. 1 Satz 2 und 3 EStG zu berechnen. Nach dem Wortlaut des § 34 Abs. 1 Satz 4 EStG gilt dies allerdings nicht für außerordentliche Einkünfte i. S. v. § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG, wenn der Steuerpflichtige auf diese Einkünfte ganz oder teilweise § 6b anwendet.

Als außerordentliche Einkünfte kommen nach § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG u. a. in Betracht Veräußerungsgewinne i.S.v. § 16 EStG mit Ausnahme des steuerpflichtigen Teils der Veräußerungsgewinne, die nach § 3 Nr. 40 Buchst. b i.V.m. § 3c Abs. 2 EStG teilweise steuerbefreit sind, also dem Teileinkünfteverfahren unterliegen. Wird ein Betrieb zusammen mit einer GmbH-Beteiligung veräußert, stellt sich die Frage, ob die Fünftel-Regelung auf den verbleibenden Veräußerungsgewinn anwendbar ist, wenn für den Gewinn aus der GmbH-Beteiligung eine Rücklage nach § 6b Abs. 10 EStG gebildet wird.

Beispiel: Ermäßigte Besteuerung neben steuerfreier Rücklage

Der 65-jährige Besitzeinzelunternehmer A hat im Rahmen einer seit 2005 bestehenden Betriebsaufspaltung ein Gebäudegrundstück an die X-GmbH verpachtet, deren Alleingesellschafter er ist. Im Januar 2016 veräußerte A sein Besitzunternehmen einschließlich der zum Betriebsvermögen gehörenden Alleinbeteiligung an der Betriebs-GmbH. Der Veräußerungsgewinn beträgt insgesamt 600.000 EUR, davon entfallen auf die GmbH-Beteiligung 400.000 EUR. A bildet für den Gewinn aus der Veräußerung der GmbH-Beteiligung nach § 6b Abs. 10 Satz 5 EStG eine gewinnmindernde Rücklage von 400.000 EUR.

Eine § 6b-Rücklage kann prinzipiell auch für Betriebsveräußerungsgewinne gebildet werden. Die Weiterführung solcher Rücklagen ist – ebenso wie die Weiterführung von in den Vorjahren gebildeten Rücklagen – für die Zeit zulässig, für die sie ohne Veräußerung des Betriebs zulässig gewesen wäre (R 6b.2 Abs. 10 Satz 1 EStR 2012). Die Bildung und Weiterführung einer Rücklage nach § 6b EStG setzt auch bei einer Betriebsveräußerung keine Reinvestitionsabsicht des Steuerpflichtigen voraus.

Soll bei einer Betriebsveräußerung eine § 6b-Rücklage gebildet werden, muss der Veräußerungsgewinn i.d.R. auf den Gewinn aus der Veräußerung begünstigter und nichtbegünstigter Wirtschaftsgüter aufgeteilt werden. Nur der Gewinn aus der Veräußerung begünstigter Wirtschaftsgüter kommt für die Bildung einer Rücklage in Betracht, wie hier die seit mehr als 6 Jahre zum Betriebsvermögen gehörende GmbH-Beteiligung. A ist daher berechtigt, nach § 6b Abs. 10 Satz 5 EStG für den Gewinn aus der Veräußerung der GmbH-Anteile von 400.000 EUR, d.h. einschließlich des steuerbefreiten Betrags, eine § 6b-Rücklage zu bilden.

Ob die Bildung einer § 6b-Rücklage für Gewinne aus der Veräußerung einer Kapitalgesellschaftsbeteiligung nach § 6b Abs. 10 EStG, wie sie vorliegend erfolgt ist, der Anwendung der Steuerermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG auf den verbleibenden Teil des Veräußerungsgewinns entgegensteht, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt.

Praxis-Tipp: Revision anhängig

Das FG Münster jedenfalls stellt sich in einer neuen Entscheidung mit beachtlichen Argumenten auf den Standpunkt, dass § 34 Abs. 1 Satz 4 EStG, d.h. die Bildung einer § 6b-Rücklage für Teile des Veräußerungsgewinns, die Anwendung der Fünftel-Regelung auf den nach Anwendung des § 6b Abs. 10 EStG verbleibenden steuerpflichtigen Teil des Veräußerungsgewinns nicht ausschließt (FG Münster, Urteil v. 23.9.2015, 10 K 4079/14 F ,Haufe Index 8732051, BB 2015 S. 2274 – red. Leitsatz).

Zu einer "Doppelbegünstigung" des Gewinns durch Bildung einer Rücklage nach § 6b EStG einerseits und Anwendung des ermäßigten Steuersatzes, der durch § 34 Abs. 1 Satz 4 EStG vermieden werden soll, andererseits kann es nicht kommen. Veräußerungsgewinne, die dem Teileinkünfteverfahren unterliegen, werden nach § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG von vornherein nicht ermäßigt besteuert. Der verbleibende Veräußerungsgewinn kann daher unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks des § 34 Abs. 1 Satz 4 EStG nach der Fünftel-Regelung besteuert werden.

Der Argumentation des FG Münster ist m. E. uneingeschränkt zuzustimmen. Das FG hat allerdings die Revision gegen sein Urteil zugelassen, die vom Finanzamt auch eingelegt worden ist (Az. beim BFH: IV R 48/15). Einschlägige Fälle sollten offengehalten werden, bis der BFH über die Streitfrage entschieden hat. Einsprüche ruhen kraft Gesetzes (§ 363 Abs. 2 Satz 2 AO).