Leitsatz

Zuständig für den Erlass eines Abrechnungsbescheids ist die nach den allgemeinen Zuständigkeitsregelungen der §§ 16ff. AO zuständige Finanzbehörde. An seiner mit Urteil vom 12.7.2011 VII R 69/10 (BFHE 234, 114) vertretenen Auffassung, dass für Entscheidungen durch Abrechnungsbescheid diejenige Behörde zuständig ist, die den Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis festgesetzt hat, um dessen Verwirklichung gestritten wird, hält der erkennende Senat nicht mehr fest.

 

Normenkette

§ 19, § 26, § 119, § 218 Abs. 2 Satz 1, § 240, § 231, § 367 Abs. 1 Satz 2 AO, § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO

 

Sachverhalt

Das damals zuständige FA 1 setzte im Jahr 2007 gegen den Kläger und seine Ehefrau Einkommensteuer für 2005 fest und erließ in der Folge zahlreiche Änderungsbescheide. Auf Antrag des Klägers erließ das FA 1 in 2014 einen Abrechnungsbescheid über die streitigen Säumniszuschläge zur Einkommensteuer 2005.

Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das zwischenzeitlich wegen Verlegung des Betriebs zuständig gewordene FA 2 als unbegründet zurück. Die Klage hatte keinen Erfolg (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.5.2017, 12 K 15308/15, Haufe-Index 11246132, EFG 2017, 1713). Zwar sei für den Erlass eines Abrechnungsbescheids nach der Rechtsprechung des BFH diejenige Finanzbehörde zuständig, die den streitigen Anspruch festgesetzt habe (BFH, Urteil vom 12.7.2011, VII R 69/10, BFH/NV 2011, 1936, BFH/PR 2011, 431). Dies treffe aber nicht auf Abrechnungsbescheide über Säumniszuschläge zu, da hier der Abrechnungsbescheid überhaupt erst Grundlage der Anspruchsverwirklichung sei.

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision des Klägers als unbegründet zurück.

Er hat seine Rechtsprechung geändert und geht nunmehr von einer Gesamtzuständigkeit des FA aus, weshalb im vorliegenden Fall eine Zuständigkeit des handelnden FA für den Erlass der Einspruchsentscheidung bejaht wurde.

 

Hinweis

Die Entscheidung beschäftigt sich u.a. mit der Frage, welches FA bei Änderung der örtlichen Zuständigkeit nach Ergehen eines Abrechnungsbescheids (§ 218 AO) über Säumniszuschläge die Einspruchsentscheidung zu erlassen hat.

Nach § 367 Abs. 1 Satz 1 AO entscheidet die Finanzbehörde, die den VA erlassen hat, durch Einspruchsentscheidung. Ist für den Steuerfall nachträglich eine andere Finanzbehörde zuständig geworden, so entscheidet diese gemäß § 367 Abs. 1 Satz 2 AO über den Einspruch.

In einem Urteil aus dem Jahr 2011 hatte der VII. Senat in nahezu gänzlich anderer Besetzung entschieden, dass für den Erlass eines Abrechnungsbescheids das FA zuständig sei, das den Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, um dessen Verwirklichung gestritten wird, festgesetzt hat. Nachträgliche Änderungen der die örtliche Zuständigkeit für die Besteuerung begründenden Umstände – wie z.B. ein Wohnsitzwechsel – sollten danach nicht zu einem Zuständigkeitswechsel führen (BFH, Urteil vom 12.7.2011, VII R 69/10, BFH/NV 2011, 1936, BFH/PR 2011, 431).

Dem hat das Schrifttum überwiegend widersprochen (vgl. Bergan/Martin, DStR 2012, 171 ff., Sunder-Plassmann, in HHSp, § 17 AO Rz. 9 und § 19 AO Rz. 5; Drüen, in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 17 AO Rz. 5 und § 19 AO Rz. 3; Schmieszek, in Gosch, AO § 19 Rz. 7; Klein/Rätke, AO, 14. Aufl., § 19 Rz. 2).

Insbesondere der Begründung des BFH, dass es anderenfalls zu dem "kaum vertretbaren" Ergebnis komme, dass die Finanzbehörde eines Bundeslandes über die Zahlungsverpflichtungen einer Finanzbehörde eines anderen Bundeslandes zu entscheiden hätte, vermochte das Schrifttum nicht zu folgen.

Schließlich wandte auch die Finanzverwaltung das zitierte BFH-Urteil nicht an (zur Handhabung: Bayerisches Landesamt für Steuern, Verfügung vom 27.10.2017, S 0127.1.1 6/6 St 42, BeckVerw 347969; OFD Niedersachsen vom 20.1.2016, S 0127 1 St 142, BeckVerw 323189).

Nach nunmehr geänderter BFH-Rechtsprechung gilt der sog. Grundsatz der Gesamtzuständigkeit auch in Bezug auf die örtliche Zuständigkeit für Steuern vom Einkommen und vom Vermögen natürlicher Personen (§ 19 AO). Das jeweils zuständige FA ist nicht nur für die eigentliche Besteuerung (§§ 134 ff. AO), sondern darüber hinaus auch für die Erhebung (§§ 218 ff. AO) und Vollstreckung (§§ 249 ff. AO) der betreffenden Steuern und ggf. auch für die Entscheidung über einen Einspruch (§ 367 Abs. 1 Satz 2 AO) zuständig, und zwar auch dann, wenn sich der Streit auf Jahre bezieht, die vor dem Zuständigkeitswechsel liegen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 19.3.2019 – VII R 27/17

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