Leitsatz

Der Zufluss von (Kapital-)Einnahmen i.S.v. § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG durch bloße Gutschrift in den Büchern des Schuldners oder durch sog. Novation kann nur dann angenommen werden, wenn der Gläubiger (Steuerpflichtige) nach den gesamten Umständen des Einzelfalls davon ausgehen durfte, dass er, hätte er statt des "Stehenlassens" des gutgeschriebenen Betrags und ggf. dessen "Novation" die Auszahlung gewählt, den betreffenden Betrag vom Schuldner ausgezahlt bekommen hätte.

 

Normenkette

§ 8 Abs. 1 EStG , § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger legte bei der M-AG (Sitz: Liechtenstein) und später bei der P-Ltd. (Sitz: Cayman Islands) Geldbeträge an. Die beiden Gesellschaften, hinter denen jeweils K stand, tätigten mit den gebündelten Kapitalanlagen ihrer Anleger Spekulationsgeschäfte. An den Gewinnen waren die Anleger mit 80 % (später 70 %) und die M-AG bzw. P-Ltd. mit 20 % (später 30 %) beteiligt. Verluste trugen die Anleger allein.

Die Gesellschaften wiesen gegenüber den Anlegern – mit einer Ausnahme – stets monatlich Gewinne aus. In Wahrheit waren aber hohe Verluste eingetreten. Bereits 1990 war mindestens die Hälfte des gesamten Anlagekapitals aufgezehrt. Schon in diesem Jahr verfuhr K nach dem "Schneeballsystem". Mitte 1992 war das gesamte Kapital der Anleger verloren, was diesen aber weiterhin verborgen blieb.

Das FA erfasste die dem Kläger in den Streitjahren 1992 und 1993 in den Büchern der Gesellschaften gutgeschriebenen, nur zum geringen Teil ausgezahlten (Schein-)Renditen in vollem Umfang als Einnahmen aus Kapitalvermögen. Die dagegen erhobene Klage hatte nur teilweise Erfolg. Das FG nahm lediglich die ab Juli 1993 gutgeschriebenen "Renditen" von der Besteuerung aus (vgl. EFG 2001, 431). Auf die Revision des Klägers hob der BFH die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.

 

Entscheidung

Zutreffend habe das FG die Rechtsverhältnisse zwischen dem Kläger und den Anlagegesellschaften als typisch stille Gesellschaft qualifiziert.

Zu folgen sei dem FG auch darin, dass es einen Zufluss (§ 11 Abs. 1 Satz 1 EStG) der im 2. Halbjahr 1993 gutgeschriebenen "Renditen" verneint habe. Der Kläger habe trotz seiner nachdrücklichen Bemühungen in diesem Zeitraum bis auf eine Ausnahme keine Auszahlungen mehr erreichen können. Auch hätten die strafrechtlichen Feststellungen ergeben, dass Auszahlungen an Anleger in dieser Zeit nur noch auf massiven Druck hin erfolgt seien. Die Zahlung an den Kläger am 15.10.1993 habe dessen Auszahlungsverlangen nur zum Teil entsprochen.

Allerdings rechtfertigten die vom FG getroffenen Feststellungen nicht dessen pauschalen Schluss, dass die im Zeitraum vom 1.1.1992 bis 30.6.1993 gutgeschriebenen "Renditen" dem Kläger i.S.v. § 11 Abs. 1 EStG zugeflossen seien.

Bereits 1992 sei es wegen zu geringer Neuanlagen zu Problemen mit der Rückzahlung an die Anleger gekommen, wobei z.T. Schecks nicht eingelöst worden seien. Außerdem habe es bereits 1992 negative Schlagzeilen in der Fachpresse über das Gebaren der M-AG und Ermittlungen der zuständigen Aufsichtsbehörde wegen Verstoßes gegen das KWG gegeben. Von einem Zufluss i.S.d. § 11 Abs. 1 EStG könne in den Fällen der bloßen Buchgutschrift und Novation nur dann ausgegangen werden, wenn der Gläubiger, hätte er statt des "Stehenlassens" der Renditen deren Auszahlung gewählt, dieses Vorhaben tatsächlich hätte realisieren können.

Dies werde das FG anhand der gesamten Umstände des Einzelfalls (Indizien) ermitteln und beurteilen müssen. Dabei werde insbesondere dem Umstand Bedeutung zukommen, ob und inwieweit die Anlagegesellschaften etwaigen vom Kläger tatsächlich gestellten (berechtigten) Auszahlungsbegehren unverzüglich oder nur "schleppend" oder gar überhaupt nicht nachkamen. Indizielle Bedeutung könne auch das Zahlungsgebaren der Schuldner gegenüber anderen Gläubigern erlangen.

 

Hinweis

1. Im vorliegenden Fall geht es einmal mehr um die Frage der Versteuerung von dem Kapitalanleger in den Büchern des Anlagebetrügers gutgeschriebenen, aber nicht ausgezahlten (Schein-)Renditen. Die hierbei auftretenden Rechtsfragen hat der BFH in seinen grundlegenden Urteilen vom 22.7.1997 (vgl. insbesondere VIII R 57/95, BStBl II 1997, 755, betreffend (Ambros) weitgehend beantwortet.

2. Anders als in den Ambros-Fällen, in denen alle von den Anlegern in den dort streitigen Zeiträumen "abgerufenen" Kapital- und "Rendite"-Beträge stets und prompt ausgezahlt wurden, kam es bei dem hier von den betrügerischen Anlagegesellschaften betriebenen "Schneeballsystem" schon während des Streitzeitraums wegen zu geringer Neuanlagen zu erheblichen Problemen mit der Rückzahlung von Kapital- und der Auszahlung von "Rendite"-Beträgen an die Anleger.

Zutreffend geht der BFH hier davon aus, dass ein Zufluss von Kapitaleinnahmen im Fall der bloßen Buchgutschrift oder Novation ohne tatsächliche Auszahlung im betreffenden VZ nur dann und so lange angenommen werden kann, als nach den gesamten Umständen (Indizien) des Einzelfalls zweifelsfrei feststeht, dass der betroffene Gläub...

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