Leitsatz

1. Der BFH kann mit Einverständnis der originär Beteiligten auch dann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, wenn das dem Verfahren beigetretene BMF auf eine solche nicht verzichtet hat.

2. Der Abzug von Unterhaltsaufwendungen an im Ausland lebende Eltern als außergewöhnliche Belastung entfällt trotz entsprechender amtlicher Unterhaltsbescheinigung, wenn die Unterhaltsbedürftigkeit der Eltern nicht glaubhaft ist.

3. Reichen die vom Steuerpflichtigen, der angibt, einziger Unterhaltszahler zu sein, gezahlten Beträge nicht aus, um den gesamten Lebensbedarf der Eltern zu decken, müssen diese noch über andere Einnahmen verfügen, die sie verschwiegen haben. Damit entfällt die Glaubwürdigkeit der Unterhaltsbescheinigungen.

4. Zahlungen, die zum Jahresende geleistet worden sind, dürfen zwar wegen des Prinzips der Abschnittsbesteuerung den Gesamtbetrag der Einkünfte dieses Jahres nur anteilig mindern (Anschluss an BFH-Urteil vom 05.05.2010, VI R 40/09, BFH/NV 2010, 2158, BFH/PR 2010, 429). Sie stehen jedoch im Folgejahr zur Deckung des Lebensbedarfs zur Verfügung.

 

Normenkette

§ 33a Abs. 1 EStG, § 57, § 90 i.V.m. § 121 S. 1, § 122 FGO, Art. 103 Abs. 1 GG

 

Sachverhalt

Eheleute K machten wegen Asthma ihres Sohnes Anschaffungskosten für neue Möbel (Schlafzimmer und Sitzgarnitur) als außergewöhnliche Belastung geltend. Weiter machten sie für 2003 und 2004 Unterhaltszahlungen (5 200 EUR) für die in der Türkei lebenden Eltern des Klägers geltend, die laut amtlicher Unterhaltsbescheinigung weder Beruf noch Einkommen oder Vermögen hatten. K zahlte seinem Vater in 2003 3 000 EUR (12.11.) und 2 000 EUR (30.12.), in 2004 400 EUR (27.1.), 200 EUR (5.3.), 300 EUR (26.4.), 1 500 EUR (13.8.) und 2 500 EUR (29.12.). Das FA berücksichtigte diese Aufwendungen nicht. Die Klage blieb erfolglos (FG Nürnberg, Urteil vom 23.10.2007, VI 120/2006, Haufe-Index 2153896).

 

Entscheidung

Der BFH hob aus den in den Praxis-Hinweisen erläuterten Erwägungen die Vorentscheidung auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das FG zurück.

 

Hinweis

Das Besprechungsurteil entscheidet verfahrensrechtliche (1.) und materiellrechtliche Fragen (2.–4.).

1. Der BFH differenziert zur Begründung der in Leitsatz 1 ausgesprochenen Rechtsfolge zwischen den originär Verfahrensbeteiligten (Kläger, FA) und dem beigetretenen BMF, das insbesondere – im Gegensatz zu einem Beteiligten i.S.d. § 57 Nr. 3 FGO – über das originär beteiligte FA auf den Verfahrensgang Einfluss nehmen kann.

2.§ 33a Abs. 1 EStG kennt keine zumutbare Belastung. Dies hatte das FG bei den für 2003 geltend gemachten Unterhaltsaufwendungen übersehen; das führte insoweit schon zur Aufhebung der Vorentscheidung.

3. Der BFH folgte der Würdigung des FG nicht (Streitjahr 2004), dass die Unterhaltsbescheinigung unglaubwürdig sei. Die finanzrichterliche Überzeugungsbildung ist zwar revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbar (Verstöße gegen Denkgesetze, allgemeine Erfahrungssätze), muss aber auf tragfähigen Tatsachengrundlagen beruhen und daraus nachvollziehbar ableitbar sein. Daran fehlte es hier. So standen etwa mit der am 30.12.2003 gezahlten Unterhaltsrate (2 000 EUR) trotz Abschnittsbesteuerung in 2004 insgesamt 4 400 EUR zur Verfügung, etwa ⅔ des türkischen Pro-Kopf-Einkommens, sodass die Unterhaltsempfänger keine weiteren Einnahmen benötigten, um in der Türkei "über die Runden zu kommen". Das FG muss das erneut prüfen und dabei auch eine zeitanteilige Kürzung des Unterhaltshöchstbetrags in Betracht ziehen (Hinweis auf BFH-Urteil vom 05.05.2010, VI R 40/09, BFH/NV 2010, 2158, BFH/PR 2010, 429).

4. Kosten für Schlafzimmermöbel und Couchgarnitur als außergewöhnliche Belastung sind nicht abzuziehen, wenn nicht medizinisch indiziert. Der Abzug scheidet aber nicht aus, weil es an einem zeitlich vor den Aufwendungen erstellten amts- oder vertrauensärztlichen Gutachten fehlte. Es gelten neue Rechtsgrundsätze (geänderte Rechtsprechung!) zu den Nachweisanforderungen (vgl. BFH, Urteil vom 11.11.2010, VI R 17/09, BFH/NV 2011, 503, BFH/PR 2011, 134). Bei medizinischer Indikation steht dem Abzug auch der Gegenwert nicht entgegen, allenfalls die Anrechnung "Neu für Alt".

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 11.11.2010 – VI R 16/09

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