BMF, 4.3.2021, III C 4 - S 6400/21/10001 :001

 

A. Gemeinschaftsrechtliche Implikationen

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Die Versicherungsteuer und die Feuerschutzsteuer sind in der Europäischen Union nicht harmonisiert. Im Hinblick auf die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit im europäischen Binnenmarkt existieren aber seit der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften (EG) betreffend die Zweite Richtlinie des Rates vom 22. Juni 1988 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 73/239/EWG (ABl. 1988, L 172 vom 4. Juli 1988) gewisse europarechtliche Vorgaben, die bei der Besteuerung von Versicherungsentgelten zu berücksichtigen sind. Das einschlägige Richtlinienrecht wurde überarbeitet und zusammengefasst in der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) (ABl. 2009, L 335 vom 17. Dezember 2009).

2

Ausweislich des Erwägungsgrundes Nr. 11 stellt die Richtlinie 2009/138/EG ein wichtiges Instrument zur Vollendung des Binnenmarktes dar. Es soll Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen, die in ihrem Herkunftsmitgliedstaat zugelassen sind, gestattet werden, ihr Geschäft ganz oder teilweise durch die Gründung von Zweigniederlassungen oder die Erbringung von Dienstleistungen in der gesamten Gemeinschaft auszuüben.

3

Darüber hinaus dürfen die von den Mitgliedstaaten erhobenen unterschiedlichen Steuern und Abgaben auf Versicherungsverträge nicht zu Wettbewerbsverzerrungen beim Angebot von Versicherungen zwischen den Mitgliedstaaten führen. Um derartige Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, ist das Steuersystem und sind andere Abgabensysteme desjenigen Mitgliedstaats anzuwenden, in dem die Risiken belegen sind oder in dem bei Lebensversicherungen die Verpflichtungen eingegangen werden. Es obliegt den Mitgliedstaaten, Regelungen festzulegen, durch die die Erhebung dieser Steuern und Abgaben sichergestellt wird.

4

Das Kriterium der Risikobelegenheit ist ein Element des europäischen Richtlinienrechts, anhand dessen das Besteuerungsrecht demjenigen Mitgliedstaat zugewiesen wird, in dem das versicherte Risiko belegen ist. Es beansprucht daher nur Geltung in Fällen, in denen das versicherte Risiko in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Staat) belegen ist (nachfolgend: „Mitgliedsstaat”). Ist es außerhalb des EWR belegen, enthält das Richtlinienrecht keine Vorgaben hinsichtlich des Besteuerungsrechts, da es in keinem Mitgliedstaat belegen ist. Dementsprechend entscheiden die Mitgliedstaaten autonom, ob und unter welchen Voraussetzungen Versicherungsentgelte für die Versicherung von Risiken, die in einem Drittland (außerhalb des EWR) belegen sind, besteuert werden.

5

Die Vorgaben des europäischen Richtlinienrechts hinsichtlich des Besteuerungsrechts beschränken sich auf Versicherungsverhältnisse

– mit einem im EWR niedergelassenen Versicherer, die

  1. bei Nichtlebensversicherungen im EWR belegene Risiken betreffen (Mitgliedstaat der Risikobelegenheit) bzw.
  2. bei Lebensversicherungen im EWR begründet wurden (Mitgliedstaat der Verpflichtung).
 

B. § 1 VersStG

 

I. Systematik

6

Im Hinblick auf die im nationalen Steuerrecht zu beachtenden Vorgaben des Richtlinienrechts unterscheidet § 1 VersStG zwischen Versicherungsverhältnissen mit sog. EWR-Versicherern (§ 1 Abs. 2 VersStG) und solchen mit sog. Drittlandversicherern (§ 1 Abs. 3 VersStG).

7

§ 1 Abs. 2 VersStG dient – wie bisher schon – der Umsetzung der Vorgaben und Ziele des Richtlinienrechts, d. h., soweit es Versicherungsverhältnisse mit EWR-Versicherern betrifft und das Risiko im EWR belegen ist. Die Besteuerung von Versicherungsentgelten durch den deutschen Fiskus wird insoweit zurückgenommen, als das Besteuerungsrecht durch Richtlinienrecht einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union bzw. Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum zugewiesen wird, weil das versicherte Risiko dort belegen ist. Soweit versicherte Risiken außerhalb des EWR belegen sind, enthält § 1 Abs. 2 VersStG in den Sätzen 2 und 3 autonome Regelungen zur Steuerbarkeit.

8

Die mit dem Gesetz zur Modernisierung des Versicherungsteuerrechts vom 3. Dezember 2020 (BGBl 2020 I S. 2659) neu eingeführte Regelungssystematik verdeutlicht in § 1 Abs. 2 Satz 2, 1. Halbsatz VersStG, dass grundsätzlich auch die Versicherung von außerhalb des Geltungsbereichs des Gesetzes belegenen Risiken steuerbar ist, sofern das Risiko nicht in einem anderen EWR-Staat belegen ist. Dass Deutschland in Fällen der Risikobelegenheit in einem anderen EWR-Staat kein Besteuerungsrecht besitzt, ergab sich zwar bereits hinreichend deutlich aus § 1 Abs. 2 VersStG a.F., wird aber nunmehr durch die jetzt verwendete Regelungstechnik ausdrücklich herausgestellt.

9

§ 1 Abs. 3 VersStG r...

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