Leitsatz

War der Steuerpflichtige nicht im Besitz einer KapESt-Bescheinigung nach § 45a Abs. 2 EStG, so konnte eine Anrechnung der – eventuell – einbehaltenen und abgeführten KapESt auch bereits nach der im Streitjahr 1993 geltenden Fassung des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG nicht stattfinden.

Ist dem Steuerpflichtigen bewusst, dass er ohne KapESt-Bescheinigung eine Anrechnung der KapESt nicht herbeiführen kann, und gibt er deshalb Kapitaleinkünfte in seiner Steuererklärung in dem Bewusstsein nicht an, bei wahrheitsgemäßer Erklärung die Kapitalerträge wegen der fehlenden Anrechnungsmöglichkeit gewissermaßen ein "zweites Mal" versteuern zu müssen, so kann in diesem Verhalten eine Steuerhinterziehung zu erblicken sein.

Erfasst die gerügte Gehörsverletzung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens, sondern bezieht sich lediglich auf einzelne Feststellungen, so liegt kein Fall des § 119 Nr. 3 FGO vor, sodass die Entscheidung über diese Verfahrensrüge gem. § 126 Abs. 6 FGO keiner Begründung bedarf.

 

Normenkette

§ 36 Abs. 2 Nr. 2, § 45a Abs. 2 EStG, § 370 AO, § 126 Abs. 6, § 96 Abs. 1 FGO, Art. 103 Abs. 1 GG

 

Sachverhalt

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin und ihr im Januar 2008 verstorbener Ehemann (Kläger), dessen Rechtsnachfolgerin sie ist, ESt auf Einnahmen aus Tafelgeschäften hinterzogen haben und deshalb die Festsetzungsfrist auf 10 Jahre verlängert ist.

Die zusammen zur ESt veranlagten Kläger gaben 1994 ihre ESt-Erklärung für 1993 beim FA ab. In der beigefügten Anlage KSO erklärten sie einen – geringen – Teil ihrer Kapitaleinkünfte. Tatsächlich hatten die Kläger deutlich höhere Kapitaleinkünfte erzielt, einschließlich Einnahmen aus anonymen Tafelgeschäften – also Barauszahlung gegen Hingabe der Zinsscheine – erzielt. In gleicher Weise hatten die Kläger in den Vorjahren und auch in den Folgejahren nur geringe Teile der insgesamt erzielten erheblichen Kapitaleinkünfte erklärt.

Im November 2001 teilte die zuständige Steuerfahndungsstelle den Klägern mit, aus ihr vorliegenden Unterlagen ergebe sich, dass die Kläger Geld- oder Wertpapierübertragungen in das Ausland vorgenommen hätten. Daraufhin gaben die Kläger im Dezember 2001 berichtigte Erklärungen für die Jahre 1990 bis 1999 ab und machten zugleich umfangreiche Angaben über die tatsächlich zugeflossenen Geldbeträge. Das FA setzte die ESt für das Streitjahr 1993 ohne Anrechnung der auf die Einnahmen aus Tafelgeschäften entfallenden KapESt fest.

Die Kläger machten im Einspruchs- und auch im anschließenden Klageverfahren geltend, die Steuerfestsetzung für 1993 dürfe hinsichtlich der Einnahmen aus den Tafelgeschäften nicht mehr geändert werden, die verlängerte Festsetzungsfrist greife mangels hinterzogener Steuern nicht ein; denn die tatsächlich einbehaltene Zinsabschlagsteuer von 35 % liege sogar über ihrem persönlichen Steuersatz.

Das FG wies die Klage im Streitpunkt (FG Schleswig-Holstein, Urteil vom 22.11.2006, 2 K 30186/03, Haufe-Index 1812570, EFG 2008, 95) als unbegründet ab.

 

Entscheidung

Der BFH wies die auf Verfahrensmängel sowie Sachrügen gestützte Revision als unbegründet zurück. Die Rügen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer Überraschungsentscheidung, griffen nicht durch. Das FG habe im Rahmen der allein streitigen Frage des Vorliegens einer Steuerhinterziehung auch das aktenkundige Erklärungsverhalten der Kläger in der Vergangenheit im Rahmen des Indizienbeweises verwerten dürfen. Im Übrigen sei das FG nicht verpflichtet gewesen, die für seine Entscheidung erheblichen Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten, habe also auch nicht darauf hinweisen müssen, dass es die Tatsache der vollständigen Nichtversteuerung erheblicher Kapitaleinkünfte bereits in den Jahren 1990 bis 1992 indiziell für die Bösgläubigkeit der Kläger mit heranziehen werde.

Zu Recht habe das FA im Rahmen der auf 10 Jahre verlängerten Festsetzungsfrist den Steuerbescheid für das Streitjahr 1993 gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert. Die Streitfrage, ob trotz der zu niedrigen Festsetzung der ESt für 1993 aufgrund der Nichtangabe der Einnahmen aus Tafelgeschäften und aus anderen Kapitalanlagen eine Verkürzung der Steuer deshalb zu verneinen sei, weil anrechenbare KapESt-Beträge bereits an den Fiskus abgeführt worden seien, bedürfe keiner Klärung. Denn eine derartige steuerstrafrechtliche Verrechnung komme nicht in Betracht, da die steuerrechtlichen Anrechnungsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Abgabe der unvollständigen ESt-Erklärung mangels ordnungsgemäßer KapESt-Bescheinigung nicht erfüllt gewesen seien.

Die Kläger hätten auch vorsätzlich gehandelt. Das FG habe in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise den Vorsatz bejaht und den von ihnen behaupteten Tatbestandsirrtum i.S.d. § 16 Abs. 1 StGB zu Recht verneint. Ein Tatbestandsirrtum liege u.a. dann vor, wenn der Täter angenommen habe, die steuerliche Behandlung einer Angelegenheit sei richtig erfolgt. Das FG habe indes zutreffend angenommen, dass die Kläger aufgrund der gesamten Umstände Ken...

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