Leitsatz

Die seit dem 1.1.2007 geltende Neuregelung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG, wonach Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte keine Werbungskosten mehr darstellen und erst ab dem 21. Entfernungskilometer wie Werbungskosten abzugsfähig sind (Härtefall), ist verfassungswidrig, da sie gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gem. Art. 3 GG verstößt. Arbeitnehmer, die ihre Wohnung innerhalb von 20 km von ihrem Arbeitsplatz entfernt haben, werden steuerlich schlechter gestellt als Arbeitnehmer, die weiter als 20 km von ihrem Arbeitsplatz entfernt wohnen. Das in der Gesetzesbegründung genannte Ziel der notwendigen Haushaltskonsolidierung rechtfertigt die Neuregelung nicht.

 

Sachverhalt

Die Kläger sind Eheleute, die Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit erzielen und in ihrem Antrag auf Lohnsteuerermäßigung 2007 einen Freibetrag für die Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte geltend machten. Bei der Berechnung des Freibetrags legten sie die tatsächliche Entfernung von 61 km zugrunde. Das Finanzamt wandte jedoch die Neuregelung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG an und berücksichtigte nur eine Entfernung von 41 km. Der Einspruch gegen den Bescheid über die Lohnsteuerermäßigung hatte keinen Erfolg. Ferner lehnte das Finanzamt den Eintrag des beantragten Freibetrags im Wege der Aussetzung der Vollziehung ab.

 

Entscheidung

Das FG gab dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung statt und verpflichtete das Finanzamt dazu, den beantragten Freibetrag vorläufig auf der Lohnsteuerkarte einzutragen.

Nach Auffassung des 7. Senats verstößt die mit der Neuregelung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG verbundene Kürzung der Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für die ersten 20 Entfernungskilometer gegen das Prinzip der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit und gegen das verfassungsrechtliche Gebot der gerechten Lastenverteilung. Die willkürlich erscheinende Streichung der Pendlerpauschale für die ersten 20 Entfernungskilometer führe zur Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern, die in unterschiedlicher Entfernung zu ihrem Arbeitsplatz wohnen. Benachteiligt würden insbesondere diejenigen Arbeitnehmer, die nicht weiter als 20 km von ihrem Arbeitsplatz entfernt wohnen, da sie überhaupt keine Fahrtkosten mehr geltend machen können. Sachliche Gründe für diese Ungleichbehandlung seien nicht ersichtlich. Vielmehr erfolgte die Gesetzesänderung aus fiskalischen Gründen. Das in der Gesetzesbegründung genannte Ziel der notwendigen Haushaltskonsolidierung rechtfertige die Ungleichbehandlung nicht. Die Festlegung der 20km-Grenze sei sachlich nicht begründet.

Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte der Privatsphäre zugeordnet werden, so dass erst am Werkstor die Berufsphäre beginnt. Dass jedoch Fahrtkosten ab dem 21. Entfernungskilometer zum Abzug zugelassen sind, widerspreche der konsequenten Umsetzung der Werkstortheorie. Für die Arbeitnehmer, die innerhalb von 20 km von ihrem Arbeitsplatz entfernt wohnen, gelte die Werkstortheorie, für die übrigen Arbeitnehmer hingegen nicht.

Die Kürzung der Entfernungspauschale verstoße gegen das objektive Nettoprinzip, das auf dem Prinzip der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit beruhe. Danach dürfe nur das Einkommen besteuert werden, das dem Steuerpflichtigen nach Abzug seiner beruflich verursachten Aufwendungen verbleibt. Zu den beruflich verursachten Aufwendungen gehörten auch die Aufwendungen für die Fahrten zur Arbeitsstätte. Es handele sich hierbei um Aufwendungen, die dem Steuerpflichtigen nicht freiwillig, sondern zwangsläufig entstünden.

Die Neuregelung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG widerspreche den Grundprinzipien der Einkommensbesteuerung und verletze den Gleichheitsgrundsatz. Auf Grund der verfassungsrechtlichen Bedenken sei der beantragte Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte einzutragen.

 

Hinweis

Gegen den Beschluss des 7. Senats des Niedersächsischen FG ist die Beschwerde zum BFH zugelassen worden. Die Einlegung der Beschwerde hat jedoch keine aufschiebende Wirkung, so dass das Finanzamt den beantragten Freibetrag zunächst eintragen muss. Der Beschluss des 7. Senats ist nur wenige Tage nach dem Vorlagebeschluss des 8. Senats an das BVerfG ergangen (Beschluss v. 27.2.2007, 8 K 549/06).

Das BVerfG muss nunmehr die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG prüfen. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob diese Neuregelung dem steuerlichen Gebot der Gleichbehandlung entspricht. Das im Einkommensteuerrecht geltende Prinzip der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit verlangt, dass Steuerpflichtige mit gleicher finanzieller Leistungsfähigkeit auch in gleicher Weise steuerlich belastet werden.

Die von der Kürzung der Entfernungspauschale betroffenen Arbeitnehmer sollten im Rahmen ihres Antrags auf Lohnsteuerermäßigung 2007 ebenso wie in den Vorjahren einen Freibetrag für die Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte geltend machen und dabei die tatsächliche Entfernung zu...

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