[Ohne Titel]

RA StB Georg von Streit / StB Olga Heidebrecht[*]

In einer Entscheidung vom 18.9.2019 hat der BFH entschieden, dass die Übertragung von Gesellschaftsanteilen keine Geschäftsveräußerung im Ganzen (GiG) darstellen könne.[1] Der Erwerber führe nämlich nicht eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit des Veräußerers fort. Dies könne aber anders sein, wenn ein Organträger Anteile an einer Organgesellschaft auf einen neuen Organträger übertrage. Interessant ist hierbei, dass der BFH – im Grunde genommen ohne weitere Begründung – davon ausgeht, dass trotz des Vorliegens einer Organschaft Anteile an einer Organgesellschaft veräußert werden können. Diese Feststellungen sollen im Folgenden gewürdigt werden.

[*] RA StB Georg von Streit und StB Olga Heidebrecht sind in der Steuerabteilung eines DAX 30-Unternehmens in Bonn tätig.

I. Vorgeschichte

1. EuGH v. 29.10.2009 – C-29/08 – SKF

Veräußerung aller Anteile = GiG: Seit der (eine Vorlagefrage aus Schweden betreffenden) SKF-Entscheidung des EuGH steht die Frage im Raum, ob die Veräußerung von Anteilen eine GiG i.S.d. Art. 19, 29 MwStSystRL darstellen kann. Die Diskussion wurde dadurch angestoßen, dass die Kommission im Verfahren vorgetragen hatte, der Verkauf sämtlicher Vermögenswerte einer Gesellschaft und der Verkauf (wie im vorgelegten Fall) sämtlicher Aktien an einer Gesellschaft seien in funktioneller Hinsicht gleichwertig. Dies lehnte der EuGH nicht rundweg ab, sondern stellte – quasi tautologisch – fest, soweit die Anteilsübertragung der Übertragung eines Gesamtvermögens gleichgestellt werden könne und sofern der betroffene Mitgliedstaat das in Art. 19, 29 MwStSystRL vorgesehene Wahlrecht ausgeübt habe, gehöre die Anteilsübertragung (als GiG) nicht zu den wirtschaftlichen Tätigkeiten.[2]

[2] EuGH v. 29.10.2009 – C-29/08 – AB SKF, UR 2010, 107 Rz. 41. Nebenbei bemerkt – in der Vorlagefrage wird nirgendwo erwähnt, wer Erwerber der Anteile ist. Das allerdings wäre durchaus von Bedeutung gewesen. Wäre nämlich Erwerber eine Gesellschaft z.B. in Norwegen gewesen, wäre Leistungsort der Anteilsübertragung gem. Art. 44 oder 59 MwStSystRL Norwegen gewesen. Dann wäre der Fall aus unionsrechtlicher Sicht nach norwegischem Recht zu beurteilen gewesen. Der Abzug der Vorsteuern, um den sich das Verfahren drehte, wäre dann nota bene gem. Art. 169 Buchst. c MwStSystRL ohnehin möglich gewesen.

2. EuGH v. 30.5.2013 – C-651/11 – X BV

Veräußerung von 30 % der Anteile ≠ GiG: Die SKF-Feststellungen wiederholte der Gerichtshof in dem Urteil X-BV, in dem es um die Veräußerung von Anteilen i.H.v. 30 % an einer Gesellschaft ging. Der EuGH bestätigte, dem SKF-Urteil sei zu entnehmen, dass er nicht ausgeschlossen habe, dass die Veräußerung einer Beteiligung von 100 % unter bestimmten Umständen der Übertragung eines Gesamtvermögens gleichgestellt werden könne.[3] Die Übertragung von lediglich 30 % der Anteile an einer Gesellschaft könne einer solchen Übertragung eines Gesamtvermögens aber nicht gleichgestellt werden.[4]

[3] EuGH v. 30.5.2013 – C-651/11 – X BV, UR 2013, 618 Rz. 33.
[4] EuGH v. 30.5.2013 – C-651/11 – X BV, UR 2013, 618 Rz. 40. Eine GiG kommt nach Ansicht des EuGH selbst dann nicht in Frage, wenn auch alle anderen Anteilseigner (fast) gleichzeitig ihre Anteile auf denselben Erwerber übertrügen.

3. BFH v. 27.1.2011 – V R 38/09: Übertragung von 99 %

Sachverhalt mit kleinen Unterschieden: Ähnlich wie der EuGH in dem Urteil X-BV hatte der V. Senat des BFH bereits etwa zwei Jahre vorher in einem Urteil vom 27.1.2011 über einen Fall zu entscheiden, in dem es nicht um den Verkauf sämtlicher Anteile an einer Tochtergesellschaft ging. Mit dem Unterschied aber, dass die Tochtergesellschaft in diesem Fall gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen der Anteilseignerin eingegliedert war (Organschaft).

a) Sachverhalt und Vorentscheidung

Übertragung von 99 % der Anteile: Der Entscheidung lag der Sachverhalt zugrunde, dass eine Gesellschaft 99 % der Anteile an einer Tochtergesellschaft (die auch Organgesellschaft war) an einen Erwerber übertrug. Sie machte Vorsteuern aus Beratungsleistungen geltend, die sie i.Z.m. dieser Übertragung gezahlt hatte. Diesen Abzug versagten die Finanzverwaltung und das FG.[5]

[5] FG Düsseldorf v. 10.6.2009 – 5 K 150/06 U. Das FG ging in dieser, dem SKF-Urteil vorhergehenden, Entscheidung allerdings noch davon aus, dass eine Veräußerung von Gesellschaftsrechten nur dann eine wirtschaftliche Tätigkeit darstelle, wenn sie im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit erfolge, die den Handel mit den Gesellschaftsrechten zum Gegenstand habe.

b) Zusammenhang mit steuerfreiem Umsatz

Unmittelbarer Zusammenhang mit Anteilsumsatz: Der BFH, der in der Revision über den Fall zu entscheiden hatte, führte aus, es liege eine gem. § 4 Nr. 8 Buchst. f UStG steuerfreie Übertragung von Gesellschaftsanteilen vor. Die Beratungsleistungen seien i.Z.m. diesem steuerfreien Umsatz bezogen worden.[6]

c) Zusammenhang mit steuerpflichtiger Gesamttätigkeit

Die Beratungsleistungen hätten zwar auch mit der (steuerpflichtigen) wirtschaftlichen Gesamttätigkeit der Verkäuferin zusammenhängen können. Das wäre insbesondere der Fall gewesen, wenn sie i.Z.m. einer GiG bezogen worden wä...

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