rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Billigkeitserlass von Kindergeldrückforderungen wegen Anrechnung auf Leistungen nach dem SGB II trotz Verletzung der Mitwirkungspflicht nach § 68 Abs. 1 EStG und unterbliebener Anfechtung des Rückforderungsbescheids

 

Leitsatz (redaktionell)

Auch wenn Kindergeld zutreffend von der Steuerpflichtigen zurückgefordert worden ist, weil ihr infolge Elternzeit Kindergeld nicht zustand, sie die Familienkasse entgegen § 68 EStG nicht über die Elternzeit informiert hat und sie den Rückforderungsbescheid auch nicht angefochten hat, ist ihr die Kindergeldrückforderung aus sachlicher Billigkeit nach § 227 AO in dem Umfang zu erlassen, in dem sie während des kindergeldrelevanten Zeitraums Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II erhalten hat und das erhaltene Kindergeld auf diese Leistungen nach dem SGB II angerechnet worden ist (entgegen FG Düsseldorf, Urteile v. 7.4.2016, 16 K 377/16 AO; v. 24.2.2011, 16 K 2050/09 Kg; v. 6.3.2014, 16 K 3046/13 AO; FG Bremen, Urteil v. 28.8.2014, 3 K 9/14 (1); Dienstanweisung Kindergeld 2017 V 25.2 Abs. 2 S. 3; Anschluss an Sächsisches FG, Urteil v. 7.11.2017, 3 K 69/17).

 

Normenkette

AO §§ 227, 37 Abs. 2; EStG § 68 Abs. 1, § 70 Abs. 2; FGO §§ 102, 101 Sätze 1-2; SGB II § 13 Abs. 1 Nr. 3; GG Art. 1, 20 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 20.02.2019; Aktenzeichen III R 28/18)

BFH (Urteil vom 20.02.2019; Aktenzeichen III R 28/18)

 

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 07.02.2013, in Gestalt der Einspruchsentscheidung, zum Erlass eines Teilbetrags des zurückgeforderten Kindergeldes in Höhe von 1.026 EUR verpflichtet. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens haben die Beklagte zu 83 % und die Klägerin zu 17 % zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

4. Das Urteil ist hinsichtlich der erstattungsfähigen Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Beklagte den Erlass einer Kindergeldrückforderung zu Recht abgelehnt hat. Die Klägerin ist Mutter von zwei Kindern. Sie befand sich in Ausbildung und bezog u.a. Ausbildungsförderung.

Die 1991 geborene Klägerin hatte im Zeitraum Oktober 2009 bis April 2010 aufgrund ihres Abzweigungsantrags Kindergeld aus dem Kindergeldanspruch ihrer Mutter in Höhe von 1.228 EUR bezogen. In diesem Zeitraum hatte die Klägerin ebenfalls Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) erhalten (Blatt 180 der Kindergeldakte Band 1). Bei der Leistungsberechnung hatte die ARGE das Kindergeld, gekürzt um die monatliche Versicherungspauschale nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung in Höhe von 30 EUR, als Einkommen angerechnet und im Rahmen der Verteilung der Einkommensanteile bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der aus der Klägerin, ihrem Lebenspartner und ihrem Kind bestehenden Bedarfsgemeinschaft beim Bedarf abgezogen. Im Streitzeitraum wurden 210 EUR Kindergeld nicht auf die Leistungen nach dem SGB II angerechnet.

Die Kindergeldfestsetzung hob die Familienkasse mit bestandskräftigen Bescheid vom 31.05.2010 gegenüber der kindergeldberechtigten Mutter auf. Zugleich forderte sie von der Klägerin den überzahlten Betrag zurück. Der Bescheid wurde ebenfalls bestandskräftig. Dem lag zugrunde, dass sich die Klägerin seit dem 17.09.2009 erneut in Elternzeit befunden hatte und für das Ausbildungsjahr 2009/2010 vom Schulbesuch beurlaubt war (Blatt 170 der Kindergeldakte Band 1). In ihrer Anhörung zu der beabsichtigten Rückforderung hatte die Klägerin mitgeteilt, sie habe nicht gewusst, dass sie die Elternzeit bei der Familienkasse habe anzeigen müssen (Blatt 169 der Kindergeldakte Band 1).

Für den Zeitraum vor dem streitigen Rückforderungszeitraum Oktober 2009 bis April 2010 hatte die Beklagte die Kindergeldfestsetzung im Februar 2009 abgelehnt, weil die Klägerin im Zeitraum vom 13.11.2008 bis 31.07.2009 wegen der Inanspruchnahme von Elternzeit für ihr erstes Kind vom Schulbesuch beurlaubt war (Blatt 124 f. der Kindergeldakte Band 1). Der Ablehnungsbescheid vom 19.02.2009 erging mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der erneuten Beantragung des Kindergeldes ab August 2009. Nachdem sich die Klägerin ab Februar 2009 als arbeitssuchend bei der ARGE gemeldet hatte (Blatt 135 ff der Kindergeldakte Bd. 1) und im März 2009 erneut Kindergeld beantragt worden war, wurde das Kindergeld rückwirkend ab März festsetzt und an die Klägerin abgezweigt (Blatt 149 ff der Kindergeldakte Bd. 1).

Den im Zuge der Vollstreckung des Rückforderungsbescheids vom 31.05.2010 beantragten Erlass lehnte die Familienkasse mit Bescheid vom 07.02.2013 ab. Sie verneinte die Erlassbedürftigkeit, weil eine Existenzgefährdung regelmäßig dann ausscheide, wenn die in der sofortigen Einziehung liegende Unbilligkeit durch Gewä...

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