Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluss des Werbungskostenabzugs bei Kapitaleinkünften nach Einführung der Abgeltungsteuer verfassungsmäßig. Prämien wertlos gewordener Aktienkaufoptionen als Werbungskosten bei den Kapitaleinkünften

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die mit Einführung der Abgeltungsteuer verbundene Abschaffung des tatsächlichen Werbungskostenabzugs im Rahmen der Besteuerung der Kapitaleinkünfte (§ 20 Abs. 9 S. 1 EStG 2009) verstößt zwar gegen das objektive Nettoprinzip, ist aber bei einem Steuerpflichtigen, dessen individueller Steuersatz unter Berücksichtigung nur des Sparerfreibetrags 31,5 % beträgt, durch ausreichende sachliche Gründe gerechtfertigt und daher nicht verfassungswidrig, weil anderenfalls die Abgeltung durch den Kapitalertragsteuerabzug nicht administrierbar wäre und Bruttobesteuerung und einheitlicher Steuersatz wesentliche Elemente der Abgeltungssteuer sind (im Streitfall: kreditfinanzierter Erwerb von Wertpapieren).

2. Wird ein Steuerpflichtiger von der Typisierung des § 20 Abs. 9 S. 1 EStG unverhältnismäßig betroffen, z.B. weil bei Ansatz der tatsächlichen Werbungskosten überhaupt keine Steuer zu zahlen wäre, kann die Besteuerung im Einzelfall sachlich unbillig sein; insoweit kommen Billigkeitsmaßnahmen nach §§ 163, 227 AO in Betracht.

3. Unter Geltung der Abgeltungsteuer führt der Verfall vollständig wertlos gewordener Aktienkaufoptionen zu steuerlich anzuerkennenden negativen Kapitaleinkünften der aufgewendeten Optionsprämien in Gestalt eines Veräußerungsverlustes nach § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Buchst. a i. V. m. Abs. 4 S. 5 EStG 2009 (gegen BMF v. 27.3.2013, IV C 1 – S 2256/07/100005:013).

 

Normenkette

EStG 2009 § 20 Abs. 9 S. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Buchst. a, Abs. 4 S. 5, Abs. 6, § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, S. 2, § 9 Abs. 1 S. 1, § 32d Abs. 2, 6; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1; AO §§ 163, 227

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 12.01.2016; Aktenzeichen IX R 48/14)

 

Tenor

1. Der Einkommensteuerbescheid 2010 vom 22.07.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.12.2011 wird dahingehend geändert, dass die Einkommensteuer 2010 unter steuerlicher Berücksichtigung eines Veräußerungsverlustes im Sinne des § 20 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a) in Verbindung mit Abs. 4 Satz 5 EStG in Höhe von insgesamt 1.742,86 Euro niedriger festgesetzt wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Kläger infolge des vollständigen Wertverfalls von Aktienkaufoptionen einen steuerlich zu berücksichtigenden Veräußerungsverlust im Sinne des § 20 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a) in Verbindung mit Abs. 4 Satz 5 EStG in Höhe von insgesamt 1.742,86 EUR (zwei mal 871,43 EUR) erzielten oder ob insoweit einkommensteuerlich irrelevante Aufwendungen vorliegen (I.)

Ferner ist streitig, ob die Kläger Kreditzinsen zur Refinanzierung von Kapitalanlagen in Höhe von insgesamt 8.440 Euro im Jahr 2010 als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zum Abzug bringen können (II.).

Der Kläger erzielt aus seiner Tätigkeit als Professor an einer Fachhochschule Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, ferner erzielen beide Kläger Einkünfte aus Kapitalvermögen.

Zum 15.12.2009 schlossen die Kläger mit der Bank AG einen besicherten Kreditvertrag über 200.000 EUR mit einer Laufzeit von 10 Jahren und mit einem Zinssatz von 4,22% p.a. ab. Der Kredit dient ausschließlich dem Kauf von Wertpapieren. Das betriebswirtschaftliche Kalkül war, insbesondere über den Kauf von dividendenstarken Aktien (ca. 5% – 8% p.a.) und dem zusätzlichen, fallweisen Abschluss von Stillhaltergeschäften über die gesamte Laufzeit des Darlehens einen Überschuss zu erwirtschaften. Durch diese Konstruktion wurden alle Wertpapiergeschäfte aus diesem fremdfinanzierten Depot strikt von allen anderen privaten Wertpapiergeschäften getrennt. Dazu eröffneten die Kläger bei der Bank ein eigenes Depot samt notwendiger Gegenkonten. Alle Erträge und Aufwendungen aus den Wertpapiergeschäften wurden ausschließlich über diese Konten abgewickelt. Eine Vermischung mit den Erträgen und Aufwendungen der anderen vorhandenen Wertpapierdepots/-konten fand nicht statt. Im Jahr 2010 fielen Werbungskosten in Höhe von 8.840 EUR – an.

Am 26.04.2010 erwarben die Kläger für die Wertpapierdepots (Eheleute) und (Klägerin) jeweils 3 Kaufoptionen (= Calls) auf die Aktie von XXX AG zum Preis von jeweils 871,43 EUR. Basispreis der Optionen war 50,00 EUR, der Verfallstermin war Juli 2010. Spekulationsmotiv der Kläger war, über dieses Instrument von einem Kursanstieg der Aktie der XXX AG zu profitieren und die Kaufoption später zu einem höheren Preis wieder veräußern zu können. Statt des erwarteten Kursanstiegs kam es aber zu einem starken Kursrückgang der Aktie und zu einem starken Wertverlust bei der Kaufoption. Die Kläger versuchten, die Kaufoption mit der Verkaufsorder „bestens” zu verkaufen. Der Wertverfall der Aktie und damit auch der aus ihr abgeleiteten Kaufoption war aber so stark gewesen, dass an der Te...

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