Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufwendungen für im Jahr 2016 durchgeführte Liposuktion (Fettabsaugung) ohne vorab eingeholtes amtsärztliches Gutachen bzw. MDK-Bescheinigung nicht als außergewöhnliche Belastungen abziehbar

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Unter Berücksichtigung bisheriger sozialgerichtlicher Rechtsprechung war eine im Jahr 2016 durchgeführte Liposuktion (operative Fettabsaugung infolge eines Lipödems) im Zeitpunkt der Behandlung (Operation) keine wissenschaftlich anerkannte Heilmethode. Insoweit können weder der Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses – GBA – vom 18.1.2018 zum Erlass einer Richtlinie zur Erprobung der Liposuktion für eine wissenschaftliche Anerkennung noch die Entscheidung des GBA vom 19.9.2019 (Pressemitteilung des Gemeinsamen Bundesausschuss Nr. 25/2019, www.g-ba.de, www.g-ba.de/presse-rss), die Liposuktion zur Behandlung von Lipödemen im Stadium III unter bestimmten Bedingungen als Behandlungsmethode zuzulassen, noch das BSG, Urteil v. 26.2.2019, B 1 KR 18/18 R rückwirkend auf das Jahr 2016 zu einer anderen Bewertung führen.

2. Da es sich bei der Liposuktion im Streitjahr 2016 nicht um eine wissenschaftliche Behandlungsmethode gehandelt hat, setzt der Abzug der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung voraus, dass der Nachweis der Zwangsläufigkeit der Maßnahmen und Aufwendungen nach § 33 Abs. 4 EStG in Verbindung mit § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStDV durch ein amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes einer Krankenversicherung – MDK – erbracht wird, die jeweils vor Beginn der Behandlung ausgestellt worden sein müssen; eine erst mehr als zwei Jahre nach der Operation eingeholte amtsärztliche Stellungnahme genügt insoweit insbesondere dann nicht, wenn eine vor Beginn der Behandlung ausgestellte ärztliche Bescheinigung eines MDK die Maßnahme nicht empfohlen hat.

3. Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt, Az beim BFH VI R 36/20.

 

Normenkette

EStG § 33 Abs. 1, 2 S. 1, Abs. 4; EStDV § 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 Buchst. f., Abs. 2, § 84 Abs. 3 f.

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 10.08.2023; Aktenzeichen VI R 36/20)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob bei der Klägerin die Kosten einer Liposuktion (Fettabsaugung) in Höhe von 5.193,– EUR als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung 2016 berücksichtigt werden können.

Die Klägerin erzielte als Bankkauffrau Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2016 machte sie außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 5.655,– EUR geltend, davon waren Aufwendungen in Höhe von 5.283,– EUR aufgrund einer operativen Fettabsaugung an den Armen der Klägerin in Folge eines Lipödems (krankhafte Ansammlung von Fettdepots) entstanden. Die Krankheit und die Erforderlichkeit der Operation bestätigte ein Arztbrief der Doktores A der Fachklinik für operative Lymphologie A vom 20.02.2015. Die Krankenversicherung der Klägerin hatte mit Schreiben vom 07.04.2015 die Übernahme der Kosten der Liposuktion abgelehnt und sich dabei auf das Gutachten des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung – MDK – bezogen, das die Behandlungsmethode nicht empfohlen hatte, da bis dato die Ursache für die Ausbildung eines Lipödems medizinisch nicht geklärt sei.

Mit Einkommensteuerbescheid 2016 vom 17.01.2019 erkannte der Beklagte die mit der Liposuktion verbundenen Kosten nicht an. Er begründete dies mit dem Gutachten des MDK vom 25.03.2015, dem zu entnehmen sei, dass die Voraussetzungen für eine sozialmedizinische Empfehlung der Methode unter Berücksichtigung der sozialmedizinischen begutachtungsrelevanten Gesichtspunkte nicht gegeben seien. Es handele sich bei der Liposuktion um eine „neue” Behandlungsmethode, die nicht über eine eigene Abrechnungsziffer verfüge und bezüglich derer ein positives Votum des Gemeinsamen Bundesausschusses – GBA – noch nicht vorliege. Daher sei die als Richtlinie verabschiedete Begutachtungsanleitung (Oktober 2008) als Entscheidungsgrundlage heranzuziehen. Eine positive leistungsrechtliche Entscheidung sei nur möglich, wenn es sich um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung handele und eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung stehe sowie wenn eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens Besserung bestehe. Diese Voraussetzungen lägen im Fall der Klägerin aber nicht vor.

Die Klägerin legte gegen den Bescheid Einspruch ein und schilderte ausführlich den Umfang ihrer Leiden. Sie gab an, nicht gegen die ablehnende Entscheidung der Krankenversicherung vorgegangen zu sein. Weiterhin legte sie Arztbriefe der oben benannten Doktores vor, in denen diese die medizinische Indikation der Operationen bestätigten. Im Laufe des Einspruchsverfahrens holte die Klägerin eine amtsärztliche Stellungnahme des MR Dipl.-Med. B vom 15.05.2019 ein, die die medizinische Rechtfertigung der Operationen aufgrund des progredienten Verlaufs und der präo...

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