Leitsatz

Für den sogenannten Durchschnittsverbraucher, dem es auf das Spielerlebnis und den erzielbaren Gewinn ankommt, dürfte es – jedenfalls bei summarischer Prüfung – keine Rolle spielen, ob er virtuell oder terrestrisch spielt. Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität verbietet jedoch, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln.

 

Sachverhalt

Nach Auffassung des antragstellenden Geldspielhallenbetreibers seien seine Glücksspielumsätze umsatzsteuerfrei, da virtuelles Automatenspielen im Internet – im Gegensatz zu den Glücksspielumsätzen des Antragstellers – seit 1.7.2021 umsatzsteuerfrei (§ 4 Nr. 9 Buchst. b UStG) ist. Gegen den gegenteiligen Bescheid des Finanzamts legte er Einspruch ein. Nach Ablehnung durch das Finanzamt beantragte der Antragsteller beim Finanzgericht die Aussetzung der Vollziehung (AdV).

 

Entscheidung

Nach Auffassung des FG bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerfestsetzung, weil aufgrund der Neufassung des Rennwett- und Lotteriegesetzes v. 25.6.2021 von Anfang an Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung bestanden. Das FG hat daher die Aufhebung der Vollziehung angeordnet.

Virtuelle Automatenspiele sind gem. § 22a GlüStV unter bestimmten Voraussetzungen ab 1.7.2021 im Internet erlaubt. Sie unterliegen gem. §§ 36 ff. RennwLottG v. 25.6.2021 der virtuellen Automatensteuer. Gem. § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG sind unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fallende Umsätze umsatzsteuerfrei, wenn sie nicht von der Rennwett- und Lotteriesteuer befreit sind oder die Steuer (gemeint: Rennwett- und Lotteriesteuer) von diesen Umsätzen allgemein nicht erhoben wird. Nach dieser Regelung unterfallen daher terrestrische Geldspielumsätze der Umsatzsteuer, während virtuelle Geldspielumsätze ab 1.7.2021 umsatzsteuerfrei sind, weil sie dem Rennwett- und Lotteriegesetz unterliegen.

Nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. i. MwStSystRL ist die Veranstaltung oder der Betrieb von Glücksspielen und Glücksspielgeräten grundsätzlich von der Mehrwertsteuer zu befreien. Hierbei dürfen die Mitgliedstaaten aber die Bedingungen und Grenzen dieser Befreiung festlegen. Bei der Ausübung dieser Zuständigkeit müssen die Mitgliedstaaten jedoch den Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachten.

Bei summarischer Prüfung besteht nach Auffassung des FG für die Zeiträume ab 1.7.2021 ein Verstoß gegen den umsatzsteuerlichen Grundsatz der Neutralität, indem virtuelle Geldspielumsätze von der Umsatzsteuer befreit sind, während die sogenannten terrestrischen Geldspielumsätze, also solche, bei denen die Spieler in den Spielhallen körperlich anwesend sind, umsatzsteuerpflichtig sind.

Bei der gegebenen Wettbewerbssituation wird bei virtuellen Geldspielumsätzen dem Spieler durch Stimulierung des herkömmlichen Kasinoerlebnisses das Gefühl vermittelt, er spiele in einer herkömmlichen Kasinostätte und nicht in virtueller Umgebung. Für den sogenannten Durchschnittsverbraucher kommt es auf das Spielerlebnis und den erzielbaren Gewinn an; deshalb dürfte es für ihn – jedenfalls bei summarischer Prüfung – keine Rolle spielen, ob er virtuell oder terrestrisch spielt.

Auch gehören nach EuGH, Urteil v. 10.11.2011, C-259/10, C-260/10 (The Rank Group), Geldspielautomaten außerdem sämtlich zu derselben Kategorie von Glücksspielen. Nach dem Beschluss der EU-Kommission v. 20.9.2011 sind von Online- und herkömmlichen Anbietern angebotene Spiele technologisch vergleichbar und Online-Glücksspiele seien ein weiterer Vertriebskanal einer ähnlichen Art von Glücksspielaktivitäten. Der oben genannte Beschluss ist – jedenfalls bei summarischer Prüfung – ein weiteres Indiz für eine Vergleichbarkeit von virtuellen und terrestrischen Geldspielumsätzen.

Zwar wurde im Gesetzgebungsverfahren die umsatzsteuerliche Problematik zur Vergleichbarkeit der verschiedenen Spielweisen (online oder terrestrisch) problematisiert. Dies ist jedoch unerheblich, da nach der EuGH-Rechtsprechung unterschiedliche rechtliche Regelungen hinsichtlich der Aufsicht und Regulierung der zu vergleichenden Umsätze keine umsatzsteuerlichen Unterschiede rechtfertigen können.

 

Hinweis

In vergleichbaren Fällen sollte jeweils Einspruch eingelegt und Aussetzung der Vollziehung beantragt werden. Insoweit bestehen im Hinblick auf den erfolgten Beschluss des FG realistische Erfolgsaussichten.

 

Link zur Entscheidung

FG Münster, Beschluss v. 27.12.2021, 5 V 2705/21 U

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