Diese Verfahren nennt man auch "Mutual Agreement Procedures" (MAP).

Dieses Kapitel geht nicht nur auf das Verständigungsverfahren selbst, sondern auch auf das Vor- und Nachverfahren ein. Wenn in der Praxis häufig von (untechnisch) "Verständigungsverfahren" gesprochen wird, ist meistens der ganze nachfolgend beschriebene Prozess mit seinen Instanzen gemeint. Die typische Abfolge lässt sich vereinfacht wie folgt zusammenfassen:

Abb. 149: Verständigungsverfahren – Abfolge durch die Instanzen

Da eine Doppelbesteuerung einerseits für Unternehmen nicht hinnehmbar ist und andererseits auch von den Regierungen der meisten Staaten verhindert werden soll, haben letztere untereinander völkerrechtliche Verträge, sogenannte Doppelbesteuerungsabkommen ("DBA") abgeschlossen. Insofern wäre die Bezeichnung "Doppelbesteuerungsvermeidungsabkommen" treffender.

Verständigungsverfahren haben den Zweck, eine dem DBA nicht entsprechende Besteuerung durch Betriebsprüfungsfeststellungen einer oder beider Finanzverwaltung(-en) zu beseitigen. Es handelt sich um ein antragsgebundenes zwischenstaatliches (bilaterales) Verwaltungsverfahren, das das Recht des Steuerpflichtigen schützt, nicht abkommenswidrig besteuert zu werden. D. h., dieses Verfahren ist nicht mit Staaten möglich, mit denen kein DBA besteht – wie z. B. mit Brasilien[695].

Grundsätzlich gilt, dass in einem Verständigungsverfahren nur der doppelt besteuerte Gewinn entsprechend gegenkorrigiert wird. Das heißt, in der Praxis entspricht die Steuernachzahlung des einen Landes i. d. R. nicht der Steuererstattung des anderen Landes, soweit die Steuersätze voneinander abweichen. Und in der Praxis bleiben die Unternehmen i. d. R. auf Zinsen und Strafen sitzen, weil diese nicht Gegenstand eines Verständigungsverfahrens sind.

Als Vorstufe eines Verständigungsverfahrens gem. Art. 25 OECD-MA kann der andere Staat die Möglichkeit einer Gegenberichtigung gem. Art. 9 Abs. 2 OECD-MA prüfen. Grundsätzlich regelt Art. 9 Abs. 2 OECD-MA Folgendes: Falls der eine Staat eine Gewinnhinzurechnung durchgeführt hat, soll der "andere Staat eine entsprechende Änderung der dort von diesen Gewinnen erhobenen Steuer" vornehmen und die zuständigen Behörden der Staaten "konsultieren" einander "erforderlichenfalls". In zweierlei Hinsicht ist Art. 9 Abs. 2 OECD-MA aus Sicht des (deutschen) Steuerpflichtigen in der Praxis selten hilfreich:

Deutschland hat diesen Abs. 2 nur mit wenigen Staaten[696] vereinbart, sodass gegenüber den meisten Nicht-EU-Staaten keine Rechtsgrundlage auf Basis von Art. 9 OECD-MA zur Gegenkorrektur besteht (vgl. allerdings Verständigungsverfahren gem. Art. 25 OECD-MA weiter unten).

  • Es fehlt an einem Einigungszwang der Vertragsstaaten. Das bloße "Konsultieren" kann, muss aber nicht zu einer abschließenden Einigung führen.

Falls jedoch in einem DBA mit Deutschland keine Vorschrift gem. Art. 9 Abs. 2 OECD-MA besteht (und dies gilt derzeit für die meisten DBAs), kann ein Verständigungsverfahren gem. Art. 25 OECD-MA beantragt werden.

Nachdem eine VP-Anpassung in einem Staat von der Betriebsprüfung festgestellt wurde, stellt der Steuerpflichtige bei der verantwortlichen Bundes-Finanzbehörde des anderen Staates einen Antrag auf Gegenkorrektur im Rahmen eines Verständigungsverfahrens. Rechtsgrundlage ist Art. 25 des OECD Musterabkommens bzw. der entsprechende Artikel des jeweils zugrunde liegenden DBAs:

Zitat

Art. 25 Verständigungsverfahren:

  1. Ist eine Person der Auffassung, dass Maßnahmen eines Vertragsstaats oder beider Vertragsstaaten für sie zu einer Besteuerung führen oder führen werden, die diesem Abkommen nicht entspricht, so kann sie unbeschadet der nach dem innerstaatlichen Recht dieser Staaten vorgesehenen Rechtsmittel ihren Fall der zuständigen Behörde des Vertragsstaats, in dem sie ansässig ist, oder, sofern ihr Fall von Artikel 24 Absatz 1 erfasst wird, der zuständigen Behörde des Vertragsstaats unterbreiten, dessen Staatsangehöriger sie ist. Der Fall muss innerhalb von drei Jahren nach der ersten Mitteilung der Maßnahme unterbreitet werden, die zu einer dem Abkommen nicht entsprechenden Besteuerung führt.
  2. Hält die zuständige Behörde die Einwendung für begründet und ist sie selbst nicht in der Lage, eine befriedigende Lösung herbeizuführen, so wird sie sich bemühen, den Fall durch Verständigung mit der zuständigen Behörde des anderen Vertragsstaats so zu regeln, dass eine dem Abkommen nicht entsprechende Besteuerung vermieden wird. Die Verständigungsregelung ist ungeachtet der Fristen des innerstaatlichen Rechts der Vertragsstaaten durchzuführen.
  3. Die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten werden sich bemühen, Schwierigkeiten oder Zweifel, die bei der Auslegung oder Anwendung des Abkommens entstehen, in gegenseitigem Einvernehmen zu beseitigen. Sie können auch gemeinsam darüber beraten, wie eine Doppelbesteuerung in Fällen vermieden werden kann, die im Abkommen nicht behandelt sind.
  4. Die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten können zur Herbeiführung einer Einigung im Sinne der vorstehenden Ab...

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