Leitsatz

1. Im Haftungsrecht nach der AO gilt der Grundsatz, dass sich Steuerschuldnerschaft und Haftung gegenseitig ausschließen.

2. Wer als Besitzer von in Deutschland unversteuerten Zigaretten zur Entrichtung der Tabaksteuer nach § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG verpflichtet ist, kann für diese Steuer nicht zugleich durch Haftungsbescheid nach § 71 AO in Anspruch genommen werden.

 

Normenkette

§ 71, § 70, § 191, § 370 Abs. 1, § 374 AO, Art. 20 Abs. 1 und 2 GG, § 21 Abs. 2 und § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG

 

Sachverhalt

Der Kläger hatte von einem Zwischenhändler unverzollte und unversteuerte Zigaretten erworben und diese weiterverkauft oder selbst verbraucht. Deshalb gingen die Zollbehörden von einer strafbaren Steuerhehlerei aus und nahmen den Kläger nach § 71 AO als Haftungsschuldner in Anspruch.

Das FG bestätigte den Haftungsbescheid und entschied zugleich, dass der Kläger auch Schuldner der Tabaksteuer geworden sei (FG Hamburg, Urteil vom 13.9.2018, 4 K 121/17, Haufe-Index 12482146, EFG 2019, 1).

Trotz Annahme einer Steuerschuldnerschaft hielt das FG eine Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner – entgegen der Entscheidung des BFH vom 24.10.2017 (VII B 99/17, Haufe-Index 11832783, BFH/NV 2018, 933) – für zulässig.

 

Entscheidung

Der BFH hat an seiner Rechtsprechung festgehalten und das Urteil der Vorinstanz und den Haftungsbescheid aus den in den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen aufgehoben.

 

Hinweis

Kernproblem des Falles ist die Frage, ob ein Steuerschuldner zugleich auch Haftungsschuldner sein kann.

1. In ständiger Rechtsprechung hat der BFH dieses Nebeneinander verneint. In den letzten Jahren wurden Zweifel an dieser Rechtsprechung geäußert, insbesondere das FG Hamburg tat sich hierbei hervor (vgl. auch FG Hamburg, Beschlüsse vom 18.11.2016, 4 V 142/16, Haufe-Index 10148936, EFG 2017, 182; vom 7.6.2017, 4 V 251/16, Haufe-Index 11197795, ZfZ 2018, 208; vom 19.1.2018, 4 V 260/17, Haufe-Index 11569397 und vom 8.6.2018, 4 V 280/17, Haufe-Index 11936000, EFG 2018, 1606; Bender, Festschrift für Hans-Michael Wolffgang zum 65. Geburtstag, 2018, 513 ff.; Bender, ZfZ 2018, 190, 196).

2. Nachdem der BFH in seinem AdV-Beschluss vom 24.10.2017 (VII B 99/17, Haufe-Index 11832783, BFH/NV 2018, 933) mit ausführlicher Begründung an seiner Rechtsprechung festgehalten hat, erging in Kenntnis dessen das Urteil des FG.

Das FG war davon überzeugt, dass der Kläger Steuerschuldner gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 TabakStG sei. Werden Zigaretten aus einem anderen Mitgliedstaat nach Deutschland geschmuggelt, ist nach § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG auch derjenige Schuldner der entstandenen Tabaksteuer, der Besitz an den eingeschmuggelten Zigaretten erlangt. Das FG ging also nach den Ermittlungsergebnissen davon aus, dass die Zigaretten auf dem Landweg aus einem anderen EU-Mitgliedstaat nach Deutschland gelangt seien. In der Praxis sind die Transportwege der Zigaretten oftmals schwer zu ermitteln, in der Regel ist dieser Weg auch nicht allen beteiligten Personen bekannt.

Hintergrund des Problems ist im Kern die Neufassung des TabStG mit Wirkung vom 1.4.2010. Danach fallen die Steuerschuldtatbestände bei Einfuhr (aus einem Drittland, § 21 TabStG) und Verbringung (aus einem Mitgliedstaat, § 23 TabStG) auseinander. Bei der Einfuhr aus einem Drittland kommt es darauf an, ob die Person an der unrechtmäßigen Einfuhr beteiligt ist (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 TabakStG). Dagegen reicht bei einem Verbringen aus einem anderen EU-Mitgliedstaat der Besitz an den Zigaretten aus (§ 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG).

3. Das FG hat die Steuerschuldnerschaft des Klägers als Besitzer der Zigaretten unter Verweis auf das Urteil des BFH vom 11.11.2014 (VII R 44/11, Haufe-Index 7632297, BFHE 248, 271, BFH/PR 2015, 271) angenommen. Keine Erwähnung fand im Urteil das Auseinanderfallen der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 11.11.2014, VII R 44/11, Haufe-Index 7632297, BFH/PR 2015, 271) und des BGH (vgl. BGH, Urteil vom 24.4.2019, 1 StR 81/18, HFR 2020, 184) zur Frage, wann ein Besitz im Sinne von § 23 Abs. 1 TabStG zur Steuerschuldnerschaft führt. Der BGH geht einschränkend davon aus, dass nur der vor Beendigung des Verbringungsvorgangs erlangte Besitz an unversteuerten Tabakwaren die Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung auslöst; der nach Beendigung des Verbringungsvorgangs begründete Besitz an unversteuerten Tabakwaren wird danach durch den Tatbestand der Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 1 AO) strafrechtlich erfasst.

4. Das FG hat sich mit den Ausführungen des BFH in dessen Beschluss vom 24.10.2017 (VII B 99/17, Haufe-Index 11832783, BFH/NV 2018, 933) auseinandergesetzt. Soweit das FG andeutet, bei der vom BFH postulierten Exklusivität von Steuerschuld und Haftung handele es sich um ein Dogma, hat der BFH in seiner Entscheidung in BFH/NV 2018, 933 lediglich klargestellt, dass der damalige Gesetzgeber keine Änderung herbeiführen wollte. Dagegen hat der BFH gerade nicht ausgeführt, dass der Gesetzgeber keine Änderung herbeiführen durfte. Das widerspräche im Übrigen dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge