Neben der pragmatischen Frage, wann man sich in der Steuerkanzlei Zeit für strategische Fragen nehmen soll, gibt es die viel schwerwiegendere Frage, was man in der Kanzlei mit Strategie überhaupt meint.

Der pragmatische operative Umgang mit Problemen liegt Steuerberatern mehr in den Genen als strategische Veränderung. Denn Steuerkanzleien sind operative Hochleistungsbetriebe, die kurzfristige Anforderungen häufig in hoher Effizienz erledigen.

Der Blick auf die eigene Kanzlei und die eigene Arbeit aus einer eher langfristigen und strategischen Perspektive ist ungewohnt, zudem gibt es in vielen Kanzleien dafür keine etablierten Prozesse und Routinen – aber hier bestätigen Ausnahmen die Regel. Während es bei der operativen Arbeit um die Abgabe korrekter, richtiger und fehlerfreier Unterlagen an den Mandanten (BWA) und das Finanzamt geht, ist das Wesen der strategischen Sicht grundlegend anders: Es geht hier gerade nicht um Fehlerfreiheit, Korrektheit und Richtigkeit, sondern zunächst um die Frage, wie man in der Kanzlei mit Entscheidungen, die die Zukunft betreffen, umgeht. Insbesondere: Wann und wie beschäftigt sich die Kanzleiführung mit den Zukunftsfragen der Kanzlei, die über den operativen Horizont hinausgehen?

Denn einerseits drängen die eingangs geschilderten Herausforderungen geradezu zu einer klaren Positionierung, wie damit umgegangen wird. Andererseits bleibt die Zukunft unvorhersehbar und unkalkulierbar – und trotzdem muss sich die Kanzleiführung klar positionieren und für das gesamte Team einen Handlungs- und Führungsrahmen vorgeben. Dies trotz der Gewissheit, dass sich einige der Annahmen, die für den strategischen Führungsrahmen getroffen werden, als falsch erweisen werden. Somit haben wir es bei strategischen Fragen und dem Umgang mit der Verantwortung für die Zukunft mit folgender Paradoxie zu tun:

Abb. 2. Paradoxie des Wechselspiels von Zukunftsverantwortung und Unkalkulierbarkeit der Zukunft, R. Nagel, "Lust auf Strategie"

Reinhart Nagel bringt das so auf den Punkt: "Das Wesen einer solchen Paradoxie besteht nun bekanntermaßen darin, dass dieser Widerspruch unternehmerischen Handelns grundsätzlich nicht auflösbar ist. Die Funktion von Strategie besteht also darin, einen klugen Umgang mit dieser konstitutiven Paradoxie zu finden."

Mit anderen Worten: Gerade weil die Zukunft unvorhersehbar und unkalkulierbar ist, ist es nötig, sich intensiv mit ihr auseinanderzusetzen. Insbesondere auch, um für die eigene Arbeit als Kanzleileitung, für die Partner und Führungskräfte der Kanzlei sowie alle Mitarbeiter einen sicheren Handlungsrahmen abzustecken, der Orientierung für das eigene Tun im Tagesgeschäft stiftet sowie motivierend vermittelt, dass man sich mit der eigenen Kanzlei auf dem richtigen Dampfer für die Reise in die Zukunft befindet.

 
Wichtig

Blick auf den Strategiebegriff

Zum Verständnis des Wesens von Strategie als Entscheidungsbefugnisse in der Kanzlei lassen sich folgende wichtige Eckpunkte festhalten:

  • Strategie beschäftigt sich mit Zukunft und mit überlebensrelevanten Fragen der Kanzleientwicklung.
  • Strategie beschäftigt sich mit grundsätzlichen Entscheidungen und Prämissen bezüglich der Kanzleiführung.
  • Strategie ist konsequenzenreich, d. h. sie hat direkte Auswirkungen auf das operative Tagesgeschäft und alle Personen in der Kanzlei.
  • Strategie ist immer schon da, d. h. jede Kanzlei hat eine etablierte Art und Weise mit Fragen aus der eigenen Verantwortung für die Zukunft der Kanzlei.

Diese Aspekte sind zunächst wertfrei zu verstehen. In der Praxis haben sich ganz unterschiedliche Umgangsweisen und Verständnisse entwickelt, was Strategie in der Kanzlei bedeutet und wie damit umgegangen wird, die jeweils weder richtig noch falsch sind, weder besser noch schlechter:

  • Strategie als Plan/Roadmap
  • Strategie als Vision
  • Strategie als Position
  • Strategie als Wiederholung bisheriger Pfade und Muster

Abgesehen vom Strategieverständnis sowie auch der wichtigen und zu beleuchtenden Motive aller von der Strategie betroffenen Personen ist es unumgänglich, das Ziel einer strategischen Reise zu Beginn zu klären.

Um die Erwartungen an einen Strategieprozess im Vorfeld zu klären, helfen die folgenden Fragen von R. Nagel:

  • Welches konkrete Ergebnis soll der Strategieprozess haben?
  • Was wäre ein gutes und was ein schlechtes Ergebnis dabei?
  • Woran wollen Sie den Erfolg dieses Strategieprozesses festmachen?
  • Was wird nach dem Strategieprozess anders sein als heute?
  • Was soll beim Strategieprozess auf keinen Fall passieren?

Haben die Partner und weiteren Führungskräfte der Kanzlei unterschiedliche Erwartungen? Wie plausibel, realistisch und kompatibel sind diese Erwartungen insgesamt? Gibt es Anzeichen für verdeckte Erwartungen?

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