Leitsatz

Die Umsätze aus dem Herauslösen von Gelenkknorpelzellen aus dem einem Menschen entnommenen Knorpelmaterial und ihre anschließende Vermehrung zur Reimplantation zu therapeutischen Zwecken sind nach § 4 Nr. 14 UStG steuerbefreit, wenn diese Tätigkeiten von Ärzten oder im Rahmen eines arztähnlichen Berufs ausgeübt werden.

 

Normenkette

§ 3 Abs. 9, § 3a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c, § 4 Nr. 14 UStG 1999, Art. 9 Abs. 2 Buchst. c, Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-RL

 

Sachverhalt

Die in Deutschland ansässige Klägerin ist im Bereich der Gewebezüchtung (Tissue Engineering) tätig. Sie löst aus dem ihr von Ärzten und Kliniken übersandten menschlichen Knorpelmaterial Zellen heraus, die sie durch Zellkultivierung vermehrt und die dann dem Patienten wieder implantiert werden. Sie behandelte im Streitjahr 2002 ihre Umsätze mit Auftraggebern aus anderen Mitgliedstaaten der EU als nicht in Deutschland umsatzsteuerpflichtig (§ 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c UStG).

Das FA sah diese Umsätze als umsatzsteuerpflichtig an. Bei dem zur Eigenimplantation bestimmten Knorpelmaterial handle es sich nicht um "bewegliche körperliche Gegenstände" i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c UStG, und die Verwendung der USt-Id.Nr. erfordere eine – im Streitfall nicht vorliegende – ausdrückliche Vereinbarung.

Das FG Köln teilte diese Auffassung nicht und gab der Klage statt (FG Köln, Urteil vom 19.12.2006, 6 K 912/04, Haufe-Index 1700143, EFG 2007, 959).

 

Entscheidung

Die Revision des FA führte zu Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Dieses wird zu klären haben, welche berufliche Qualifikation die Personen haben, die die Laborleistungen ausführen, und ob es sich dabei um einen arztähnlichen Beruf handelt.

 

Hinweis

1. Der BFH hat im vorliegenden Verfahren mit Beschluss vom 01.04.2009, XI R 52/07 (BFH/NV 2009, 1050, BFH/PR 2009, 340) ein Vorabentscheidungsersuchen an den EUGH gerichtet.

Der EuGH hat mit Beschluss vom 29.07.2010, C-156/09, "Verigen" (BFH/NV 2011, 179, BFH/PR 2011, 100) entschieden, dass das Herauslösen von Gelenkknorpelzellen aus dem einem Menschen entnommenen Knorpelmaterial und ihre anschließende Vermehrung zur Reimplantation aus therapeutischen Zwecken eine "Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin" i.S.d. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-RL darstelle.

Nach dieser Bestimmung befreien die Mitgliedstaaten von der Steuer "die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Beruf erbracht werden".

Auf dieser Bestimmung beruht § 4 Nr. 14 UStG in der im Jahr 2002 (Streitjahr des Besprechungsfalls) gültigen Fassung. Danach sind umsatzsteuerfrei "die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut (Krankengymnast), Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 ESt und aus der Tätigkeit als klinischer Chemiker".

2. Im Besprechungsfall hatte das FG keine tatsächlichen Feststellungen zur beruflichen Qualifikation derjenigen Personen getroffen, die die Tätigkeiten ausüben, die der EuGH als "Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin" qualifiziert hat. Der XI. Senat des BFH hatte aber bereits in seinem Vorlagebeschluss für den Fall, dass der EuGH eine Heilbehandlung annehmen sollte, darauf hingewiesen, dass die Sache an das FG zurückverwiesen werden müsse, um zu klären, ob die Laborleistungen der Klägerin im Rahmen der Ausübung eines arztähnlichen Berufs erbracht worden seien.

Er hatte dies für möglich gehalten, da nach der Rechtsprechung des BFH eine medizinisch-technische Assistentin einen arztähnlichen Beruf ausübt (BFH, Urteil vom 29.01.1998, V R 3/96, BFH/NV 1998, 1045).

3. Bei der vom EuGH angenommenen Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin handelt es sich um eine Dienstleistung. Diese wird gem. § 3a Abs. 1 S. 1 UStG an dem Ort ausgeführt, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibt. Da die Klägerin im Besprechungsfall ihr Unternehmen im Inland betreibt, ist der Umsatz im Inland steuerbar (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 UStG).

Sollte sich herausstellen, dass die Laborleistungen von Personen mit einem arztähnlichen Beruf ausgeführt werden und mithin steuerfrei wären, erscheint dies auf den ersten Blick für die Klägerin vorteilhaft. Es ist aber zu bedenken, dass dann für die auf diese Heilbehandlungen entfallenden Eingangsleistungen nicht nur der Vorsteuerabzug zu versagen wäre, sondern die Klägerin auch – bis zu einer eventuellen Berichtigung – die USt abführen müsste, die sie ihren inländischen Auftraggebern in Rechnung gestellt hat (§ 14 Abs. 3 S. 1 UStG, nunmehr: § 14c Abs. 2 S. 1 UStG).

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 29.06.2011 – XI R 52/07

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