Leitsatz

Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird folgende Rechtsfrage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art. 107 Abs. 1 AEUV dahingehend auszulegen, dass eine unter diese Vorschrift fallende staatliche Beihilfe vorliegt, wenn nach den Regelungen eines Mitgliedstaats (Dauer‐)Verluste einer Kapitalgesellschaft aus einer wirtschaftlichen Betätigung, die ohne kostendeckendes Entgelt unterhalten wird, zwar im Grundsatz als vGA anzusehen sind und dementsprechend den Gewinn einer Kapitalgesellschaft nicht mindern dürfen, jedoch bei Kapitalgesellschaften, bei denen die Mehrheit der Stimmrechte unmittelbar oder mittelbar auf juristische Personen des öffentlichen Rechts entfällt, diese Rechtsfolgen für Dauerverlustgeschäfte nicht zu ziehen sind, wenn sie die betreffenden Geschäfte aus verkehrs‐, umwelt‐, sozial‐, kultur‐, bildungs‐ oder gesundheitspolitischen Gründen unterhalten?

 

Normenkette

§ 8 Abs. 3 Satz 2, Abs. 7 Satz 1 Nr. 2, Abs. 7 Satz 2, Abs. 9, § 34 Abs. 6 Sätze 4 und 5 KStG i.d.F. des JStG 2009, Art. 107 Abs. 1, Art. 108 Abs. 3 AEUV

 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine GmbH, deren Anteile zu 100 % von einer Stadt gehalten werden, versorgt die Bevölkerung u.a. mit Energie und Wasser. Zudem betrieb sie Schwimmbäder. In den Streitjahren 2002 und 2003 bewirtschaftete sie außerdem eine Schwimmhalle selbst und erwirtschaftete hierbei erhebliche Verluste.

Im Rahmen einer Außenprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, dass die Verluste als vGA zu qualifizieren und deshalb außerbilanziell dem Einkommen der Klägerin wieder hinzuzurechnen seien. Das FA folgte dem nicht, sondern ging in entsprechend geänderten Steuerbescheiden von nicht abziehbaren Betriebsausgaben aus. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG qualifizierte die Verluste als vGA zugunsten der Stadt als alleiniger Gesellschafterin der Klägerin (FG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 22.6.2016, 3 K 199/13, Haufe-Index 9735216).

 

Entscheidung

In dem von der Klägerin angestrengten Revisionsverfahren bestätigte der BFH in seinem Vorlagebeschluss die Auffassung des FG, dass es sich bei den getragenen Verlusten dem Grunde nach um eine vGA handelt. Weil der Gesetzgeber in § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 KStG rückwirkend angeordnet hat, dass die Rechtsfolgen einer vGA nicht zu ziehen sind, hätte der BFH "eigentlich" der Revision der Klägerin stattgeben müssen. Der BFH geht aber aus den in den Praxis-Hinweisen genannten Gründen davon aus, dass die gesetzliche Regelung eine Beihilfe darstellt. Er hat daher den EuGH zur Klärung der Unionsrechtslage angerufen.

 

Hinweis

1. Die Besprechungsentscheidung hat über den konkreten Streitfall hinaus eine ganz erhebliche Breitenwirkung und ist auch von erheblicher rechtspolitischer Brisanz. Der BFH rüttelt nämlich mit seinem Vorlagebeschluss an den Steuervergünstigungen, die das geltende Recht kommunalen Betrieben gewährt.

2. Worin diese Vergünstigungen bestehen, lässt sich am Beispiel von Schwimmbädern, um die es auch im Streitfall ging, vereinfacht wie folgt darstellen: Mit dem Betrieb von Hallenbädern – und aus klimatischen Gründen erst recht nicht mit dem Betrieb von Freibädern – kann in Deutschland praktisch kein Geld verdient werden. Die sozialverträglich ausgestalteten Eintrittsgelder reichen bei weitem nicht aus, um die laufenden Kosten zu decken (und bei kostendeckenden Eintrittspreisen würde wohl kaum ein Mensch noch das Schwimmbad besuchen).

Das Bad wird also für die Kommune zum sog. Dauerverlustbetrieb. Die Gemeinden legen deshalb häufig – auf unterschiedlichen Gestaltungswegen – den dauerdefizitären Schwimmbadbetrieb mit einem gewinnträchtigen Betrieb (z.B. Gas- und Stromversorgung) zusammen, verrechnen die Schwimmbadverluste mit den Versorgungsgewinnen und verringern so ihre Körperschaftsteuerbelastung. Dies ist der Kern des sog. steuerlichen kommunalen Querverbunds, der nicht nur bei Schwimmbädern, sondern in vielen anderen Bereichen der kommunalen Daseinsvorsorge (z.B. Büchereien, Kindergärten, öffentlicher Nahverkehr) zum Tragen kommt.

Im Streitfall hatte eine Stadt den "einfachsten" Gestaltungsweg gewählt. Sie ordnete den dauerdefizitären Schwimmbadbetrieb einer einzigen GmbH, die von ihr beherrscht wurde (sog. kommunale Eigengesellschaft), zu. Diese GmbH war zugleich für die gewinnträchtige Energie- und Wasserversorgung zuständig.

3. Auf derartige Gestaltungen hatte der BFH in seiner jüngeren Rechtsprechung mit der Anwendung der vGA-Regeln reagiert (BFH, Urteil vom 22.8.2007, I R 32/06, BFH/NV 2007, 2424, BStBl II 2007, 961): Die von der Eigengesellschaft erwirtschafteten Verluste aus dem Schwimmbadbetrieb stellen in voller Höhe eine vGA an die Stadt als alleinige Gesellschafterin dar. Die Verluste werden außerbilanziell daher wieder hinzugerechnet und erhöhen das steuerpflichtige Einkommen der Eigengesellschaft.

4. Der Gesetzgeber reagierte mit dem JStG 2009 auf diese für die Kommunen sehr ungünstige Rechtsprechung und führte in § 8 Abs. 7 bis 9 KStG Sondervorschriften für den Querverbund ein. So ist im Streitfall die rückw...

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