Rz. 7

[Autor/Stand] Mit den Regelungen zur Steuerschuldnerschaft kodifiziert,[2] ist § 20 Abs. 4 ErbStG eine steuerschuldrechtliche Vorschrift.[3] Sie ordnet ausdrücklich an, dass der Vorerbe die von ihm als Erbe (§ 2100 BGB, § 6 Abs. 1 ErbStG), d.h. kraft Erbanfalls (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG), geschuldete Erbschaftsteuer "aus den Mitteln der Vorerbschaft zu entrichten (hat)." Konzeptionell sieht der Gesetzgeber damit die indirekte Besteuerung der Vorerbschaft vor, denn tilgt der Vorerbe, ob berechtigt/befugt[4] oder verpflichtet,[5] die Steuerschuld aus der Vorerbschaft, trifft sie letztlich nur den Nacherben, der im Nacherbfall den insoweit bereits geminderten Nachlass erwirbt.[6] Die Vorerbschaftsteuer wirkt so zivilrechtlich wie eine dauernde Last i.S. des § 2126 Satz 1 BGB, die grundsätzlich nicht den Vorerben, sondern im Verhältnis beider allein den Nacherben belasten soll (§ 2145 Abs. 1 BGB).[7] Der Nacherbe kann daher Ersatzforderungen oder Freistellungsansprüchen des Vorerben/dessen Erben ausgesetzt sein, falls die Vorerbschaftsteuerschuld nicht mit Mitteln der Vorerbschaft erfüllt wurde[8] oder bei Eintritt des Nacherbfalls noch offen war (s. aber Anm. 8);[9] bei Nichtgeltendmachung solcher Forderungen stellt sich konsequent die Frage nach seiner eventuell Schenkungsteuer auslösenden Bereicherung (s. auch § 6 ErbStG Anm. 34–37).[10]

 

Rz. 8

[Autor/Stand] Geltendmachung der im Nacherbfall noch offenen Vorerbschaftsteuer: Vorbehaltlich abweichender testamentarischer Anordnungen tritt der Nacherbfall mit dem Tod des Vorerben ein (§ 2106 Abs. 1 BGB). Wurde die durch den Vorerbfall ausgelöste Erbschaftsteuer bis zu diesem Zeitpunkt bescheidmäßig noch nicht realisiert und ist der Nacherbe nicht zugleich auch Alleinerbe des Vorerben, stellt sich die Frage, ob die Vorerbschaftsteuer nun gegenüber dem/n Erben des Vorerben oder dem/n Nacherben festzusetzen ist. Der II. BFH-Senat entschloss sich für die zweite Variante.[12] Der Vorerbe, ggf. sein/e Erbe/n und der Nacherbe seien insoweit Gesamtschuldner, weshalb § 20 Abs. 4 ErbStG als ermessensleitende Vorschrift (§ 5 AO) das Finanzamt regelmäßig zur Festsetzung gegenüber dem Nacherben verpflichte. Die nur ausnahmsweise zulässige Inanspruchnahme des/r Erben des Vorerben bedürfe der besonderen Begründung (§ 121 Abs. 1 AO). Im Streitfall fehlte diese Begründung. Der BFH hob daher den angefochtenen Steuerbescheid gegen die Erbin einer verstorbenen Vorerbin auf. Ausdrücklich offen ließ er jedoch die Möglichkeit einer Steuerfestsetzung gegenüber dem Nacherben. Geht man dem nach, kommen Zweifel an der Annahme einer Gesamtschuldnerschaft. Das ErbStG enthält keine Vorschrift, die den Nacherben zum Steuerschuldner der Vorerbschaftsteuer bestimmt (§ 43 Satz 1 AO);[13] er könnte daher allenfalls per Haftungsbescheid belangt werden (§ 191 Abs. 3 AO; §§ 2126 Satz 2, 2124 Abs. 2 Satz 2, 257 Satz 1 BGB[14]). Vorerbe und Nacherbe schulden bzw. haften für diese Steuer auch nicht "nebeneinander", wie § 44 Abs. 1 Satz 1 AO verlangt, sondern allenfalls nacheinander. Dies folgt aus § 2139 BGB,[15] dessen ausdrückliche Bestimmung: "Mit ... der Nacherbfolge hört der Vorerbe auf, Erbe zu sein ..." in ihrer steuerschuldrechtlichen Wirkung bislang noch nicht erörtert wurde. Wortlautgemäß schuldet der Vorerbe die durch den Anfall der (Vor-)Erbschaft entstandene Erbschaftsteuer als Erwerber i.S. des § 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG nur bis zum Eintritt des Nacherbfalls. Und korrespondierend erlischt der hierdurch auflösend bedingte Vorerbschaftsteueranspruch (§ 47 AO). Konsequent kann die somit entfallene (höchstpersönliche?) Steuerschuld auch nicht nach § 45 Abs. 1 Satz 1 AO auf den/die Erbe/n des Vorerben übergehen. Eventuelle Freistellungsansprüche gegenüber dem Nacherben sind von vornherein ausgeschlossen.[16] Selbst eine gegen sie ergangene Steuerfestsetzung würde daran nichts ändern, hängt doch das Bestehen eines Steueranspruchs nicht von der Bescheidlage ab.[17] Auch gegenüber dem Nacherben geht daher ein Steuerbescheid über die Vorsteuer ins Leere.[18]

 

Rz. 8.1

[Autor/Stand] Als steuerschuldrechtliche und damit auch zivilrechtlich wirkende Vorschrift ist § 20 Abs. 4 ErbStG im Zusammenhang mit §§ 43, 47 AO/§ 2139 BGB zu betrachten. Sie zwingt das Erbschaftsteuerfinanzamt zur raschen und rechtzeitigen Geltendmachung des Vorerbschaftsteueranspruchs gegenüber dem Vorerben. Gelingt ihm dies nicht rechtzeitig vor Eintritt des Nacherbfalls, könnte er für den Fiskus verloren sein. Gegenläufig profitiert der Nacherbe. Ihn trifft dann zwar eine höhere Erbschaftsteuer, weil die Nacherbschaft nicht um die Vorerbschaftsteuer gemindert ist. Der Nachlass wird damit aber nur einmal erbschaftsteuerlich belastet mit der Folge, dass ihm im Ergebnis mehr verbleibt.

 

Rz. 8.2

[Autor/Stand] Nachvermächtnis: § 20 Abs. 4 ErbStG beeinflusst entsprechend auch das Innenverhältnis betroffener Vorvermächtnisnehmer, ggf. ihrer Rechtsnachfolger, und Nachvermächtnisnehmer sowie ihr Erbschaftsteuerschuldverhältnis (s. auch § 6 Ab...

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