1 Allgemeines

 

Rz. 1

Rechtsanwendung besteht in der Subsumtion eines bestimmten Lebenssachverhalts unter bestimmten Rechtssätzen, aus denen sich dann die entsprechenden Rechtsfolgen ergeben. Das Gericht muss daher zunächst den entscheidungserheblichen Sachverhalt ermitteln[1], bevor es diesen unter die maßgeblichen Rechtssätze subsumieren kann. Ist der Sachverhalt zwischen den Beteiligten streitig oder dem Gericht zweifelhaft[2], muss der wahre Sachverhalt festgestellt werden. Das geschieht durch die Beweisaufnahme, die in § 79 Abs. 3 FGO und §§ 8189 FGO geregelt ist. Dabei wird auf die wesentlichen Vorschriften der ZPO verwiesen.[3] Die Beweisaufnahme ist als besondere Form der allgemeinen (formlosen) Sachaufklärung von dieser zu unterscheiden, da die Beweisaufnahme besonderen, dem Schutz der Beteiligten und der Wahrheitsfindung dienenden Verfahrensvorschriften unterliegt.[4]

 

Rz. 2

Dem Beweis zugänglich sind Tatsachen, Erfahrungssätze und ausnahmsweise auch ausländische, dem Gericht nicht ohne Weiteres zugängliche Rechtsnormen. Tatsachen sind sinnlich wahrnehmbare äußere oder innere Vorgänge.[5] Soweit Rechtsnormen zu ermitteln sind, gilt jedoch der Grundsatz, dass das Gericht das Recht kennt ("iura novit curia").

 

Rz. 3

Bewiesen werden müssen alle ungeklärten entscheidungserheblichen Tatsachen. Offenkundige[6] Tatsachen[7] sind zwar möglicherweise bestritten, aber nicht ungeklärt. Wegen des Amtsermittlungsgrundsatzes sind dabei alle, insbesondere die von den Beteiligten angebotenen, Beweismittel auszuschöpfen. Von den Verfahrensbeteiligten angebotene Beweise muss das FG grds. erheben. Auf die beantragte Beweiserhebung kann es im Regelfall nur verzichten, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist, wenn die infrage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel unerreichbar ist oder wenn das Beweismittel unzulässig oder absolut untauglich ist.[8] Ferner ist das FG nicht verpflichtet, unsubstanziierten Beweisanträgen nachzugehen. Zur Substanziierung eines Beweisangebots genügt es, wenn Tatsachen vorgetragen werden, die i. V. m. einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, die daraus abgeleiteten Rechtsfolgen zu tragen. Das Beweisthema und das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme in Bezug auf einzelne konkrete Tatsachen ist hierfür genau anzugeben.[9] Der Pflicht zur Substanziierung ist dann nicht genügt, wenn das Gericht aufgrund der Darstellung nicht beurteilen kann, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der an eine Behauptung geknüpften Rechtsfolgen erfüllt sind.[10] Bloßen Beweisermittlungs- oder Ausforschungsbegehren muss das Gericht nicht nachgehen.[11] Beweisanträge, die so unbestimmt sind, dass im Grunde erst die Beweiserhebung selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen aufdecken soll, brauchen regelmäßig dem Gericht eine Beweisaufnahme nicht nahezulegen.[12] Die Ablehnung der Zuziehung eines Sachverständigen, weil die Kosten des Gutachtens in keinem angemessenen Verhältnis zum geringen Streitwert stehen, ist ermessensfehlerhaft.[13] Erst wenn eine Klärung nach Ausschöpfen aller Beweismittel nicht möglich ist, kommen die Regeln der objektiven Beweislast zum Tragen.[14]

 

Rz. 4

In der Praxis der Finanzgerichte sind Beweisaufnahmen vergleichsweise selten. Meistens gelingt es dem Gericht, sich durch Aktenstudium und Befragung der Beteiligten ein klares Bild vom entscheidungserheblichen Sachverhalt ohne Durchführung einer Beweisaufnahme zu machen, was allerdings häufig eine rege vorbereitende Tätigkeit i. S. v. §§ 76, 79 FGO erfordert. Dies bedeutet nicht, dass eine Beweiserhebung keine bedeutende Erkenntnisquelle des finanzgerichtlichen Verfahrens ist.[15] Eine Beweiserhebung kommt jedoch erst dann in Betracht, wenn nach dem Akteninhalt, dem Vorbringen der Beteiligten und etwaiger weiterer vorbereitender Tätigkeiten des Gerichts entscheidungserhebliche Tatsachen streitig oder unklar bleiben.[16]

 

Rz. 5

Wegen des Amtsermittlungsgrundsatzes und des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann das Gericht von einer Beweisaufnahme nur absehen und Beweisangebote der Beteiligten nur übergehen, wenn die zu beweisenden Tatsachen entweder zwischen den Beteiligten (inzwischen) unstreitig sind (zur tatsächlichen Verständigung der Beteiligten über Tatsachen s. § 76 FGO Rz. 19ff.), wenn sie offenkundig sind oder wenn es auf sie für die Entscheidung nicht ankommt, die jeweils behauptete Tatsache also als richtig unterstellt werden kann, ohne dass sich die Entscheidung dadurch ändert (s. Rz. 3). Nicht unterbleiben darf allerdings eine Beweisaufnahme, weil das Gericht die in Betracht kommenden Zeugen von vornherein für unglaubwürdig hält, also wenn eine Beweiserhebung mit der Begründung unterlassen oder abgelehnt wird, ihr zu erwartendes Ergebnis könne die Überzeugung des Gerichts nicht ändern.[17] Diese sog. vorweggenommene Beweiswürdigung stellt einen Verfahrensmangel dar.[18] Das gilt auch für die Beteiligtenvernehmung.[19] Erleich...

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