1 Allgemeines

 

Rz. 1

Die Vorschrift enthält die Begriffsbestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts natürlicher Personen, also des zweiten Anknüpfungspunkts für die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht neben dem Wohnsitz.[1] Für juristische Personen und Personengesellschaften sind §§ 10f. AO maßgebend. Die S. 1 und 2 enthalten selbstständig nebeneinander Tatbestände, bei deren Vorliegen jeweils ein gewöhnlicher Aufenthalt anzunehmen ist. Da S. 2 zur Vereinfachung der Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts dienen soll und entsprechend einfacher strukturiert ist, bietet sich im Einzelfall eine Betrachtung zunächst der Voraussetzungen des S. 2 an, bei dessen Unanwendbarkeit dann die Prüfung des S. 1. Die Regelung des S. 3 für Aufenthalte zu nichtgeschäftlichen Zwecken entspricht derjenigen zum früheren § 14 Abs. 1 StAnpG geübten Handhabung nach dem RdF-Erlass v. 10.7.1939.[2] Die Ausnahmeregelung des S. 3 ergänzt zwar unmittelbar nur S. 2, ist aber auch für die Auslegung des gewöhnlichen Aufenthalts nach S. 1 zu berücksichtigen.[3]

Der in § 9 AO umschriebene Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts wird im Steuerrecht, aber auch in anderen Rechtsgebieten[4] an verschiedenen Stellen verwendet, und zwar meist neben dem Wohnsitz als Anknüpfungspunkt für die gleichen Rechtsfolgen. Das gilt für den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland bei der unbeschränkten Steuerpflicht der ESt[5] sowie bei der persönlichen Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG wie auch für § 63 Abs. 1 S. 3 EStG. Für die örtliche Zuständigkeit bei der ESt nach § 19 Abs. 1 AO und für die frühere Ermäßigung der ESt nach dem BerlFG[6] wird der gewöhnliche Aufenthalt im Inland bzw. in Berlin (West) erst als zweiter Anknüpfungspunkt genannt für den Fall, dass kein Wohnsitz vorhanden ist. Aber auch in den anderen genannten Fällen ist der gewöhnliche Aufenthalt im Inland der weniger gewichtige Anknüpfungspunkt, der nur bedeutsam wird, wenn es an einem Wohnsitz fehlt. Inhaltlich ist der gewöhnliche Aufenthalt ein minus gegenüber dem Wohnsitz, nicht ein aliud. Die Frage, ob der gewöhnliche Aufenthalt grundsätzlich gleichberechtigt neben dem Wohnsitz steht[7], hat nur theoretische Bedeutung.

 

Rz. 2

Eine Person kann zwar mehrere Wohnsitze haben[8], aber stets nur einen gewöhnlichen Aufenthalt.[9] Davon geht die AO aus, die in § 8 AO "einen Wohnsitz", dagegen in § 9 AO "den gewöhnlichen Aufenthalt" nennt. Vor diesem Hintergrund wird mit der Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts immer der bisherige Aufenthalt aufgegeben.[10] Neben einem oder mehreren Wohnsitzen ist ein gewöhnlicher Aufenthalt möglich.[11] Hat eine Person Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, so hat der gewöhnliche Aufenthalt als nachrangiger Anknüpfungspunkt gegenüber dem Wohnsitz keine rechtliche Bedeutung.[12] So ist z. B. bei einem solchen Nebeneinander von Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt an verschiedenen Orten im Inland für die örtliche Zuständigkeit bei der ESt der Wohnsitz maßgebend.[13] Dagegen führt ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland neben einem Wohnsitz im Ausland z. B. zur unbeschränkten Steuerpflicht.[14] Das Vorhandensein eines inländischen gewöhnlichen Aufenthalts neben einem ausländischen Wohnsitz ist im Einzelfall kritisch zu prüfen[15], aber durchaus möglich. Oftmals wird an einem neuen Wohnsitzort auch der gewöhnliche Aufenthalt (mit-)begründet, sodass mit der Aufgabe des Wohnsitzes grds. auch der gewöhnliche Aufenthalt endet.[16] Allerdings tritt diese Rechtsfolge nicht zwangsläufig ein, da mit einer Aufgabe des Wohnsitzes nicht immer auch der gewöhnliche Aufenthalt beendet wird, z. B. wenn dennoch weiterhin Übernachtungen im Inland vorgenommen werden.

 

Rz. 2a

Der in Doppelbesteuerungsabkommen verwendete Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist, sofern es um die Anwendung deutschen Rechts geht, nach § 9 AO zu bestimmen.[17]

[2] RStBl 1939, 826.
[3] Buciek, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 9 AO Rz. 7.
[6] Vgl. § 21 Abs. 1 BerlFG.
[7] Deppe, StuW 1982, 332.
[9] BFH v. 9.2.1966, I 244/63, BStBl III 1966, 522; BFH v. 10.8.1983, I R 241/82, HFR 1984, 4; Buciek, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 9 AO Rz. 10.
[11] BFH v. 4.6.1975, I R 250/73, BStBl II 1975, 708; Buciek, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 9 AO Rz. 11.
[12] Ebenso Musil, in HHSp, AO/FGO, § 9 AO Rz. 11.

2 Allgemeine Begriffsbestimmung (S. 1)

2.1 Tatsächliche Gestaltung

 

Rz. 3

Nach den tatsächlichen, äußeren Umständen muss sich die Person ("jemand") derart an einem Ort oder in einem Gebiet aufhalten, dass darin nicht nur ein vorübergehendes Verweilen zu sehen ist. Die äußeren Umstände müssen auf einen gewöhnlichen Aufenthalt schließen lassen.[1] Diese Voraussetzungen gelten nach dem Wortlau...

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