1 Allgemeines

1.1 Zweck der Vorschrift

 

Rz. 1

Das Vertretungsrecht basiert auf dem in allen Rechtsgebieten geltenden allgemeinen Grundsatz, dass sich der Vertretene das Verhalten seines Vertreters zurechnen lassen muss.[1] Erlangt der Vertretene aus einem rechtswidrigen Verhalten des Vertreters steuerliche Vorteile, so sollen ihm diese wieder entzogen werden. Er soll, wenn er schon Vorteile erlangt, auch die mit diesen verbundenen Nachteile tragen. In aller Regel wird der Vertretene der Steuerschuldner sein, sodass er bereits als solcher für diese unberechtigten steuerlichen Vorteile in Anspruch genommen werden kann. Für die übrigen Fälle, in denen der Vertretene nicht Steuerschuldner ist, soll § 70 AO die Lücke schließen[2], damit auch in diesen Fällen der Zugriff auf das Vermögen des bevorteilten Vertretenen möglich wird. Wie Vertreter werden dabei alle Personen der §§ 34, 35 AO behandelt, auch wenn sie keine Vertreter sind (z. B. bestimmte Gesellschafter, Vermögensverwalter). Für das Fehlverhalten von Familien- und Hausangehörigen ist entgegen § 111 RAO keine Haftung mehr vorgesehen.

 

Rz. 2

Ziel der Vorschrift ist der Ausgleich durch Entzug der Vermögensvorteile, die der Vertretene etwa durch Steuerverkürzung oder zu Unrecht gewährte Steuervorteile erlangt hat. Der Haftungsausschluss nach Abs. 2 S. 1 zugunsten natürlicher Personen bei Fehlverhalten ihrer gesetzlichen Vertreter, wenn nur der Vertretene keine Vermögensvorteile erlangt hat, ist ebenfalls auf diesen Gedanken zurückzuführen. Hier zeigt die Vorschrift Anklänge an das Bereicherungsrecht des BGB.[3] Gleichzeitig ist in Abs. 2 S. 2 eine Parallele zu § 831 BGB erkennbar, da auch die sorgfältige Auswahl und Überwachung des Vertreters zu einem Haftungsausschluss führen können. Haftungsgrund ist hier das eigene, in der mangelhaften Auswahl und Beaufsichtigung liegende Verschulden des Vertretenen.

1.2 Anwendungsbereich

 

Rz. 3

Steuern und zu Unrecht gewährte Steuervorteile sind der Haftungsgegenstand. Anders als nach § 69 AO wird also nicht für alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis gehaftet. Insbesondere erfasst sie nicht die steuerlichen Nebenleistungen wie z. B. die Hinterziehungszinsen.[1] Als Steuervorteile sind Steuererstattungen und Steuerverkürzungen anzusehen, die durch die Tat ungerechtfertigt gewährt worden sind. Auch für Haftungsansprüche wird nach § 70 AO nicht gehaftet.

 

Rz. 3a

Da bei den Besitz- und Verkehrsteuern[2] der Vertretene regelmäßig auch Steuerschuldner sein wird, ist die Vorschrift vornehmlich im Bereich des Zollrechts, bei den Verbrauchsteuern und bei den Abzugssteuern anwendbar.[3] Im Bereich der Zölle und Verbrauchssteuern sowie der Einfuhrumsatzsteuer gibt es, soweit die Vorschriften über Zölle und Verbrauchssteuern gem. § 21 Abs. 2 UStG sinngemäß gelten, Fälle, in denen der Haftende zugleich Steuerschuldner ist.[4] Bei den Besitz- und Verkehrsteuern kommt eine Haftung nach § 70 AO auch nicht mehr in solchen Fällen in Betracht, in denen der Vertretene nicht mehr Steuerschuldner ist, da seine Steuerschuld erloschen ist. Dies erreichen jetzt §§ 169 Abs. 2 S. 3, 191 Abs. 5 Nr. 1 AO für die Festsetzungsfrist und § 191 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 AO für den Billigkeitserlass. Ist ein gegen den Vertretenen ergangener Steuerbescheid unzutreffend und bestandskräftig aufgehoben worden, so bleibt der Vertretene i. S. d. § 70 Abs. 1 AO Steuerschuldner.

Bei den Abzugssteuern kommt eine Haftung des zu Einbehaltung, Abzug und Zahlung Verpflichteten in Betracht, der nicht Steuerschuldner ist und durch eine Person nach §§ 34, 35 AO vertreten wird. Das könnte also z. B. die Haftung einer GmbH für die durch ihren Geschäftsführer hinterzogene LSt ihrer Arbeitnehmer bedeuten. Die Abzugs- und Zahlungs-(Abführungs-)Pflichten sind stets mit einer eigenen Haftungsvorschrift gegenüber dem Verpflichteten bewehrt, sodass für eine Haftung nach § 70 AO kein großer Anwendungsbereich verbleibt. Das gilt sowohl für die Haftung des Arbeitgebers für die LSt[5], des Kapitalertragschuldners für die KapESt[6], des nach § 50a EStG Abzugsverpflichteten[7] und die Haftung des Versicherers für die VersSt.[8] Die frühere Haftung des nach §§ 51ff. UStDV Abzugsverpflichteten für die USt eines im Ausland ansässigen Unternehmers, des Sicherungsnehmers für die Lieferung sicherungsübereigneter Gegenstände durch den Sicherungsgeber sowie des Erstehers bei der Zwangsversteigerung eines Grundstücks[9] sind durch die Regelungen in § 13b UStG über die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers für diese und weitere Fallgruppen ersetzt worden, sodass anstatt einer Haftung nur noch eine verlagerte Steuerschuldnerschaft besteht. Insbesondere durch die Einschränkungen der Haftung in den Fällen des EStG ergeben sich Anwendungsmöglichkeiten für § 70 AO.

Die wegen der weitgehenden Überschneidung der Haftungsvorschriften der Einzelsteuergesetze und des § 70 vertretene Auffassung, dass die Haftu...

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