1 Allgemeines

1.1 Überblick und Zweck

 

Rz. 1

§ 358 S. 1 AO verpflichtet die Finanzbehörde vor der sachlichen Prüfung des Einspruchs zur Prüfung der Sachentscheidungsvoraussetzungen, die in der Vorschrift als Zulässigkeitsvoraussetzungen bezeichnet werden. Die Finanzbehörde darf sich mit der Sache selbst erst befassen und eine Sachentscheidung treffen, wenn alle Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen.[1] Mangelt es an einer der Voraussetzungen, ist der Einspruch nach § 358 S. 2 AO mit der Folge als unzulässig zu verwerfen, dass der Verwaltungsakt mit dem in ihm getroffenen Regelungsinhalt bestandskräftig wird.

 

Rz. 2

Der rechtssystematische Vorrang der formellen Voraussetzungen bewirkt eine Einschränkung des Rechtsschutzes. Dadurch soll verhindert werden, dass die Finanzbehörde Entscheidungen erlässt, für die sie nicht zuständig ist, und dass dem Stpfl. eine sachliche Prüfung zuteil wird, obwohl er die formellen Voraussetzungen des Rechtsbehelfs nicht beachtet hat.[2] Allerdings ist stets zu berücksichtigen, dass die Gewährleistung des effektiven Rechtsschutzes durch Art. 19 Abs. 4 GG eine Auslegung und Anwendung der die Einlegung von Rechtsbehelfen regelnden Vorschriften gebietet, die den Anspruch des Stpfl. auf die Durchsetzung des materiellen Rechts nicht in unzumutbarer Weise erschweren.[3] Die zugrunde liegenden Vorschriften sind daher entsprechend weit auszulegen und anzuwenden, die Rechtsbehelfe selbst in rechtsschutzgewährender Weise großzügig auszulegen und ggf. umzudeuten.[4]

[2] RFH v. 3.11.1921, V A 56/21, RFHE 7, 206.
[4] Vgl. dazu z. B. Geimer, NWB 2009, 1664.

1.2 Rechtsentwicklung

 

Rz. 3

§ 358 AO entspricht im Wesentlichen der Vorschrift des § 239 RAO, nach dem sich die Prüfung allerdings darauf bezog, ob der "Einspruch zulässig und in der vorgeschriebenen Form und Frist eingelegt" war.

Mit dem Gesetz zur einkommensteuerlichen Entlastung von Grenzpendlern und anderen beschränkt steuerpflichtigen natürlichen Personen und zur Änderung anderer gesetzlicher Vorschriften (Grenzpendlergesetz)[1] wurde die Beschwerde als außergerichtlicher Rechtsbehelf abgeschafft und in § 358 AO der Begriff "Rechtsbehelf" entsprechend durch "Einspruch" ersetzt.

[1] v. 24.6.1994, BGBl I 1994, 1395.

2 Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen (§ 358 S. 1 AO)

2.1 Die Zulässigkeitsvoraussetzungen im Einzelnen

 

Rz. 4

Nach § 358 S. 1 AO hat die Finanzbehörde zu prüfen, ob der Einspruch zulässig ist. Die einzelnen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind nicht vollständig und geordnet in der AO geregelt. Insbesondere sind die in dem mit "Zulässigkeit" überschriebenen Ersten Abschnitt des Siebenten Teils der AO genannten Vorschriften nicht abschließend. So nennt auch § 358 S. 1 AO selbst ausdrücklich die vorgeschriebene Form und Frist, die in den §§ 355 und 357 AO und damit im Zweiten Abschnitt geregelt sind. Durch den Begriff "insbesondere" gibt § 358 S. 1 AO zu erkennen, dass neben Form und Frist noch weitere Punkte zu untersuchen sind.

 

Rz. 5

Es ist nicht vorgeschrieben, in welcher Reihenfolge die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen zu erfolgen hat. Aus verfahrensökonomischen Gründen kann zuerst die Zulässigkeitsvoraussetzung geprüft werden, an deren Vorliegen die meisten Zweifel bestehen. Ergibt sich eindeutig, dass der Einspruch bereits wegen des Fehlens einer – einfach zu prüfenden – Voraussetzung als unzulässig zu verwerfen ist, bedarf es keiner weiteren Prüfung der übrigen – u. U. schwerer festzustellenden – Zulässigkeitsvoraussetzungen.

2.1.1 Statthaftigkeit des Einspruchs (§§ 347, 348 AO)

 

Rz. 6

Der Einspruch ist nur gegen Verwaltungsakte und nur in einer von § 347 Abs. 1 AO bezeichneten Angelegenheit statthaft.[1] Außerdem darf er nicht durch § 347 Abs. 2 AO oder § 348 AO gesetzlich ausgeschlossen sein.

Ein Einspruch ist somit insb. statthaft in Abgabenangelegenheiten und in öffentlich-rechtlichen und berufsrechtlichen Angelegenheiten, auf die die AO Anwendung findet, und in Verfahren zur Vollstreckung von Verwaltungsakten durch Bundes- oder Landesfinanzbehörden.

Statthaft ist nach § 347 Abs. 1 S. 2 AO ferner ein Untätigkeitseinspruch, wenn die Behörde über einen Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes innerhalb einer angemessenen Frist sachlich nicht entschieden worden ist.

 

Rz. 7

Der Einspruch ist dagegen insb. nicht statthaft gegen Verfahrenshandlungen, die nicht als Verwaltungsakt[2] eingeordnet werden können, gegen Entscheidungen oder Nichtentscheidungen über einen Einspruch, gegen Verwaltungsakte der obersten Finanzbehörden und gegen Verwaltungsakte in Steuerberatungsangelegenheiten.

 

Rz. 8

Im Fall der fehlenden Statthaftigkeit des Einspruchs kann das Finanzgericht unmittelbar angerufen werden.[3]

 

Rz. 9

Auch gegen Maßnahmen im Straf- und Bußgeldverfahren ist der Einspruch nicht statthaft. Rechtsschutz wird hier durch die ordentlichen Gerichte gewährt.

[1] Vgl. im Einzelnen die Erl. bei Keß, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/F...

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