Rz. 1

Die Finanzverwaltung entscheidet über den Steueranspruch grundsätzlich bei der Veranlagung für den jeweiligen Veranlagungszeitraum. Dieser Entscheidung werden nur die Verhältnisse dieses Veranlagungszeitraums zugrunde gelegt, sie entfaltet Bindungswirkung auch nur für den zeitlichen Regelungsbereich[1], d. h. den entschiedenen Steuerfall und den jeweiligen Veranlagungszeitraum.[2] Zum einen wird im Regelfall über die steuerlichen Fragen nicht außerhalb des Veranlagungsverfahrens entschieden. Äußerungen außerhalb dieses Entscheidungsverfahrens, z. B. bei einer Außenprüfung, stellen daher grundsätzlich keine Entscheidung über den Steuerfall dar. Zum anderen reicht die Entscheidung im Veranlagungsverfahren nicht über den zeitlichen Regelungsbereich der Steuerfestsetzung, über die entschieden wird, hinaus. Entschieden wird also grundsätzlich über den einzelnen Besteuerungsfall bzw. den einzelnen Besteuerungszeitraum. Sowohl Steuerfestsetzungen als auch Außenprüfungsberichte und sonstige Äußerungen der Finanzverwaltung beziehen sich immer auf bestimmte Zeiträume, entfalten also grundsätzlich keine darüber hinausgehende Bindung. Eine Bindung der Finanzverwaltung über den zeitlichen Regelungsbereich der jeweiligen Steuerfestsetzung hinaus entsteht daher grundsätzlich nicht.[3] Dies gilt auch dann, wenn die Finanzbehörde über eine längere Zeit eine irrige, für den Stpfl. günstige Rechtsauffassung vertreten hat, und wenn der Stpfl. im Vertrauen auf diese langfristig vertretene Rechtsauffassung der Finanzbehörde disponiert hat.[4]

 

Rz. 2

Hiervon gibt es aber Ausnahmen. Bei Vorliegen besonderer Tatbestände kann sich eine Bindung der Verwaltung auch außerhalb der konkreten Entscheidung über einen Besteuerungszeitraum ergeben. Soweit der Finanzverwaltung das Regelungsrecht für einen Bereich zusteht, kann sie von diesem Regelungsrecht grundsätzlich auch im Vorwege durch Zusagen Gebrauch machen; z. T. bestehen für diese Zusagen ausdrückliche gesetzliche Rechtsgrundlagen. Außerdem unterliegt das Verhalten der Finanzbehörde dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben. Die Finanzverwaltung darf sich also nicht in treuwidriger Weise zu ihrem früheren Verhalten in Widerspruch setzen. Die Tatbestände dieser Bindung über den eigentlichen zeitlichen Regelungsbereich einer Steuerfestsetzung hinaus, wie sie im Gesetz formuliert sind, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • verbindliche Zusage aufgrund einer Außenprüfung; §§ 204ff. AO;
  • verbindliche Auskünfte außerhalb einer Außenprüfung; § 89 Abs. 2 AO[5];
  • Lohnsteueranrufungsauskunft; § 42e EStG[6];
  • verbindliche Zolltarifauskunft;
  • Bindung aus Treu und Glauben, insbesondere

    • tatsächliche Verständigung in Schätzungsfällen einschl. Absprachen im Rahmen einer Schlussbesprechung[7];
    • sonstige Bindung aufgrund vorangegangenen konkludenten Verhaltens der Finanzbehörde[8];
    • eine besondere Gruppe bilden die Auskünfte, die als Wissenserklärung keinen Zusagecharakter haben.[9]
 

Rz. 3

In allen Fällen der verbindlichen Zusage, mit der Ausnahme der tatsächlichen Verständigung, wirkt die Bindung der Verwaltung nur in die Zukunft, um dem Stpfl. eine sichere Grundlage für seine Dispositionen zu gewähren. Soweit es um die Beurteilung eines in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalts geht, gibt es regelmäßig keine Bindung der Verwaltung außerhalb des Veranlagungsverfahrens, da sonst die Behörde ohne sachlichen Grund gezwungen würde, eine unrichtige Steuer festzusetzen.[10] Eine Bindung der Behörde ist immer nur zum Schutz der Dispositionen des Stpfl. möglich (gesetzgeberischer Grund bei gesetzlicher Regelung, Tatbestandsmerkmal in den übrigen Fällen). Bei in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalten ist eine Disposition des Stpfl. aber nicht mehr möglich. Damit ist jeder sachliche Grund für die Bindung der Verwaltung entfallen. Lediglich in besonderen Ausnahmefällen kann der Grundsatz der Verwirkung zu einem anderen Ergebnis führen.

 

Rz. 4

Eine Bindung der Finanzbehörde hinsichtlich eines in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalts kann sich danach nur ergeben, wenn der Stpfl. ausnahmsweise im Hinblick auf die Zusage der Finanzbehörde geschäftliche Dispositionen mit Wirkung für die Zukunft getroffen hat.[11] Allerdings ist der Begriff "geschäftliche" oder "wirtschaftliche" Dispositionen sehr weit auszulegen. Es fallen hierunter alle Verhaltensweisen (Tun, Dulden, Unterlassen) des Stpfl., die im Vertrauen auf die Bindung der Zusage erfolgen. Bei der USt liegt eine Disposition z. B. noch in der Frage, ob eine Rechnung mit oder ohne gesonderten Steuerausweis zu erteilen ist; solange der Leistungsempfänger den Anspruch auf Rechnungserteilung noch geltend macht, kann der Stpfl. noch durch Erteilung oder Verweigerung einer solchen Rechnung disponieren.[12] Hierzu können auch verfahrensrechtliche Handlungen oder deren Unterlassen in Besteuerungs- und Rechtsbehelfsverfahren gehören.[13] Dazu gehören Rücknahme oder Nichteinlegen von Rechtsbehelfen oder Rechtsmitteln, Erklärung der Erledigung der ...

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