Rz. 32

Die Berücksichtigung von materiellen Fehlern nach § 177 AO hängt eng mit dem Prinzip der Bestandskraft zusammen (vgl. Rz. 1). Daraus folgt, dass eine Berichtigung nur möglich ist, soweit die Bestandskraft bereits durch die Änderungsvorschrift durchbrochen ist. Über den Umfang der Durchbrechung der Bestandskraft durch diese Änderungsvorschrift darf die Berichtigung nach § 177 AO nicht hinausgehen; § 177 AO ermöglicht keine eigenständige Durchbrechung der Bestandskraft. Die bisher im Steuerbescheid festgesetzte Steuer und die neue Steuer aufgrund der Änderungsvorschrift bilden also den Berichtigungsrahmen, über den die Berichtigung der Rechtsfehler nicht hinausgehen darf. Der Berichtigungsrahmen darf also weder über- noch unterschritten werden.

 
Praxis-Beispiel

Lautet die ursprüngliche Steuerfestsetzung über einen Steuerbetrag von 15.000 EUR und wird jetzt aufgrund nachträglich bekannt gewordener Tatsachen die Steuer auf 20.000 EUR festgesetzt, beträgt der Berichtigungsrahmen für die Berichtigung von materiellen Fehlern 15.000 EUR (ursprüngliche Steuerschuld) und 20.000 EUR (geänderte Steuerschuld). Die Berichtigung von materiellen Fehlern nach § 177 AO darf also nicht dazu führen, dass die ursprüngliche Steuer von 15.000 EUR unterschritten oder die neue Steuer von 20.000 EUR überschritten wird.

Der Berichtigungsrahmen wird dabei immer von dem festzusetzenden Steuerbetrag gebildet, nicht von den Besteuerungsgrundlagen, die nicht in Bestandskraft erwachsen.[1]

Für die Fälle des Verlustrücktrags bedeutet dies, dass die Höhe des rücktragsfähigen Verlustes im Verlustentstehungsjahr nach § 10d Abs. 4 S. 1 EStG nicht gesondert festgestellt wird. Die Höhe des rücktragsfähigen Verlustes ist daher im Rücktragsjahr selbständig zu ermitteln. Über die Höhe des Verlustrücktragsvolumens ist daher im Rücktragsjahr ohne Berücksichtigung des Änderungsrahmens des § 177 AO zu entscheiden.[2]

 

Rz. 33

Andererseits wird der Berichtigungsrahmen durch alle Steuerbescheide gebildet, die die ursprüngliche Steuerfestsetzung geändert haben, die aber noch nicht in Bestandskraft erwachsen sind, also auch solche, die angefochten worden waren, wenn im Rechtsbehelfsverfahren die Steuerfestsetzung eines Änderungsbescheids geändert worden ist. Dann ist der erste Bescheid, der Änderungsbescheid, nicht bestandskräftig geworden und kann daher bei Ermittlung des Berichtigungsrahmens berücksichtigt werden.[3]

Bei einer Kette von geänderten Steuerbescheiden ist der Berichtigungsrahmen auf der Grundlage des Änderungsbescheids zu ermitteln, der noch nicht bestandskräftig ist. Bei mehreren nicht bestandskräftigen Änderungsbescheiden sind diese Änderungen zur Bestimmung des Berichtigungsrahmens zusammenzufassen. Auszuscheiden sind jedoch Änderungen vorhergehender Bescheide, die in Bestandskraft erwachsen sind. Maßgebend ist bzw. sind daher nur der oder die Bescheide, die einen bestandskräftigen Bescheid aufheben oder ändern.[4]

 

Rz. 34

Liegen mehrere materielle Fehler zugunsten wie zuungunsten des Stpfl. vor, die keinen Änderungstatbestand erfüllen, sind die Auswirkungen dieser Fehler zuerst zu saldieren und dann innerhalb des Berichtigungsrahmens zu berichtigen.[5]

 
Praxis-Beispiel

Wie in Rz. 32. Es liegen materielle Fehler i. H. v. 7.000 EUR zuungunsten und i. H. v. 8.000 EUR zugunsten des Stpfl. vor. Nach Saldierung wirken sich die materiellen Fehler insgesamt i. H. v. 1.000 EUR zugunsten des Stpfl. aus. Die Steuer ist also auf 19.000 EUR festzusetzen.

Handelt es sich um Fehler zulasten und zugunsten des Stpfl., die jeweils einen Änderungstatbestand erfüllen, hat keine Saldierung zu erfolgen; vielmehr ist jeder Änderungstatbestand für sich zu berücksichtigen. Dies führt zu dem "großen Berichtigungsrahmen"; vgl. Rz. 37ff.

 

Rz. 35

Da die Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten nicht zu einer Durchbrechung der Bestandskraft führt, rechtfertigt eine Berichtigung nach § 129 AO nicht die Anwendung des § 177 AO; vgl. Rz. 9. Diese Frage, ob § 129 AO zu einer "Aufhebung oder Änderung" und damit zur Berichtigung materieller Fehler führt, ist zu unterscheiden von der Frage, ob offenbare Unrichtigkeiten i. S. d. § 129 AO zu den materiellen Fehlern gehören und anlässlich einer Aufhebung oder Änderung berichtigt werden können.[6] Die Auswirkungen der offenbaren Unrichtigkeit müssen daher bei Anwendung des § 177 AO und damit auch bei der Ermittlung des Berichtigungsrahmens außer Betracht bleiben. Allerdings kann die Finanzverwaltung im Rahmen ihrer Ermessensausübung bei der Berichtigung nach § 129 AO einen Rechtsfehler berücksichtigen; hierzu Rz. 9. Dabei ist es im Ergebnis ohne Auswirkung, ob die Berichtigung der offenbaren Unrichtigkeit vor oder nach der Ermittlung des Berichtigungsrahmens und der Anwendung des § 177 AO durchgeführt wird.[7]

 

Rz. 36

 
Praxis-Beispiel

Wie in Rz. 32 mit der Ergänzung nach Rz. 34. Außerdem wird jedoch eine offenbare Unrichtigkeit aufgedeckt, die zu einer Steuerminderung von 2.000 EUR führt.

  • Durchführung der Berichtigung vor Errechnung des Beric...

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