Rz. 8

§ 177 AO ist bei jeder Durchbrechung der Bestandskraft eines Steuerbescheids anzuwenden, also insbesondere im Rahmen der §§ 172ff. AO, aber auch der §§ 164 Abs. 2, 165 Abs. 2 AO, des § 35b GewStG und des § 10d Abs. 1, 2 EStG.[1] Zu § 10d Abs. 4 EStG vgl. Rz. 32. Zur Durchbrechung der Bestandskraft führen auch §§ 189 S. 1, 190 S. 2 AO über die Änderung von Zerlegungs- und Zuteilungsbescheiden, sodass auch bei einer solchen Änderung § 177 AO anwendbar ist.[2]

§ 177 AO ist auch bei einer Änderung nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO bei Erlass, Aufhebung oder Änderung eines Grundlagenbescheids anzuwenden.[3] Dies ermöglicht bei Grundlagenbescheiden eine doppelte Saldierung. So können bei Änderung von Besteuerungsgrundlagen eines Feststellungsbescheids gegenläufige Rechtsfehler bei anderen Besteuerungsgrundlagen saldiert werden. Bei Änderung des Folgebescheids aufgrund der Änderung des Grundlagenbescheids können außerdem die Änderungen in dem Grundlagenbescheid mit gegenläufigen Rechtsfehlern in anderen Besteuerungsgrundlagen des Folgebescheids saldiert werden. Diese erweiterte Saldierungsmöglichkeit des zweistufigen Verfahrens bei gesonderter Feststellung gegenüber dem nur einstufigen Verfahren ohne gesonderte Feststellung liegt in der Natur der Sache eines gesonderten Feststellungsverfahrens und ist daher nicht durch eine teleologische Reduktion zu korrigieren.[4] Anwendbar ist § 177 AO auch bei Änderungen eines Steuerbescheids aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO. Im Rahmen des § 164 AO ist § 177 AO an sich anwendbar, aber unnötig, da der Vorbehalt die Korrektur jeden Fehlers zulässt. Bei Änderungen nach § 165 Abs. 2 AO ist § 177 AO dagegen anwendbar; bei der Änderung nach Wegfall der Unsicherheit können daher innerhalb des Berichtigungsrahmens Fehler, die außerhalb des vorläufigen Bereichs liegen, berichtigt werden.[5]

Nicht anwendbar ist § 177 AO bei der Nachversteuerung nach § 10 Abs. 5 EStG a. F.[6]

Nicht anwendbar ist § 177 AO auch, wenn keine Durchbrechung der Bestandskraft vorliegt. Das ist der Fall, wenn ein Erstbescheid angefochten worden ist und ein Abhilfebescheid im Rechtsbehelfsverfahren ergeht. Die Anfechtung hat den Eintritt der Bestandskraft verhindert, sodass auch keine Durchbrechung der Bestandskraft eingetreten ist. Die Korrektur von Rechtsfehlern ist dann ohne Anwendung des § 177 AO möglich. Hat der angefochtene Bescheid jedoch einen bestandskräftigen Bescheid geändert und ist der Änderungsbescheid angefochten worden, kann ein Berichtigungsrahmen nach § 177 AO auf der Grundlagen des Erstbescheids, dessen Bestandskraft durch den Änderungsbescheid durchbrochen worden ist, ermittelt werden.[7]

Zu den einzelnen Änderungsvorschriften, die eine Durchbrechung der Bestandskraft ermöglichen, vgl. Frotscher, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 172 AO Rz. 50ff..

 

Rz. 9

§ 129 AO ermöglicht nicht die Durchbrechung der Bestandskraft eines Verwaltungsakts, sondern korrigiert nur offenbare Unrichtigkeiten, also Fehler, die den Regelungsgehalt des Verwaltungsakts offensichtlich verfälschen. Es wird daher nur der eigentliche Regelungsgehalt hergestellt, nicht aber ein Regelungsgehalt verändert[8]; wegen der Offenkundigkeit bedarf der Betroffene nicht des Schutzes der Bestandskraft.[9] § 177 AO ist daher bei § 129 AO nicht anzuwenden.[10] Die "Berichtigung" nach § 129 AO ist keine Aufhebung oder Änderung des Steuerbescheids und erfüllt daher nicht den Tatbestand des § 177 Abs. 1, 2 AO. Diese Frage ist von der Frage zu unterscheiden, ob eine offenbare Unrichtigkeit nach § 129 AO einen "Rechtsfehler" darstellt und daher im Rahmen der Änderung des Steuerbescheids korrigiert werden kann; hierzu Rz. 21. Die Frage, ob eine Berichtigung nach § 129 AO die Anwendung des § 177 AO eröffnet, ist eine Frage des Tatbestands, die Frage, ob im Rahmen einer Änderung nach § 177 AO auch offenbare Unrichtigkeiten berichtigt werden können, eine solche der Rechtsfolge.[11]

Die Verwaltung[12] lässt allerdings zu, bei einer Berichtigung nach § 129 AO den § 177 AO sinngemäß anzuwenden. Das ist systematisch insoweit unrichtig, als Berichtigung und Änderung der Steuerfestsetzung grundlegend unterschiedliche Maßnahmen sind und es daher an einer Grundlage für die "sinngemäße" Anwendung fehlt. Allerdings liegt die Berichtigung nach § 129 AO im Ermessen der Verwaltung, die bei ihrer Ermessensentscheidung Rechtsfehler berücksichtigen kann, aber nicht muss. Der Stpfl. hat also, anders als nach § 177 AO, keinen Anspruch auf Berücksichtigung eines Rechtsfehlers, sondern nur den Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung.

 

Rz. 10

Nicht anwendbar ist § 177 AO jedoch, wenn zwar die Voraussetzungen der Änderung des Regelungsgehalts des Verwaltungsakts vorliegen, diese jedoch tatsächlich nicht durchzuführen ist, weil der Regelungsgehalt vor und nach der Änderung gleich ist, z. B. die Steuer vor und nach der Änderung 0 EUR beträgt.[13]

 

Rz. 11

§ 177 AO ist bei der Durchbrechung der Bestandskraft von Steuerbescheiden anzuwenden un...

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