Rz. 1

§ 176 AO stellt einen Versuch dar, das Problem des Vertrauensschutzes für den Stpfl. gesetzgeberisch zu lösen. Die Vorschrift kann lediglich ein erster Schritt sein und dürfte ihre wesentliche Bedeutung darin haben, dass sie einen Anstoß zur Diskussion der Problematik des Vertrauensschutzes gibt; eine umfassende gesetzliche Regelung des Problembereichs leistet sie nicht. Die von der Rspr. entwickelten Institute zum Vertrauensschutz, insbesondere im Anschluss an § 242 BGB einschließlich der Verwirkung und bei sachlicher Unbilligkeit auf der Grundlage des § 163 AO, behalten ihre Bedeutung.[1]

 

Rz. 2

Das Prinzip des Vertrauensschutzes ist an sich im Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 GG, verankert, da ein Staat, der bei seinen Rechtsakten auf das berechtigte Vertrauen der Bürger keine Rücksicht nimmt, kaum als Rechtsstaat bezeichnet werden kann. Aus Art. 20 Abs. 1 GG lässt sich aber schwerlich ein subjektives öffentliches Recht des einzelnen Bürgers herleiten. Solche Rechte knüpfen regelmäßig nur an Grundrechte an, in deren Rahmen dann auch das Rechtsstaatsprinzip bei der Prüfung der Rechtfertigung, der Angemessenheit und Erforderlichkeit des Eingriffs zu berücksichtigen ist. Das Prinzip des Vertrauensschutzes ist daher unmittelbar mit den Grundrechten, letztlich mit Art. 2 Abs. 1 GG, verknüpft. Nichtberücksichtigung eines berechtigten Vertrauens ist daher unberechtigter Grundrechtseingriff, wenn keine Rechtfertigungsgründe bestehen.

 

Rz. 3

Die maßgeblichen Fragen im Rahmen des Vertrauensschutzes sind, wann ein berechtigtes Vertrauen des Stpfl. besteht, und ob und in welchem Umfang der Schutz dieses Vertrauens eingeschränkt werden kann. Für einen bestimmten Bereich gibt § 176 AO hierzu gesetzliche Maßstäbe, schöpft aber den gesamten Umfang des Problems des Vertrauensschutzes nicht aus. Die Vorschrift schützt das Vertrauen in die Bestandskraft des Steuerbescheids, greift also nur ein, wenn ein Steuerbescheid geändert werden soll. Dagegen wird das Vertrauen in den Fortbestand der Rechtsprechung oder einer gesetzlichen Vorschrift außerhalb der Bestandskraft eines Steuerbescheids nicht geschützt.[2]

 

Rz. 4

§ 176 AO regelt drei Tatbestände, die zwar unterschiedliche Tatbestandsmerkmale aufweisen, denen aber ein einheitlicher Rechtsgedanke zugrunde liegt. Der Stpfl. soll darauf vertrauen dürfen, dass ein Rechtsakt, der Eingang in den Steuerbescheid gefunden hat (formelles und materielles Gesetz, Rechtsprechung des BFH, Verwaltungsanweisung), mit der Rechtsordnung vereinbar ist. Er wird dagegen geschützt, dass sich später die Unvereinbarkeit dieses Rechtsakts mit der Rechtsordnung herausstellt.[3] Geschützt wird dabei das Vertrauen in den Fortbestand eines bestandskräftigen Verwaltungsakts, der auf der Basis eines konkreten Rechtsakts, d. h. eines konkreten Gesetzes, eines konkreten höchstrichterlichen Urteils oder einer konkreten allgemeinen Verwaltungsvorschrift erlassen worden ist.[4] Zur Geltendmachung des Vertrauensschutzes gehört also die Angabe des konkreten Rechtsakts, auf dem der bestandskräftige Verwaltungsakt beruhte. Dieser Rechtsakt muss für den Zeitpunkt oder Zeitraum, den der Verwaltungsakt bestandskräftig geregelt hatte, unanwendbar geworden sein. Außerdem muss der Stpfl. auf die Weitergeltung dieses Rechtsakts vertrauen können.

 

Rz. 5

Im Einzelnen handelt es sich um folgende Tatbestände:

  • Geschützt wird das Vertrauen in den Bestand eines ordnungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes oder einer sonstigen Norm.[5] Geschützt wird das Vertrauen des Stpfl., dass ein förmliches nachkonstitutionelles Gesetz, das in dem vom GG oder den Landesverfassungen vorgeschriebenen Verfahren erlassen wurde, ein förmliches vorkonstitutionelles Gesetz oder eine Norm, die im Rang unter einem Gesetz steht, wirksam ist.[6] Rechtsnormen haben, bis sie in dem dafür vorgesehenen Verfahren für nichtig erklärt werden, die Vermutung der Gültigkeit für sich. Der Staat verlangt und erzwingt ggf. bis zu diesem Zeitpunkt ihre Einhaltung. Dann muss aber andererseits der Bürger auf die Gültigkeit dieser Normen vertrauen dürfen. Im Bereich des Steuerrechts trägt dem § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2 AO Rechnung.
  • Geschützt wird das Vertrauen in die Rspr. der obersten Bundesgerichte, § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO. Obwohl ein Gericht, vom BVerfG abgesehen, niemals eine Entscheidung treffen kann, die allgemeine Bedeutung hat, sondern immer nur eine Einzelfallentscheidung[7], haben Entscheidungen der obersten Bundesgerichte in der Praxis große Breitenwirkung. Sie gelten als Richtschnur und regelmäßig allgemein anerkannte Auslegung des Rechts. § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO honoriert auch gesetzlich das Vertrauen, das der Stpfl. den obersten Bundesgerichten entgegenbringt.
  • Geschützt wird auch das Vertrauen in den Bestand bestimmter Verwaltungsvorschriften, § 176 Abs. 2 AO. Dieser Vertrauensschutz ist, ungeachtet des dringenden praktischen Bedürfnisses hierfür, dogmatisch am bedenklichsten. Verwaltungsanweisungen sind ihrem Charakter nach interne Anweisungen an die Verwal...

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