Rz. 3

§ 75 FGO begründet für das FG die Rechtspflicht zur Mitteilung der Besteuerungsunterlagen, gilt gleichermaßen für alle gerichtlichen Verfahrensarten[1] – einschließlich des vorläufigen Rechtsschutzes sowie für Haftungs-, Erstattungs- und Vergütungsansprüche – und bildet das Gegenstück zur Bestimmung des § 364 AO im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren. Auch für die Finanzbehörde besteht eine identische Verpflichtung zur Offenlegung der Besteuerungsunterlagen. Daher muss das FG selbst nur dann den Beteiligten (Rz. 5) die Besteuerungsunterlagen mitteilen, wenn dies im vorhergehenden außergerichtlichen Verfahren unterblieben ist. Eine von der Finanzbehörde unterlassene Offenlegung der Besteuerungsunterlagen stellt zwar ebenfalls einen Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs dar, wird aber durch eine umfassende Nachholung durch das FG geheilt.[2]

 

Rz. 4

Gleichwohl handelt es sich bei einem Verstoß gegen § 364 AO um einen schweren Verfahrensfehler, der dazu führen kann, dass das FG nach § 100 Abs. 3 FGO (ggf. auch bereits nach § 100 Abs. 1 S. 1 FGO) die angefochtene Einspruchsentscheidung aufhebt und an die Finanzbehörde zurückverweist, ohne in der Sache selbst zu entscheiden.[3] Eine isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung dürfte regelmäßig auch dem Interesse des Klägers entsprechen, der sodann im gebührenfreien Einspruchsverfahren zu den ihm mitzuteilenden Besteuerungsunterlagen Stellung nehmen kann.[4] Eine isolierte Aufhebung nach § 100 Abs. 1 S. 1 FGO durch das FG kommt allerdings dann nicht in Betracht, wenn der Kläger vor dem FG über die Aufhebung der Einspruchsentscheidung hinaus eine materiell-rechtliche Entscheidung in der Sache beantragt.[5] Sofern die Finanzbehörde seiner Pflicht zur Mitteilung der Besteuerungsunterlagen nicht nachkommt, rechtfertigt dies auch bereits eine gerichtliche Aussetzung der Vollziehung, weil Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts auch dann bestehen, wenn das Einspruchsverfahren zwar an einem noch heilbaren Verfahrensmangel leidet, aber die Möglichkeit besteht, dass dieser sich in einer formell rechtswidrigen Einspruchsentscheidung manifestiert.[6]

 

Rz. 5

Als Beteiligte i. S. des § 75 FGO haben alle diejenigen Anspruch auf die Mitteilung der Besteuerungsunterlagen, die gem. § 57 FGO Beteiligte des gerichtlichen Verfahrens sind. Neben dem beklagten Finanzamt – dessen Kenntnis der Besteuerungsunterlagen im Regelfall aber vorausgesetzt werden kann – und dem Kläger, umfasst die Mitteilungspflicht auch den förmlich Beigeladenen. Der Mitteilung der Besteuerungsunterlagen an den Beigeladenen steht das Steuergeheimnis gem. § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO nicht entgegen.[7] Hinsichtlich des Beigeladenen wird die Mitteilungspflicht des FG in der finanzgerichtlichen Praxis üblicherweise durch einen dem Beiladungsbeschluss beigefügten Hinweis auf die Möglichkeit der Akteneinsicht nach § 78 Abs. 1 FGO ersetzt (vgl. Rz. 2).

 

Rz. 6

Die Besteuerungsunterlagen sind den Beteiligten (Rz. 5) im Regelfall auf Antrag mitzuteilen. Insoweit besteht kein Ermessen des FG. Der Antrag kann abgelehnt werden, wenn die beklagte Finanzbehörde dem Kläger die Besteuerungsunterlagen bereits im vorgelagerten Verwaltungsverfahren mitgeteilt hat (Rz. 7) oder dem Kläger bereits Akteneinsicht gewährt wurde.[8] Den Beteiligten sind die Besteuerungsunterlagen auch ohne Antrag von Amts wegen durch das FG mitzuteilen, wenn es von der bisherigen Nichtmitteilung Kenntnis erlangt.[9]

Nach überwiegender Auffassung braucht sich die für die Mitteilung der Besteuerungsunterlagen erforderliche Unkenntnis des Beteiligten über den zu engen Wortlaut des § 75 FGO hinaus nicht aus dem Inhalt der Klageschrift zu ergeben, sondern soll auch durch späteres Vorbringen oder anderen bzw. neuen Erkenntnisquellen im Verlaufe des weiteren Verfahrens veranlasst werden.[10] Dieser Auffassung kann im Hinblick auf den klaren Wortlaut der Norm nicht uneingeschränkt gefolgt werden. Hiernach beschränkt sich die Mitteilungspflicht des FG auf den Beginn des gerichtlichen Verfahrens durch den die Begründung enthaltenen, verfahrenseinleitenden Schriftsatz des Klägers. Für den weiteren Verlauf des gerichtlichen Verfahrens kann sich eine solche Mitteilungspflicht daher nicht mehr aus § 75 FGO ergeben. Vielmehr folgt eine allgemeine Mitteilungsobliegenheit des FG sodann aus § 96 Abs. 2 FGO, denn hiernach darf das Urteil des FG nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

Daneben sollen zu den mitteilungspflichtigen Besteuerungsunterlagen auch solche Umstände zählen, die die beklagte Finanzbehörde bisher nicht berücksichtigt hat, die sich aber für den Kläger günstig auswirken können. Nach dieser Auffassung soll das FG auch Gegebenheiten und/oder Beweismittel mitzuteilen haben, die dem gerichtlichen Verfahren vorgelagert sind und ihren Ursprung etwa im finanzbehördlichen Ausgangsverfahren oder dem anschließenden Einspruchsverfahren haben.[11] Dem ist nur in...

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