Rz. 20

Die Übermittlung der den Streitfall betreffenden Akten an das Gericht ist nach dem Wortlaut des § 71 Abs. 2 FGO nicht in das Ermessen der Finanzbehörde gestellt, sondern soll unmittelbar nach Zustellung der Klageschrift erfolgen. Einer Aufforderung durch das Gericht bedarf es nicht. Allerdings ist § 71 Abs. 2 FGO unter prozessökonomischen Gesichtspunkten dahin auszulegen, dass eine Aktenvorlage in der Regel nicht vor der Klageerwiderung erfolgen muss und sich unter Umständen dann erübrigt, wenn die Klage unzulässig ist.[1] Allerdings liegt diese Frage nicht in der Entscheidungsbefugnis der beklagten Finanzbehörde, sodass diese die vollständigen Akten auch dann zu übersenden hat, wenn sie die Klage wegen Versäumung der Klagefrist oder aus anderen Gründen für unzulässig hält.[2]

 

Rz. 21

Entgegen dem Wortlaut des § 71 Abs. 2 FGO erlauben die FG aber regelmäßig unter prozessökonomischen Gesichtspunkten die Hinausschiebung der Aktenvorlage, weil die Finanzbehörden im Rahmen der vorbereitenden Schriftsätze i. S. d. § 77 Abs. 1 FGO regelmäßig auf ihre Verwaltungsvorgänge zurückgreifen (müssen). Insoweit vermag die Qualifikation der Aktenanforderung als verfahrensfördernde Maßnahme die Notwendigkeit der Aktenanforderung zu einem möglichst frühen Zeitpunkt in der Regel auch nicht zu begründen.[3] Im Allgemeinen genügt es daher, wenn das FG die Akten erst von der beklagten Finanzbehörde anfordert, nachdem die Sache zwischen den Beteiligten ausgeschrieben ist.[4] Lediglich in den Fällen, in denen der Kläger (für die Anfertigung seiner Klagebegründung) die Akteneinsicht beantragt, hat die beklagte Finanzbehörde die den Streitfall betreffenden Verwaltungsvorgänge unverzüglich, d. h. ohne schuldhafte Verzögerung, zu übermitteln. Denn im außergerichtlichen Besteuerungsverfahren hat der Kläger keinen Anspruch auf Akteneinsicht, sodass die Vorlage der den Streitfall betreffenden Verwaltungsvorgänge insbesondere auch der Verwirklichung des klägerischen Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG dient.[5] Aufgrund der Eilbedürftigkeit und der allgemeinen Beschleunigungsmaxime sind Akten in den Fällen der Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 69 FGO (Aussetzung der Vollziehung) und § 114 FGO (einstweilige Anordnungen) sowie anderen selbständigen Verfahren (z. B. Verfahren über die Gewährung von Prozesskostenhilfe nach § 142 FGO) grundsätzlich unverzüglich an das Gericht zu übermitteln.

 

Rz. 22

Der Zeitpunkt des Eingangs der den Streitfall betreffenden Akten beim FG kann verschiedene Fristen in Gang setzen:

  • Bei einer Sprungklage i. S. d. § 45 Abs. 1 S. 1 FGO kann das FG gem. § 45 Abs. 2 S. 1 FGO die Klage innerhalb von drei Monaten nach Eingang der Akten der Behörde bei Gericht, spätestens innerhalb von sechs Monaten nach Klagezustellung, durch Beschluss an die zuständige Finanzbehörde zur Durchführung des Vorverfahrens (Einspruchsverfahren) abgeben, wenn eine weitere Sachaufklärung notwendig ist, die nach Art oder Umfang erhebliche Ermittlungen erfordert und die Abgabe auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist.
  • Unter denselben Voraussetzungen darf das FG gem. § 100 Abs. 3 S. 5 FGO nur binnen sechs Monaten nach Eingang der Akten der Behörde bei Gericht, nach § 100 Abs. 3 S. 1 FGO ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufheben.
[2] Schoenfeld, in Gosch, AO/FGO, § 71 FGO Rz. 34; Gräber/Herbert, FGO, 9. Aufl. 2019, § 71 Rz. 6.
[4] Gräber/Herbert, FGO, 9. Aufl. 2019, § 71 Rz. 6.
[5] Schoenfeld, in Gosch, AO/FGO, § 71 FGO Rz. 4.

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