Rz. 16

Nach § 71 Abs. 2 FGO hat die beklagte Finanzbehörde die den Streitfall betreffenden (Verwaltungs-)Akten nach Empfang der Klageschrift – von Amts wegen – im Original an das Gericht zu übermitteln.[1] Die Verpflichtung zur Aktenvorlage gilt hiernach nicht für andere Behörden, auch nicht für eine beigetretene Behörde i. S. d. § 122 Abs. 2 FGO i. V. m. § 57 Nr. 3 FGO.[2] Daneben ist die beklagte Finanzbehörde aber – wie jede (andere) Behörde – außerdem nach § 86 Abs. 1 FGO zur Vorlage von Akten verpflichtet.[3]

 

Rz. 17

Die beklagte Finanzbehörde hat die den Streitfall betreffenden Akten vorrangig deshalb vorzulegen, weil im finanzgerichtlichen Verfahren die Steuerakten bzw. der Akteninhalt eine wesentliche Entscheidungsgrundlage bilden. Denn das FG erforscht gem. § 76 Abs. 1 S. 1 FGO den Sachverhalt von Amts wegen und hat dabei – insbesondere auch deshalb, weil das FG über den Streitfall als einzige Tatsacheninstanz entscheiden – den Sachverhalt unter Ausschöpfung aller verfügbaren Beweismittel bis zur Grenze des Zumutbaren so vollständig wie möglich aufzuklären. Die Verpflichtung zur Aktenvorlage trägt insoweit dem Untersuchungsgrundsatz Rechnung und dient der Aufarbeitung des Prozessstoffs. Sie soll sicherstellen, dass der Sachverhalt so umfassend wie möglich aufgeklärt wird, um eine verlässliche Basis für die Überzeugungsbildung des Gerichts zu schaffen.[4] Die unterlassene Beiziehung der den Streitfall betreffenden Akten berührt daher die Grundordnung des Verfahrens und stellt einen Verfahrensmangel i. S. d. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar.

Begründet das Gericht allerdings in nachvollziehbarer Weise seine Rechtsansicht, warum es die Beiziehung der (gesamten) Akten eines Steuerverfahrens für nicht erforderlich gehalten hat, liegt darin kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn dem Kläger nicht zugleich auch die Einsicht in die dem FG vorliegenden Akten verweigert wurde.[5] Zur Unmöglichkeit der Aktenvorlage oder einer ernsthaften Weigerung der Finanzbehörde zur Aktenübersendung siehe Rz. 28.

 

Rz. 18

Das Gericht muss den Kläger allerdings weder über die Anforderung der den Streitfall betreffenden Akten noch über deren Eingang bei Gericht unterrichten. Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet keinen ausdrücklichen Hinweis des FG auf die Selbstverständlichkeit, dass die Finanzbehörde ihrer gesetzlichen Pflicht zur Aktenübersendung nachgekommen ist.[6] Insoweit wird durch eine unterlassene Mitteilung an den Kläger dessen Anspruch auf rechtliches Gehör auch nicht verletzt, weil die Beteiligten zu jeder Zeit des Verfahrens die Möglichkeit haben, die Gerichtsakten und die dem Gericht vorliegenden weiteren Akten nach § 78 FGO einzusehen.[7] Das FG ist daher auch nicht gehalten, dem Kläger mitzuteilen, welche Tatsachen die nach § 71 Abs. 2 FGO vorgelegten Akten enthalten und wie es sie zu verwerten gedenkt.[8] Ebenso wenig ist das FG gehalten, zur Verwertung beigezogener Akten einen Beweisbeschluss zu erlassen; denn ein förmlicher Beweisbeschluss ist nur dann erforderlich, wenn es sich um eine Beweisaufnahme im Rahmen eines besonderen Verfahrens handelt.[9] Bestandteile der von der Finanzbehörde vorgelegten Akten müssen auch nicht gesondert zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht oder verlesen werden, um ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt zu werden.[10]

Das FG hat auf die Beiziehung von Akten nur dann hinzuweisen, wenn deren Verwertung ohne einen solchen Hinweis die Beteiligten überraschen würde.[11] Daher ist der Kläger demgegenüber über die Beiziehung anderer Akten als die den Streitfall betreffenden Akten der beklagten Finanzbehörde zu unterrichten.[12] Fordert das FG z. B. den Streitstoff betreffende Zivilprozessakten oder die Ermittlungsakten der Steuerfahndung an und verwertet es diese Akten bei der Urteilsfindung, ohne die Parteien von der Beiziehung dieser Akten zu benachrichtigen und ohne ihnen Gelegenheit zu geben, sich zu deren Inhalt in dem von ihnen erforderlich gehaltenen Umfang zu äußern, liegt darin eine Versagung des rechtlichen Gehörs.[13] Die gilt auch dann, wenn es nach Auffassung des beiziehenden Gerichts auf den Inhalt dieser Akten nicht mehr ankommt.[14] Daneben soll der Kläger auch von der Beiziehung der Akten eines nicht zuständigen Steuerbezirks oder solcher Vorgänge, die nicht unmittelbar den Gegenstand des Verfahrens betreffen (z. B. die Bewertungsakten), gem. § 155 S. 1 FGO i. V. m. § 273 Abs. 4 S. 1 ZPO benachrichtigt werden.[15]

 

Rz. 19

Der Kläger hat grundsätzlich die Möglichkeit, sich rechtliches Gehör dadurch zu verschaffen, dass er nach § 78 Abs. 1 FGO Akteneinsicht nimmt.[16] Das Akteneinsichtsrecht des Klägers bezieht sich allerdings nur auf die dem FG tatsächlich vorliegenden, also die ihm nach § 71 Abs. 2 FGO übermittelten und von ihm nach § 86 Abs. 1 FGO beigezogenen Akten.[17] Ein Anspruch auf Einsicht in Akten, die dem Gericht nicht vorliegen, besteht nicht. Ebenso wenig besteht ein Anspruch darauf, dass sich das FG zum Zwecke der Gewährung von Akteneinsicht...

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