1 Allgemeines

 

Rz. 1

Wie auch § 55 VwGO und § 61 SGG enthält die FGO keine ins Einzelne gehenden Vorschriften zu den Ordnungsgrundsätzen des Verfahrens. § 52 Abs. 1 FGO verweist hierzu auf die einschlägigen Vorschriften des GVG. In Verweisung genommene Vorschriften sind die §§ 169, 171b197 GVG. Diese Vorschriften gelten im Finanzgerichtsverfahren "sinngemäß". Sie sind also nicht starr, sondern unter Beachtung der Besonderheiten des Steuerprozesses anzuwenden. Dadurch können sich Abweichungen von anderen Gerichtsverfahren ergeben, für die dieselben Vorschriften des GVG ebenfalls sinngemäß gelten. In Anlehnung an Brandis[1] wird von dynamischer Verweisung des § 52 Abs. 1 FGO ­gesprochen[2]. Einige in der Verweisung in § 52 Abs. 1 FGO benannte Vorschriften wie z. B. § 187 GVG zu Dolmetschern und Übersetzern für Beschuldigte sind im Steuerprozess ohnehin ohne Bedeutung.

Werden die in § 52 Abs. 1 FGO in Verweisung genommenen Vorschriften oder einzelne von ihnen verändert, so ändert sich auch der über die Verweisung des § 52 Abs. 1 FGO geltende Inhalt für das Finanzgerichtsverfahren[3]. Das ist z. B. bei den Änderungen durch das Gesetz v. 23.7.2002[4] zu §§ 186, 187 GVG, durch das Gesetz v. 19.4.2006[5], das FGG-ÄnderungsG v. 17.12.2008[6] und durch das G. v. 29.7.2009[7] der Fall gewesen.

Die Vorschrift selbst enthält in den Abs. 2 und 3 nur wenige Ergänzungen hierzu. Wegen der Besonderheiten der von den Finanzgerichten zu behandelnden Rechtsmaterie und der Zusammensetzung der Beteiligten tauchen Fragen zur Ordnung und zu den Ordnungsvorschriften im finanzgerichtlichen Verfahren recht selten auf. Da zudem der Ausschluss der Öffentlichkeit wegen des Abs. 2 nur selten strittig wird (vgl. Rz. 7, 10), ist in diesem Bereich wenig Rspr. des BFH und der FG vorhanden. Im Streitfall ist deswegen auf die Rspr. der anderen Gerichtszweige zurückzugreifen.

[1] Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 52 FGO Rz. 1.
[3] Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 52 FGO Rz. 1.
[4] BGBl I 2002, 2850.
[5] BGBl I 2006, 866.
[6] BGBl I 2008, 2586.
[7] BGBl I 2009, 2288.

2 Öffentlichkeit

2.1 Grundsatz

 

Rz. 2

Aufgrund der Verweisung des Abs. 1 gilt § 169 GVG für den Grundsatz der Öffentlichkeit.

 

Rz. 3

Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist ein Leitgedanke des Prozessrechts. Er besitzt zwar keinen Verfassungsrang[1], ist aber im Rahmen der – in verschiedenen Verfahrensarten unterschiedlich – strengen Regeln stets genau zu beachten. Er dient hauptsächlich dem Zweck, der Allgemeinheit eine Kontrollmöglichkeit zu geben, die bei "Geheimprozessen" nicht möglich ist. Damit soll auch das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Gerichte und ihrer Entschei­dungen gestärkt werden[2]. Er dient dagegen nicht privaten Interessen[3]. Im Finanzgerichtsverfahren ist der Grundsatz der Öffentlichkeit vor allem durch § 52 Abs. 2 FGO erheblich eingeschränkt (vgl. Rz. 7). Tatsächlich kann dem Grundsatz der Öffentlichkeit die Folge nicht abgesprochen werden, dass das Verhalten des bzw. der Richter kritisch betrachtet werden kann und dass damit ein Druck auf ein faires Verfahren ausgeübt wird[4]. Für den Steuerprozess ergibt sich aus dem Öffentlichkeitsprinzip zusätzlich eine Kontrollmöglichkeit zum Verhalten der Finanzbehörden. § 52 Abs. 2 FGO berücksichtigt dabei die sich gegenüberstehenden Interessen an der öffentlichen mündlichen Verhandlung einerseits und des Stpfl. an der Wahrung des Steuergeheimnisses (§ 30 AO) andererseits.

 

Rz. 4

Öffentlichkeit bedeutet, dass grundsätzlich jeder Interessierte für die Zeit der mündlichen Verhandlung Zugang zum Gerichtssaal haben muss. Öffentlichkeit und Grundsatz der mündlichen Verhandlung stehen somit in einem engen Zusammenhang. Ohne mündliche Verhandlung (vgl. zu dieser die Erl. zu § 90a AO) ist keine Öffentlichkeit möglich. Von der Öffentlichkeit umfasst wird gem. § 169 GVG allerdings nicht nur die mündliche Verhandlung, sondern auch die Verkündung der Entscheidung[5]. Bei Verfahren ohne mündliche Verhandlung ergehen die Entscheidungen nicht öffentlich (s. u. Rz. 11). Vorbereitende Erörterungs- und Beweistermine sind lediglich parteiöffentlich[6].

Die Öffentlichkeit ist gewahrt, wenn ein unbestimmter – nach Maßgabe der vorhandenen Sitzplätze im Gerichtssaal möglicherweise beschränkter – Kreis von Personen der Verhandlung am Verhandlungsort folgen kann[7]. Ausreichend ist sicher nicht das Vorhandensein nur eines Sitzplatzes im Gerichtssaal. Andererseits bedarf es auch keiner Vielzahl von Sitzplätzen, die stets allen Interessenten einen Zugang bieten[8]. Das Verbot von Rundfunk- und Fernsehübertragungen sowie des Fotografierens während der mündlichen Verhandlung verletzt nicht den Öffentlichkeitsgrundsatz, sondern folgt aus der gesetzlichen Einschränkung in § 169 S. 2 GVG. Diese Vorschrift ist verfassungsgemäß[9]. Gedanken zur Änderung dieser Regelung de lege ferenda sind kritisch zu verfolgen, da eine Öffnung zu Abhängigkeiten bei der Entscheidung beitragen könnte.

 

Rz. 5

Zur Öffentlichkeit gehört auch die Möglichkeit, si...

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