1 Rechtsschutz bei Untätigkeit der Behörde

1.1 Allgemeines

 

Rz. 1

Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG (s. Vor § 1 FGO Rz. 2) umfasst den Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit (vgl. BVerfG v. 14.2.1992, 2 BvR 1443/91, HFR 1992, 728; s. Vor § 1 FGO Rz. 19). Erforderlich ist also ein Rechtsschutz, wenn die Behörde ihrer Pflicht nicht nachkommt, das Verwaltungsverfahren zügig abzuwickeln[1]. Die Verletzung dieses Beschleunigungsgebots eröffnet die Möglichkeit zur Erhebung der Untätigkeitsklage nach § 46 FGO. Diese gewährleistet zusammen mit dem außergerichtlichen Rechtsbehelf des Untätigkeitseinspruchs nach § 347 Abs. 1 S. 2 AO den umfassenden gerichtlichen Rechtsschutz bei Untätigkeit der Behörde im Verwaltungsverfahren (s. den Überblick Vor § 1 FGO Rz. 16). Diese beiden Rechtsbehelfe sind ein Druckmittel, um die Behörde mithilfe des Gerichts zum Tätigwerden zu veranlassen (zum Rechtsschutz bei Untätigkeit des Gerichts s. Vor § 1 FGO Rz. 16e).

 

Rz. 2

Die durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe in § 46 FGO verbleibende Rechtsunsicherheit hinsichtlich des Zeitpunkts, wann die Klage zulässig ist (s. Rz. 18), verletzt nicht Art. 19 Abs. 4 GG[2]. Ebenso führt die auch hier vertretene Rechtsauffassung bei doppelter Untätigkeit (s. Rz. 7a, 32) nicht zu einer unzumutbaren Einschränkung der Möglichkeiten zur Erlangung effektiven Rechtsschutzes[3].

Rz. 3 bis 6 einstweilen frei

1.2 Rechtscharakter der Untätigkeitsklagen

 

Rz. 7

Die Untätigkeit der Behörde im allgemeinen Verwaltungs- bzw. Einspruchsverfahren ist zunächst nur der Anlass der Klage. Diese Untätigkeit selbst ist aber auch Gegenstand der Klage, wenn:

  • noch überhaupt keine behördliche Entscheidung vorliegt, also noch kein mit dem Einspruch anfechtbarer Verwaltungsakt erlassen ist. Eine solche echte Untätigkeitsklage liegt im Fall der Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 2 FGO vor (vgl. v. Groll, in Gräber, FGO, § 46 Rz. 36; a. A. Steinhauff, in HHSp, AO, § 46 FGO Rz. 371, der eine Verpflichtungsklage auf Erlass eines bestimmten Verwaltungsakts annimmt; ebenso v. Beckerath, in Beermann/Gosch, AO, § 46 FGO Rz. 29, 217; nicht eindeutig Bartone, in Kühn/v. Wedelstädt, AO, § 46 FGO Rz. 10; s. auch Rz. 32).
 

Rz. 7a

  • über einen Untätigkeitseinspruch nach § 347 Abs. 1 S. 2 AO (s. Rz. 15) nicht entschieden worden ist. Die Klage nach § 46 Abs. 1 FGO bei sog. doppelter Untätigkeit (s. auch Rz. 32) ist als echte Untätigkeitsklage anzusehen. Auch bei dem Untätigkeitseinspruch ist nur die Untätigkeit Gegenstand des Verfahrens (s. BFH v. 3.8.2005, I R 74/02, BFH/NV 2006, 19; vgl. Dumke, in Schwarz, AO, § 347 Rz. 69c; a. A. v. Beckerath, in Beermann/Gosch, AO, § 46 FGO Rz. 29; Steinhauff, in HHSp, AO, § 46 FGO Rz. 352). Mit der Untätigkeitsklage kann nicht mehr erreicht werden als mit dem Einspruch selbst, insbesondere kann nicht eine gerichtliche Sachentscheidung an die Stelle einer erstmaligen behördlichen Sachentscheidung treten. Die Behörde kann nur verpflichtet werden, eine Sachentscheidung in Form eines Verwaltungsakts zu treffen. Gegen diese erstmalige Sachentscheidung ist dann der übliche Rechtsschutzweg eröffnet (s. auch Rz. 32).
 

Rz. 8

Demgegenüber ist die Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 1 FGO keine eigentliche Klage gegen die Untätigkeit der Behörde im Einspruchsverfahren, sondern je nach Inhalt des Rechtsschutzbegehrens eine besondere Form der Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage[1], die auch ohne Vorliegen einer Einspruchsentscheidung abweichend von § 44 Abs. 1 FGO zulässig ist. Hier entfällt als Folge der ungerechtfertigten Untätigkeit für die Behörde die Möglichkeit, den unmittelbaren Zugang zum Gericht zu verhindern. Gegenstand der Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 1 FGO ist der mit dem Einspruch [2] angefochtene Verwaltungsakt[3]. Eine Verpflichtungsklage allein gegen die Untätigkeit ist unzulässig (s. Rz. 12; § 40 FGO Rz. 24b).

2 Untätigkeit im Einspruchsverfahren – § 46 Abs. 1 FGO

2.1 Allgemeines

 

Rz. 9

§ 46 Abs. 1 FGO regelt als Ausnahmevorschrift zu § 44 FGO die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die unmittelbare Klageerhebung in Fällen, in denen sonst grundsätzlich ein abgeschlossenes finanzbehördliches Einspruchsverfahren erforderlich wäre (s. § 44 FGO Rz. 6), aber unter den hier genannten Umständen übersprungen werden kann. Ob die zusätzlichen Voraussetzungen (s. Rz. 10) für die Untätigkeitsklage gegeben sind, ist von Amts wegen zu prüfen[1].

Die Vorschrift macht nur die sonst durch § 44 FGO geforderte Verfahrensvoraussetzung "Abschluss des außergerichtlichen Vorverfahrens" entbehrlich, nicht aber die Anhängigkeit des Einspruchsverfahrens (s. Rz. 15, 16; vgl. BFH v. 2.7.1997, II S 4/97, BFH/NV 1998, 208). Sonstige Zulässigkeits- oder Sachent...

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