1 Überblick und Zweck

 

Rz. 1

Sieht das Gesetz ein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren vor, was ausschließlich mit dem Einspruchsverfahren in den §§ 347ff. AO der Fall ist–, verlangt § 44 Abs. 1 FGO, das dieses im Regelfall als Vorverfahren vor einer Klageerhebung durchzuführen ist und bestimmt dessen gänzliche oder teilweise Erfolglosigkeit als Zulässigkeitsvoraussetzung der (Anfechtungs- und Verpflichtungs-) Klage. Abs. 2 nennt als (regelmäßigen) Verfahrensgegenstand der Anfechtungsklage den angefochtenen Verwaltungsgegenstand in der Gestalt der Einspruchsentscheidung, die nach der Durchführung des in Abs. 1 geforderten Vorverfahrens ergangen ist.

 

Rz. 2

Zweck des vor der Klageerhebung durchzuführenden finanzbehördlichen Einspruchsverfahrens nach §§ 347 bis 368 AO ist die Entlastung der Finanzgerichtsbarkeit, indem eine Selbstkontrolle der Finanzbehörde der gerichtlichen Klage vorgeschaltet wird. Daneben dient es auch dem Rechtsschutz des Steuerpflichtigen, der die Möglichkeit erhält, einen Verwaltungsakt auf Antrag noch einmal kostenfrei in vollem Umfang durch die Finanzbehörde auf seine Richtigkeit überprüfen zu lassen. Andererseits stellt die Erforderlichkeit eines (teilweise) erfolglos abgeschlossenen Vorverfahrens gleichzeitig auch eine – verfassungsgemäße – Beschränkung des (gerichtlichen) Rechtsschutzes des Stpfl. dar, weil das Gericht die Klage als unzulässig zu verwerfen hat, wenn diese Sachentscheidungsvoraussetzung nicht erfüllt ist.[1]

[1] Vgl. vor §§ 347-368 AO Rz. 3 und 4.

2 Rechtsentwicklung

 

Rz. 3

Erst mit Einführung der FGO[1] wurde das finanzgerichtliche Prozessrecht von dem in der RAO enthaltenen Verwaltungsverfahren getrennt und in einem eigenen Gesetz geregelt. Bis dahin war das Gerichtsverfahren als "verlängertes Veranlagungsverfahren" in das Verwaltungsverfahren eingegliedert.[2] § 44 FGO ist seither unverändert und bestimmt das ganz oder teilweise erfolglose Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf – wenn gegeben – regelmäßig als Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage und den ursprünglichen Verwaltungsakt in der Gestalt der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf als Gegenstand der Klage.

 

Rz. 4

Während die RAO und zunächst auch die AO 1977 noch Einspruch und Beschwerde als außergerichtliche Rechtsbehelfe vorsah, wurde diese Zweiteilung ab 1996 abgeschafft, sodass seitdem als außergerichtlicher Rechtsbehelf nur noch der Einspruch vorgesehen ist.[3]

[1] FGO v. 6.10.1965, BGBl I 1965, 1477.
[2] Eingehend dazu Steinhauff, in HHSp, AO/FGO, § 44 FGO Rz. 2ff; v. Beckerath, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 44 FGO Rz. 3ff.
[3] Vgl. dazu auch die Ausführungen vor §§ 347 bis 368 AO Rz. 2.

3 Erfolgloses Vorverfahren als Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage (§ 44 Abs. 1 FGO)

3.1 Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage

 

Rz. 5

Nach § 44 Abs. 1 FGO ist "die Klage" nur zulässig, wenn ein Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder z. T. erfolglos geblieben ist. Die Vorschrift beschränkt damit ausdrücklich nur die Zulässigkeit einer Klage durch die Zwischenschaltung eines außergerichtlichen Vorverfahrens.[1] Die Einschränkung des § 44 Abs. 1 FGO gilt deshalb nicht in gerichtlichen Verfahren über Anträge, also in den Verfahren zur Erlangung vorläufigen Rechtsschutzes durch Aussetzung der Vollziehung[2] oder durch einstweilige Anordnung.[3]

[1] Zu den durch § 44 FGO beschränkten Klagearten s. Rz. 13.

3.2 Vorbehalt der §§ 45 und 46 FGO – Unmittelbare Klage

 

Rz. 6

Das Vorverfahren ist nur "vorbehaltlich der §§ 45 und 46 FGO" als Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage erforderlich.

 

Rz. 7

§ 45 FGO bestimmt Fälle, in denen die Klage ohne Vorverfahren zulässig ist. Es sind dies die Sprungklage, die mit Zustimmung der Behörde und des Gerichts erfolgen kann[1] und die Anfechtung der Anordnung eines dinglichen Arrests.[2]

 

Rz. 8

Nach § 46 FGO ist die unmittelbare Erhebung einer Klage ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens bei Untätigkeit der Finanzbehörde im Einspruchsverfahren zulässig, wenn über den eingelegten Einspruch nicht binnen angemessener Frist entschieden wurde (Untätigkeitsklage).

3.3 Fälle, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist

 

Rz. 9

§ 44 Abs. 1 FGO verlangt das Vorverfahren als Zulässigkeitsvoraussetzung einer Klage nur in "Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist". Die Vorschrift nimmt damit Bezug auf den 7. Teil der Abgabenordnung, der in den §§ 347 bis 368 AO das "Außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren" regelt und als einzigen (formellen) Rechtsbehelf den Einspruch vorsieht.

Andere Verfahren, in denen sich die Finanzbehörde (informell) mit der Sache auseinandersetzen muss, z. B. eine Dienst- oder Sachaufsichtsbeschwerde, können das Einspruchsverfahren als Vorverfahren nicht ersetzen.

 

Rz. 10

Wann der Einspruch als einziger außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist, wird durch §§ 347 und 348 AO bestimmt. § 347 AO regelt die Statthaftigkeit des Einspruchs, während § 348 AO – neben anderen Vorschriften – bestimmt, wann ein Einspruch nicht statthaft ist.[1]

 

Rz. 11

Der Einspruch ist nach § 347 Abs. 1 S. 1 AO statthaft gegen Verwaltungsakte

  • in Abgabenangelegenheiten, in denen die Abgabenordnung Anwendung findet, was den Angelegenheiten entspricht, für di...

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