Rz. 69

Den Regelfall der stattgebenden Entscheidungen im Finanzgerichtsprozess stellen den angefochtenen Verwaltungsakt abändernde Urteile gem. § 100 Abs. 2 S. 1 FGO dar. Ganz überwiegend werden bei den FG Steuerbescheide nach § 155 AO und Feststellungsbescheide nach § 179 AO angefochten mit dem Ziel, dass ein niedrigerer Geldbetrag festgesetzt/festgestellt wird. Damit wird vom Gericht eigentlich eine Verwaltungstätigkeit, nämlich die Steuerfestsetzung, verlangt. In Durchbrechung des Gewaltenteilungsgrundsatzes ist dem Gericht in § 100 Abs. 2 FGO ausnahmsweise gestattet, in bestimmten Fällen selbst die öffentlich-rechtliche Regelung herbeizuführen und den angefochtenen Verwaltungsakt zu ändern. Denn wenn der Kläger die Änderung eines Geldverwaltungsakts (s. Rz. 72) begehrt, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen bzw. feststellen[1]. Im Steuerrecht handelt es sich ganz überwiegend um zwingendes Recht, d. h., dass sich bei Vorliegen des gesetzlichen Tatbestands die Rechtsfolge zwingend aus dem Gesetz ergibt. Daher bedeutet die Umsetzung der vom Gericht festgestellten Tatbestandsvoraussetzungen in einen geänderten Verwaltungsakt nur mehr einen technischen Vorgang, der aus Gründen der Praktikabilität auch vom Gericht mit erledigt werden kann[2]. Anders ist es dagegen, wenn der Behörde bei Vorliegen der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale vom Gesetzgeber mehrere Entscheidungsmöglichkeiten eingeräumt sind, wie es regelmäßig bei Ermessensermächtigungen der Fall ist (s. Rz. 74ff.). Erfordert die Berechnung des Geldbetrags erheblichen Aufwand, kann das Gericht die Berechnung gem. § 100 Abs. 2 S. 2 FGO der Behörde übertragen.

 

Rz. 70

Der Tenor eines Abänderungsurteils könnte z. B. lauten: "Der Einkommensteuerbescheid … vom … und die Einspruchsentscheidung vom … werden in der Weise geändert, dass die ESt … auf … EUR herabgesetzt wird." Bei nur teilweiser Stattgabe ist hinzuzufügen: "Im Übrigen wird die Klage abgewiesen." Der Tenor eines Abänderungsurteils nach § 100 Abs. 2 S. 2 FGO (dazu Rz. 78ff.) könnte lauten: "Der Einkommensteuerbescheid … vom … und die Einspruchsentscheidung vom … werden in der Weise geändert, dass die ESt … unter Berücksichtigung eines Veräußerungserlöses beim Gewinn aus Gewerbebetrieb i. H. v. … und ausländischer Verluste i. H. v. … herabgesetzt wird. Dem Beklagten wird die Berechnung der ESt nach Maßgabe der Urteilsgründe übertragen. Er hat den Beteiligten das Ergebnis der Berechnung unverzüglich mitzuteilen und nach Rechtskraft des Urteils den Bescheid mit dem geänderten Inhalt neu bekannt zu machen." Der Tenor könnte auch lauten: "Der Einkommensteuerbescheid … vom … und die Einspruchsentscheidung vom … werden dahin geändert, dass die bisher festgesetzte Steuer (… EUR) durch einen vom Beklagten nach Maßgabe der Entscheidungsgründe neu zu berechnenden Betrag ersetzt wird."[3]. Bei nur teilweiser Stattgabe ist hinzuzufügen: "Im Übrigen wird die Klage abgewiesen."

3.1 Abänderungsklage

 

Rz. 71

Voraussetzung für eine Verwaltungsaktsänderung seitens des Gerichts ist, dass der Kläger eine Abänderungsklage erhoben hat. Diese ist als Unterart der Anfechtungsklage in § 40 Abs. 1 FGO unter Bezugnahme auf § 100 Abs. 2 FGO als zulässige Klageart ausdrücklich erwähnt. Daraus folgt, dass eine Betragsänderung im Rahmen einer Verpflichtungsklage nicht möglich ist[1]. In § 101 FGO ist eine entsprechende Ermächtigung an das Gericht nicht enthalten. Wird der Erlass von Steuern begehrt, ist daher ein Urteilstenor nach § 100 Abs. 2 FGO nicht möglich[2]. Ob der Kläger die Abänderung oder die Aufhebung eines Verwaltungsakts begehrt, ist seinem gesamten Vorbringen zu entnehmen. Das Gesetz stellt nicht auf den Klageantrag, sondern auf das Klagebegehren ab[3]. Ein Urteil nach § 100 Abs. 2 S. 1 FGO ist z. B. bei Ablehnung von Zulagen bzw. Kindergeld dann möglich, wenn das FA eine ablehnende Sachentscheidung getroffen hat, da es sich dann um eine Anfechtungs- und nicht um eine Verpflichtungsklage handelt[4]. Bei teilbaren Verwaltungsakten (s. Rz. 14f.) ist auch die betragsmäßige Änderung nur eines Teils möglich. Auch wenn der Kläger ausdrücklich einen Aufhebungsantrag gestellt hat, kann das Gericht, obwohl es über seinen Antrag nicht hinausgehen darf[5], regelmäßig auch eine Änderung des Betrags vornehmen. Denn in dem Aufhebungsantrag ist gewöhnlich als ein Weniger auch der Antrag auf Herabsetzung auf einen niedrigeren Betrag enthalten. Auf einen Betrag, der den Kläger mehr belastet als der angefochtene Bescheid, darf das Gericht den Bescheid im Urteil wegen des Verbots der reformatio in peius (s. Rz. 27) nicht festsetzen[6]. Eine Betragsänderung kommt nicht in Betracht, wenn bei Feststellungsbescheiden allein die Qualifizierung der Einkünfte oder die Beteiligung an den Einkünften angefochten wird[7].

[1] BFH v. 28.10.2009, I R 27/08, BFH/NV 2010, 545 m. w. N.; Lange, in HHSp, AO/FGO, § 100 FGO Rz. 67...

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