Rz. 5

Die materielle Bestandskraft (Wirksamkeit) des Verwaltungsakts ist in § 124 AO geregelt.[1] Nach dieser Vorschrift ist jeder bekannt gegebene Verwaltungsakt "wirksam", d. h. er ist existent geworden, also nicht mehr nur ein Entwurf (äußere Wirksamkeit), und er regelt das Verhältnis zwischen Behörde und Stpfl. und ist daher von beiden zu beachten (innere Wirksamkeit). Anders als bei der materiellen Rechtskraft von Urteilen, die nach § 110 Abs. 1 S. 1 FGO erst mit Unanfechtbarkeit bindend sind, tritt die materielle Bestandskraft von Verwaltungsakten schon mit ihrer Bekanntgabe nach § 124 AO ein. Nach § 361 Abs. 1 S. 1 AO kann der Inhalt eines Verwaltungsakts vollzogen werden, auch wenn der Verwaltungsakt noch nicht unanfechtbar ist. Diese Wirksamkeit des Verwaltungsakts wird durch die Aussetzung der Vollziehung, § 361 Abs. 2 AO, vorläufig beseitigt.

 

Rz. 6

Materielle Bestandskraft bedeutet, dass der Verwaltungsakt nicht mehr lediglich ein Verwaltungsinternum ist, sondern entsprechend § 118 S. 1 AO unmittelbare Rechtswirkungen nach außen entfaltet, also von Adressat und Finanzbehörde zu beachten ist. Diese materielle Bestandskraft (Wirksamkeit) tritt mit der Bekanntgabe nach § 124 AO ein.[2] Die der materiellen Bestandskraft innewohnenden Rechtswirkungen können materieller oder formeller Natur sein. Materielle Rechtswirkungen treten ein, da der Inhalt des Verwaltungsakts für die Beziehung zwischen Stpfl. und Behörde maßgebend sind.[3] Beide sind an diesen Inhalt gebunden, solange der Verwaltungsakt nicht aufgehoben oder inhaltlich geändert wird. Dabei ist die materielle Bindung für die Finanzbehörde stärker als für den Stpfl. Die Finanzbehörde kann den Verwaltungsakt, wenn er einmal bekanntgegeben worden und dadurch materiell wirksam geworden ist, nicht mehr beliebig ändern, auch nicht, wenn er noch nicht unanfechtbar ist. Eine Änderung ist für die Finanzbehörde nur bei Vorliegen besonderer Änderungstatbestände möglich. Legt der Stpfl. Einspruch ein, eröffnet dies zwar der Finanzverwaltung die Möglichkeit zu einer vollständigen Überprüfung des Verwaltungsakts und damit auch zur Verböserung. Jedoch kann der Stpfl. dies durch die Rücknahme des Einspruchs verhindern. Insoweit ist die Änderung des Verwaltungsakts und damit die Bindungswirkung für die Behörde vom Handeln des Stpfl. abhängig. Für den Stpfl. bestehen dagegen umfangreichere Möglichkeiten, die materielle Wirksamkeit des Steuerbescheids zu beseitigen. Er kann Einspruch einlegen und damit eine Änderung oder Aufhebung des Verwaltungsakts erreichen. Nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist ist er aber ebenso an den Verwaltungsakt gebunden wie die Behörde. Er kann dann eine Änderung oder Aufhebung des Verwaltungsakts nur bei Vorliegen bestimmter Änderungstatbestände, §§ 172ff. AO, erreichen.

 

Rz. 6a

Formelle Rechtswirkungen entfaltet der Verwaltungsakt, indem die Rechtsbehelfsfrist zu laufen beginnt und die Änderbarkeit eingeschränkt ist.

 

Rz. 7

Ab dem Zeitpunkt der materiellen Wirksamkeit (Bestandskraft) müssen Stpfl. und Verwaltung sich nach dem Inhalt des Verwaltungsakts richten. Daher tritt die materielle Wirksamkeit schon vor dem Eintritt der formellen Bestandskraft ein. Die materielle Bestandskraft ist grundsätzlich auf Dauer angelegt, d. h. der Inhalt des Verwaltungsakts soll das Rechtsverhältnis zwischen Bürger und Verwaltung auf Dauer und endgültig regeln. Der Grundsatz der Rechtssicherheit und die Wahrung des Rechtsfriedens erfordern die Beständigkeit der hoheitlichen Entscheidungen der Behörden. Die materielle Bestandskraft dient aber auch der Effektivität der Verwaltung, da eine uneingeschränkte freie Abänderbarkeit des Verwaltungsakts das steuerliche Massenverfahren praktisch lahmlegen würde.[4] Allerdings bedeutet dies nicht, dass dieser Inhalt von Anfang an unveränderlich ist. Die Möglichkeiten, den materiellen Inhalt des Verwaltungsakts zu ändern, und damit Umfang und Dauer Bindungswirkung der materiellen Bestandskraft, hängt von den verschiedenen Stufen der Änderbarkeit ab. Die Änderbarkeit des materiellen Inhalts eines Verwaltungsakts ist daher nur eingeschränkt und nur bei Vorliegen besonderer Änderungstatbestände möglich.

 

Rz. 8

Der Eintritt der materiellen Bestandskraft ist davon abhängig, dass der Verwaltungsakt wirksam wird. Ein unwirksamer bzw. nach § 125 AO nichtiger Verwaltungsakt entfaltet keine materielle und auch keine formelle Bestandskraft. Er ist für Stpfl. und Finanzbehörde ohne weitere Voraussetzungen unbeachtlich, auch wenn § 125 Abs. 5 AO ein formelles Verfahren für die Feststellung der Nichtigkeit vorsieht. Dies dient nur der Klarheit und der Rechtssicherheit. Ein nichtiger Verwaltungsakt ist jedoch auch ohne eine solche Feststellung unbeachtlich.

 

Rz. 9

Inhalt und Umfang der materiellen Bestandskraft und damit der Verbindlichkeit für Stpfl. und Verwaltung bestimmen sich nach dem Tenor des Verwaltungsakts, der den Ausspruch der Rechtsfolgen enthält.[5] Inhalt und Umfang des der materiellen Bestandskraft fähigen Teils des Verwaltun...

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