Rz. 33

Nach allgemein anerkanntem Völkerrecht darf kein Staat außerhalb seiner Staatsgrenzen auf fremdem Gebiet hoheitsrechtliche Befugnisse ausüben (Grundsatz der formellen Territorialität). Dieses Verbot gilt sowohl für Zwangsakte als auch für sonstige hoheitliche Maßnahmen, sofern nicht völkerrechtliche Vereinbarungen eine ausdrückliche Erlaubnis enthalten. Es ist den deutschen Finanzbehörden mithin grundsätzlich verwehrt, im Ausland Sachverhaltsermittlungen durchzuführen.

 

Rz. 34

Der zwischenstaatliche Auskunftsverkehr in Steuersachen hat in den letzten Jahren zwar erheblich an Bedeutung gewonnen. Deutschland hat in jüngerer Vergangenheit mit zahlreichen Staaten DBA mit sog. "großen Auskunftsklauseln" bzw. isolierte Rechts- und Amtshilfeabkommen abgeschlossen. Außerdem wird der automatische Informationsaustausch auch auf internationaler Ebene fortlaufend intensiviert.[1] Der internationale Auskunftsverkehr unterliegt aber weiterhin erheblichen rechtlichen Beschränkungen und leidet insbesondere unter tatsächlichen Schwierigkeiten.[2] Hinzu kommt, dass die Auskunftsklauseln eine Inanspruchnahme der ausländischen Behörden regelmäßig erst dann gestatten, wenn die Sachaufklärungsmaßnahmen im Inland – und hierzu zählt auch die Mitwirkungspflicht des Beteiligten nach § 90 Abs. 2 AO – nicht zum Ziel geführt haben bzw. keinen Erfolg versprechen. Dieses Subsidiaritätsprinzip gilt gem. Art. 2 Abs. 1 S. 2 der EU-Amtshilfe-Richtlinie[3] auch innerhalb der EU.

 

Rz. 35

Die aus ständiger Rechtsprechung[4] abgeleitete Vorschrift des § 90 Abs. 2 AO soll verhindern, dass die Aufklärung von Auslandssachverhalten und damit zugleich die Durchsetzung des materiellen Steuerrechts an den stark eingeschränkten Ermittlungsbefugnissen der Finanzbehörden scheitert. Deshalb erweitert die Norm unter dem Gesichtspunkt der Beweisnähe (vgl. Rz. 6f.) die Mitwirkungsplichten des Beteiligten. Würde der Beteiligte nicht nach den Grundsätzen der Verantwortungsgemeinschaft zu einer erhöhten Mitwirkungspflicht herangezogen, wäre das Ergebnis Beweisnotstand und in dessen Folge ungesetzliche Besteuerung.[5] Die Regelung greift auch ein, wenn bei einem zweigliedrigen Sachverhalt nur ein Teil Auslandsbezug hat.[6] Spezielle Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten sehen die §§ 16, 17 AStG vor.

 

Rz. 36

Typische Anwendungsfälle für die erweiterte Mitwirkungspflicht sind in der Praxis die Zwischenschaltung ausländischer Domizil- bzw. Basisgesellschaften, der Betriebsausgabenabzug bei Zahlungsempfängern im Ausland[7], der Nachweis von Unterhaltsleistungen an im Ausland ansässige Angehörige[8] sowie Liefer- und Leistungsbeziehungen zu ausländischen verbundenen Unternehmen und nahe stehenden Personen.[9]

[1] Vgl. nur das Gesetz zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen und zur Änderung weiterer Gesetze v. 21.12.2015, BGBl I 2015, 2531, sowie das Gesetz zu der Mehrseitigen Vereinbarung v. 29.10.2014 zwischen den zuständigen Behörden über den automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten v. 21.12.2015, BGBl II 2015, 1630.
[2] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 90 AO Rz. 18.
[3] RL 77/799/EWG v. 19.12.1977, Abl. L 336, 15, zuletzt geändert durch die Richtlinie (EU) 2015/2376 v. 8.12.2015 (ABl. L 332 v. 18.12.2015, 1) und Richtlinie (EU) 2016/881 v. 25.5.2016 (ABl. L 146 v. 3.6.2016, 8).

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge